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Ebbinghaus, Hermann: Über das Gedächtnis. Leipzig, 1885.

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letzteren nicht vertraut sind, wird eine graphische Erläuterung ver-
ständlicher sein als die Mitteilung und Diskussion der Formel. Man
denke sich eine bestimmte Beobachtung 1000mal wiederholt. Jede Be-
obachtung als solche werde repräsentiert durch den Raum eines Qua-
dratmillimeters, ihr numerischer Wert aber, oder vielmehr ihre Ab-
weichung von dem Mittelwert der sämtlichen 1000 Beobachtungen durch
ihre Anordnung längs einer der Horizontallinien p q der nebenstehen-
den Fig. 1. Für jede Beobachtung, die mit dem Mittelwert gerade
übereinstimmt, werde 1 #mm auf die Vertikallinie m n gelegt, für jede
Beobachtung, die um eine Einheit nach oben abweicht, 1 #mm auf
eine Vertikallinie rechts von m n, die um 1 mm entfernt ist u. s. w.;
für jede Beobachtung, die um x Einheiten nach oben (resp. unten) von
dem Mittel abweicht, komme 1 #mm auf eine um x mm rechts (resp.
links) von m n entfernte Vertikale. Sind alle Beobachtungen in dieser
Weise angeordnet, so denke man sich die äussere Kontur der belegten
Fläche so weit zusammengedrückt, dass die vorspringenden Ecken der
einzelnen Quadrate sich in eine gleichmässig verlaufende Kurve ver-
wandeln. Waren nun die differierenden Einzelwerte so entstanden, dass
ihr Mittel betrachtet werden kann als eine Konstante im naturwissen-
schaftlichen Sinne, so ist die Gestalt der resultierenden Kurve von
der Art
der in Fig. 1 mit a und b bezeichneten; ist der Mittelwert
eine statistische Konstante, so hat die Kurve irgend eine anders-
artige Form. (Die Kurven a und b schliessen mit den Linien p q ge-
rade je 1000 #mm ein. Genau ist das nur bei unendlicher Verlänge-
rung der Kurven und der Linien p q der Fall, aber dieselben nähern
sich einander schliesslich so sehr, dass da wo die Zeichnung abbricht, für
jeden Kurvenzweig nur noch 2--3 #mm an der vollen Zahl fehlen.) Ob für
eine bestimmte Gruppe von Beobachtungen die Kurve mehr eine steile oder
mehr eine flache Form hat, hängt von der Natur dieser Beobachtungen
ab. Je genauer sie sind, desto mehr häufen sie sich um den Mittel-
wert an, desto seltener sind grobe Fehler, desto steiler ist also die
Kurve, und umgekehrt. Im übrigen ist das Bildungsgesetz der Kurve
allemal dasselbe. Entnimmt man also einem bestimmten Beobachtungs-
komplex irgend einen Massstab für die Dichtigkeit der Scharung der
Beobachtungen, so übersieht man die Gruppierung der ganzen Masse.
Man könnte z. B. angeben, wie oft eine Abweichung von bestimmter
Grösse vorkommt, oder wie viel Beobachtungen zwischen bestimmten
Abweichungen gezählt werden. Oder aber -- wie ich im folgenden
thun werde -- man giebt an, welche Abweichung zwischen sich und
dem Mittelwert einen bestimmten Prozentsatz aller Beobachtungen ein-

letzteren nicht vertraut sind, wird eine graphische Erläuterung ver-
ständlicher sein als die Mitteilung und Diskussion der Formel. Man
denke sich eine bestimmte Beobachtung 1000mal wiederholt. Jede Be-
obachtung als solche werde repräsentiert durch den Raum eines Qua-
dratmillimeters, ihr numerischer Wert aber, oder vielmehr ihre Ab-
weichung von dem Mittelwert der sämtlichen 1000 Beobachtungen durch
ihre Anordnung längs einer der Horizontallinien p q der nebenstehen-
den Fig. 1. Für jede Beobachtung, die mit dem Mittelwert gerade
übereinstimmt, werde 1 □mm auf die Vertikallinie m n gelegt, für jede
Beobachtung, die um eine Einheit nach oben abweicht, 1 □mm auf
eine Vertikallinie rechts von m n, die um 1 mm entfernt ist u. s. w.;
für jede Beobachtung, die um x Einheiten nach oben (resp. unten) von
dem Mittel abweicht, komme 1 □mm auf eine um x mm rechts (resp.
links) von m n entfernte Vertikale. Sind alle Beobachtungen in dieser
Weise angeordnet, so denke man sich die äuſsere Kontur der belegten
Fläche so weit zusammengedrückt, daſs die vorspringenden Ecken der
einzelnen Quadrate sich in eine gleichmäſsig verlaufende Kurve ver-
wandeln. Waren nun die differierenden Einzelwerte so entstanden, daſs
ihr Mittel betrachtet werden kann als eine Konstante im naturwissen-
schaftlichen Sinne, so ist die Gestalt der resultierenden Kurve von
der Art
der in Fig. 1 mit a und b bezeichneten; ist der Mittelwert
eine statistische Konstante, so hat die Kurve irgend eine anders-
artige Form. (Die Kurven a und b schlieſsen mit den Linien p q ge-
rade je 1000 □mm ein. Genau ist das nur bei unendlicher Verlänge-
rung der Kurven und der Linien p q der Fall, aber dieselben nähern
sich einander schlieſslich so sehr, daſs da wo die Zeichnung abbricht, für
jeden Kurvenzweig nur noch 2—3 □mm an der vollen Zahl fehlen.) Ob für
eine bestimmte Gruppe von Beobachtungen die Kurve mehr eine steile oder
mehr eine flache Form hat, hängt von der Natur dieser Beobachtungen
ab. Je genauer sie sind, desto mehr häufen sie sich um den Mittel-
wert an, desto seltener sind grobe Fehler, desto steiler ist also die
Kurve, und umgekehrt. Im übrigen ist das Bildungsgesetz der Kurve
allemal dasselbe. Entnimmt man also einem bestimmten Beobachtungs-
komplex irgend einen Maſsstab für die Dichtigkeit der Scharung der
Beobachtungen, so übersieht man die Gruppierung der ganzen Masse.
Man könnte z. B. angeben, wie oft eine Abweichung von bestimmter
Gröſse vorkommt, oder wie viel Beobachtungen zwischen bestimmten
Abweichungen gezählt werden. Oder aber — wie ich im folgenden
thun werde — man giebt an, welche Abweichung zwischen sich und
dem Mittelwert einen bestimmten Prozentsatz aller Beobachtungen ein-

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[23/0039] letzteren nicht vertraut sind, wird eine graphische Erläuterung ver- ständlicher sein als die Mitteilung und Diskussion der Formel. Man denke sich eine bestimmte Beobachtung 1000mal wiederholt. Jede Be- obachtung als solche werde repräsentiert durch den Raum eines Qua- dratmillimeters, ihr numerischer Wert aber, oder vielmehr ihre Ab- weichung von dem Mittelwert der sämtlichen 1000 Beobachtungen durch ihre Anordnung längs einer der Horizontallinien p q der nebenstehen- den Fig. 1. Für jede Beobachtung, die mit dem Mittelwert gerade übereinstimmt, werde 1 □mm auf die Vertikallinie m n gelegt, für jede Beobachtung, die um eine Einheit nach oben abweicht, 1 □mm auf eine Vertikallinie rechts von m n, die um 1 mm entfernt ist u. s. w.; für jede Beobachtung, die um x Einheiten nach oben (resp. unten) von dem Mittel abweicht, komme 1 □mm auf eine um x mm rechts (resp. links) von m n entfernte Vertikale. Sind alle Beobachtungen in dieser Weise angeordnet, so denke man sich die äuſsere Kontur der belegten Fläche so weit zusammengedrückt, daſs die vorspringenden Ecken der einzelnen Quadrate sich in eine gleichmäſsig verlaufende Kurve ver- wandeln. Waren nun die differierenden Einzelwerte so entstanden, daſs ihr Mittel betrachtet werden kann als eine Konstante im naturwissen- schaftlichen Sinne, so ist die Gestalt der resultierenden Kurve von der Art der in Fig. 1 mit a und b bezeichneten; ist der Mittelwert eine statistische Konstante, so hat die Kurve irgend eine anders- artige Form. (Die Kurven a und b schlieſsen mit den Linien p q ge- rade je 1000 □mm ein. Genau ist das nur bei unendlicher Verlänge- rung der Kurven und der Linien p q der Fall, aber dieselben nähern sich einander schlieſslich so sehr, daſs da wo die Zeichnung abbricht, für jeden Kurvenzweig nur noch 2—3 □mm an der vollen Zahl fehlen.) Ob für eine bestimmte Gruppe von Beobachtungen die Kurve mehr eine steile oder mehr eine flache Form hat, hängt von der Natur dieser Beobachtungen ab. Je genauer sie sind, desto mehr häufen sie sich um den Mittel- wert an, desto seltener sind grobe Fehler, desto steiler ist also die Kurve, und umgekehrt. Im übrigen ist das Bildungsgesetz der Kurve allemal dasselbe. Entnimmt man also einem bestimmten Beobachtungs- komplex irgend einen Maſsstab für die Dichtigkeit der Scharung der Beobachtungen, so übersieht man die Gruppierung der ganzen Masse. Man könnte z. B. angeben, wie oft eine Abweichung von bestimmter Gröſse vorkommt, oder wie viel Beobachtungen zwischen bestimmten Abweichungen gezählt werden. Oder aber — wie ich im folgenden thun werde — man giebt an, welche Abweichung zwischen sich und dem Mittelwert einen bestimmten Prozentsatz aller Beobachtungen ein-

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Zitationshilfe: Ebbinghaus, Hermann: Über das Gedächtnis. Leipzig, 1885, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebbinghaus_gedaechtnis_1885/39>, abgerufen am 29.03.2024.