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Ebbinghaus, Hermann: Über das Gedächtnis. Leipzig, 1885.

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schliesslich glatt und fehlerlos ablaufen. Man kann offenbar
die der Zahl nach erste Reproduktion, bei der dieser letzte
Erfolg eintritt, als besonders charakteristische nicht nur be-
zeichnen, sondern auch praktisch erkennen. Ich bezeichne sie
gelegentlich kurz als die erstmögliche Reproduktion.

Es fragt sich also, erfüllt diese die obige zweite Be-
dingung? ist die Anzahl der zu ihrer Herbeiführung erforder-
lichen Wiederholungen, unter übrigens gleichen Umständen,
allemal dieselbe?

Jedoch in dieser Form wird die Frage mit Recht zurück-
gewiesen werden, weil sie das eigentlich Fragliche und den
wahren Kern der Sache gewissermassen als selbstverständliche
Voraussetzung oktroyiere und nun nur eine irreleitende Ant-
wort zulasse. Dass jenes Abhängigkeitsverhältnis bei völ-
liger Gleichheit der Versuchsbedingungen
ein
konstantes sei, wird man ohne Bedenken zuzugeben bereit
sein. Die vielberufene Freiheit der Seele wenigstens ist
schwerlich schon von jemandem so missverstanden worden,
dass sie hier Platz griffe. Allein diese theoretische Konstanz
ist von geringer Bedeutung; wie soll ich sie finden, wenn die
Umstände, unter denen ich thatsächlich zu beobachten ge-
zwungen bin, niemals die gleichen sind? Ich muss also viel-
mehr fragen: kann ich die unvermeidlich und immer schwan-
kenden Umstände wenigstens soweit in meine Gewalt bekom-
men und ausgleichen, dass die vermutlich in ihnen waltende
Konstanz des in Rede stehenden Abhängigkeitsverhältnisses
für mich sichtbar und greifbar wird?

Und so hätte uns denn die Erörterung der einen Schwierig-
keit, die sich der exakten Untersuchung von Kausalverhält-
nissen auf dem psychischen Gebiet entgegenstellt (§ 4), von
selbst auf die andere geführt. Eine numerische Fixierung
von einander korrespondierenden Änderungen der Ursachen

schlieſslich glatt und fehlerlos ablaufen. Man kann offenbar
die der Zahl nach erste Reproduktion, bei der dieser letzte
Erfolg eintritt, als besonders charakteristische nicht nur be-
zeichnen, sondern auch praktisch erkennen. Ich bezeichne sie
gelegentlich kurz als die erstmögliche Reproduktion.

Es fragt sich also, erfüllt diese die obige zweite Be-
dingung? ist die Anzahl der zu ihrer Herbeiführung erforder-
lichen Wiederholungen, unter übrigens gleichen Umständen,
allemal dieselbe?

Jedoch in dieser Form wird die Frage mit Recht zurück-
gewiesen werden, weil sie das eigentlich Fragliche und den
wahren Kern der Sache gewissermaſsen als selbstverständliche
Voraussetzung oktroyiere und nun nur eine irreleitende Ant-
wort zulasse. Daſs jenes Abhängigkeitsverhältnis bei völ-
liger Gleichheit der Versuchsbedingungen
ein
konstantes sei, wird man ohne Bedenken zuzugeben bereit
sein. Die vielberufene Freiheit der Seele wenigstens ist
schwerlich schon von jemandem so miſsverstanden worden,
daſs sie hier Platz griffe. Allein diese theoretische Konstanz
ist von geringer Bedeutung; wie soll ich sie finden, wenn die
Umstände, unter denen ich thatsächlich zu beobachten ge-
zwungen bin, niemals die gleichen sind? Ich muſs also viel-
mehr fragen: kann ich die unvermeidlich und immer schwan-
kenden Umstände wenigstens soweit in meine Gewalt bekom-
men und ausgleichen, daſs die vermutlich in ihnen waltende
Konstanz des in Rede stehenden Abhängigkeitsverhältnisses
für mich sichtbar und greifbar wird?

Und so hätte uns denn die Erörterung der einen Schwierig-
keit, die sich der exakten Untersuchung von Kausalverhält-
nissen auf dem psychischen Gebiet entgegenstellt (§ 4), von
selbst auf die andere geführt. Eine numerische Fixierung
von einander korrespondierenden Änderungen der Ursachen

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[14/0030] schlieſslich glatt und fehlerlos ablaufen. Man kann offenbar die der Zahl nach erste Reproduktion, bei der dieser letzte Erfolg eintritt, als besonders charakteristische nicht nur be- zeichnen, sondern auch praktisch erkennen. Ich bezeichne sie gelegentlich kurz als die erstmögliche Reproduktion. Es fragt sich also, erfüllt diese die obige zweite Be- dingung? ist die Anzahl der zu ihrer Herbeiführung erforder- lichen Wiederholungen, unter übrigens gleichen Umständen, allemal dieselbe? Jedoch in dieser Form wird die Frage mit Recht zurück- gewiesen werden, weil sie das eigentlich Fragliche und den wahren Kern der Sache gewissermaſsen als selbstverständliche Voraussetzung oktroyiere und nun nur eine irreleitende Ant- wort zulasse. Daſs jenes Abhängigkeitsverhältnis bei völ- liger Gleichheit der Versuchsbedingungen ein konstantes sei, wird man ohne Bedenken zuzugeben bereit sein. Die vielberufene Freiheit der Seele wenigstens ist schwerlich schon von jemandem so miſsverstanden worden, daſs sie hier Platz griffe. Allein diese theoretische Konstanz ist von geringer Bedeutung; wie soll ich sie finden, wenn die Umstände, unter denen ich thatsächlich zu beobachten ge- zwungen bin, niemals die gleichen sind? Ich muſs also viel- mehr fragen: kann ich die unvermeidlich und immer schwan- kenden Umstände wenigstens soweit in meine Gewalt bekom- men und ausgleichen, daſs die vermutlich in ihnen waltende Konstanz des in Rede stehenden Abhängigkeitsverhältnisses für mich sichtbar und greifbar wird? Und so hätte uns denn die Erörterung der einen Schwierig- keit, die sich der exakten Untersuchung von Kausalverhält- nissen auf dem psychischen Gebiet entgegenstellt (§ 4), von selbst auf die andere geführt. Eine numerische Fixierung von einander korrespondierenden Änderungen der Ursachen

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Zitationshilfe: Ebbinghaus, Hermann: Über das Gedächtnis. Leipzig, 1885, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebbinghaus_gedaechtnis_1885/30>, abgerufen am 20.04.2024.