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Du Bois-Reymond, Emil Heinrich: Über die Grenzen des Naturerkennens. Leipzig, 1872.

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bedingte. Nicht mehr als im Verstehen von Kraft und
Materie hat im Verstehen der Geistesthätigkeit aus ma¬
teriellen Bedingungen die Menschheit seit zweitausend
Jahren, trotz allen Entdeckungen der Naturwissenschaft, einen
wesentlichen Fortschritt gemacht. Sie wird es nie. Selbst
der von Laplace gedachte Geist mit seiner Weltformel
gliche in seinen Anstrengungen, über diese Schranke
sich fortzuheben, einem nach dem Monde trachtenden
Luftschiffer. In seiner aus bewegter Materie aufgebauten
Welt regen sich zwar die Hirnatome wie in stummem
Spiel. Er übersieht ihre Schaaren, er durchschaut ihre
Verschränkungen, aber er versteht nicht ihre Geberde,
sie denken ihm nicht, und deshalb bleibt, wie wir vor¬
hin sahen, seine Welt eigenschaftslos.

An ihm haben wir das Maass unserer eigenen Be¬
fähigung oder vielmehr unserer Ohnmacht. Unser Na¬
turerkennen ist also eingeschlossen zwischen den beiden
Grenzen, welche einerseits die Unfähigkeit, Materie und
Kraft, andererseits das Unvermögen, geistige Vorgänge
aus materiellen Bedingungen zu begreifen, ihm ewig vor¬
schreiben. Innerhalb dieser Grenzen ist der Naturforscher
Herr und Meister, zergliedert er und baut er auf, und
Niemand weiss, wo die Schranke seines Wissens und
seiner Macht liegt; über diese Grenzen hinaus kann er
nicht, und wird er niemals können.

Je unbedingter aber der Naturforscher die ihm ge¬

bedingte. Nicht mehr als im Verstehen von Kraft und
Materie hat im Verstehen der Geistesthätigkeit aus ma¬
teriellen Bedingungen die Menschheit seit zweitausend
Jahren, trotz allen Entdeckungen der Naturwissenschaft, einen
wesentlichen Fortschritt gemacht. Sie wird es nie. Selbst
der von Laplace gedachte Geist mit seiner Weltformel
gliche in seinen Anstrengungen, über diese Schranke
sich fortzuheben, einem nach dem Monde trachtenden
Luftschiffer. In seiner aus bewegter Materie aufgebauten
Welt regen sich zwar die Hirnatome wie in stummem
Spiel. Er übersieht ihre Schaaren, er durchschaut ihre
Verschränkungen, aber er versteht nicht ihre Geberde,
sie denken ihm nicht, und deshalb bleibt, wie wir vor¬
hin sahen, seine Welt eigenschaftslos.

An ihm haben wir das Maass unserer eigenen Be¬
fähigung oder vielmehr unserer Ohnmacht. Unser Na¬
turerkennen ist also eingeschlossen zwischen den beiden
Grenzen, welche einerseits die Unfähigkeit, Materie und
Kraft, andererseits das Unvermögen, geistige Vorgänge
aus materiellen Bedingungen zu begreifen, ihm ewig vor¬
schreiben. Innerhalb dieser Grenzen ist der Naturforscher
Herr und Meister, zergliedert er und baut er auf, und
Niemand weiss, wo die Schranke seines Wissens und
seiner Macht liegt; über diese Grenzen hinaus kann er
nicht, und wird er niemals können.

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[28/0036] bedingte. Nicht mehr als im Verstehen von Kraft und Materie hat im Verstehen der Geistesthätigkeit aus ma¬ teriellen Bedingungen die Menschheit seit zweitausend Jahren, trotz allen Entdeckungen der Naturwissenschaft, einen wesentlichen Fortschritt gemacht. Sie wird es nie. Selbst der von Laplace gedachte Geist mit seiner Weltformel gliche in seinen Anstrengungen, über diese Schranke sich fortzuheben, einem nach dem Monde trachtenden Luftschiffer. In seiner aus bewegter Materie aufgebauten Welt regen sich zwar die Hirnatome wie in stummem Spiel. Er übersieht ihre Schaaren, er durchschaut ihre Verschränkungen, aber er versteht nicht ihre Geberde, sie denken ihm nicht, und deshalb bleibt, wie wir vor¬ hin sahen, seine Welt eigenschaftslos. An ihm haben wir das Maass unserer eigenen Be¬ fähigung oder vielmehr unserer Ohnmacht. Unser Na¬ turerkennen ist also eingeschlossen zwischen den beiden Grenzen, welche einerseits die Unfähigkeit, Materie und Kraft, andererseits das Unvermögen, geistige Vorgänge aus materiellen Bedingungen zu begreifen, ihm ewig vor¬ schreiben. Innerhalb dieser Grenzen ist der Naturforscher Herr und Meister, zergliedert er und baut er auf, und Niemand weiss, wo die Schranke seines Wissens und seiner Macht liegt; über diese Grenzen hinaus kann er nicht, und wird er niemals können. Je unbedingter aber der Naturforscher die ihm ge¬

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Zitationshilfe: Du Bois-Reymond, Emil Heinrich: Über die Grenzen des Naturerkennens. Leipzig, 1872, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dubois_naturerkennen_1872/36>, abgerufen am 25.04.2024.