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Du Bois-Reymond, Emil Heinrich: Über die Grenzen des Naturerkennens. Leipzig, 1872.

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Grunde bewusstloses, z. B. ohne Traum schlafendes Ge¬
hirn enthielte, astronomisch durchschaut, kein Geheimniss
mehr, und bei astronomischer Kenntniss auch des übri¬
gen Körpers wäre so die ganze menschliche Maschine,
mit ihrem Athmen, ihrem Herzschlag, ihrem Stoffwechsel,
ihrer Wärme, u. s. f., bis auf das Wesen von Materie
und Kraft, völlig entziffert. Der traumlos Schlafende ist
begreiflich, wie die Welt, ehe es Bewusstsein gab. Wie
aber mit der ersten Regung von Bewusstsein die Welt
doppelt unbegreiflich ward, so wird es auch der Schläfer
wieder mit dem ersten ihm dämmernden Traumbild.

Der unlösliche Widerspruch, in welchem die me¬
chanische Weltanschauung mit der Willensfreiheit, und
dadurch mittelbar mit der Ethik steht, ist sicherlich von
grosser Bedeutung. Der Scharfsinn der Denker aller
Zeiten hat sich daran erschöpft, und wird fortfahren,
daran sich zu üben. Abgesehen davon, dass Freiheit
sich läugnen lässt, Schmerz und Lust nicht, geht dem
Begehren, welches den Anstoss zum Handeln und somit
erst Gelegenheit zum Thun oder Lassen giebt, nothwendig
Sinnesempfindung voraus. Es ist also das Problem der
Sinnesempfindung, und nicht, wie ich einst sagte, das
der Willensfreiheit, bis zu dem die analytische Mechanik
führt.19

Damit ist die andere Grenze unseres Naturerkennens
bezeichnet. Nicht minder als die erste ist sie eine un¬

Grunde bewusstloses, z. B. ohne Traum schlafendes Ge¬
hirn enthielte, astronomisch durchschaut, kein Geheimniss
mehr, und bei astronomischer Kenntniss auch des übri¬
gen Körpers wäre so die ganze menschliche Maschine,
mit ihrem Athmen, ihrem Herzschlag, ihrem Stoffwechsel,
ihrer Wärme, u. s. f., bis auf das Wesen von Materie
und Kraft, völlig entziffert. Der traumlos Schlafende ist
begreiflich, wie die Welt, ehe es Bewusstsein gab. Wie
aber mit der ersten Regung von Bewusstsein die Welt
doppelt unbegreiflich ward, so wird es auch der Schläfer
wieder mit dem ersten ihm dämmernden Traumbild.

Der unlösliche Widerspruch, in welchem die me¬
chanische Weltanschauung mit der Willensfreiheit, und
dadurch mittelbar mit der Ethik steht, ist sicherlich von
grosser Bedeutung. Der Scharfsinn der Denker aller
Zeiten hat sich daran erschöpft, und wird fortfahren,
daran sich zu üben. Abgesehen davon, dass Freiheit
sich läugnen lässt, Schmerz und Lust nicht, geht dem
Begehren, welches den Anstoss zum Handeln und somit
erst Gelegenheit zum Thun oder Lassen giebt, nothwendig
Sinnesempfindung voraus. Es ist also das Problem der
Sinnesempfindung, und nicht, wie ich einst sagte, das
der Willensfreiheit, bis zu dem die analytische Mechanik
führt.19

Damit ist die andere Grenze unseres Naturerkennens
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[27/0035] Grunde bewusstloses, z. B. ohne Traum schlafendes Ge¬ hirn enthielte, astronomisch durchschaut, kein Geheimniss mehr, und bei astronomischer Kenntniss auch des übri¬ gen Körpers wäre so die ganze menschliche Maschine, mit ihrem Athmen, ihrem Herzschlag, ihrem Stoffwechsel, ihrer Wärme, u. s. f., bis auf das Wesen von Materie und Kraft, völlig entziffert. Der traumlos Schlafende ist begreiflich, wie die Welt, ehe es Bewusstsein gab. Wie aber mit der ersten Regung von Bewusstsein die Welt doppelt unbegreiflich ward, so wird es auch der Schläfer wieder mit dem ersten ihm dämmernden Traumbild. Der unlösliche Widerspruch, in welchem die me¬ chanische Weltanschauung mit der Willensfreiheit, und dadurch mittelbar mit der Ethik steht, ist sicherlich von grosser Bedeutung. Der Scharfsinn der Denker aller Zeiten hat sich daran erschöpft, und wird fortfahren, daran sich zu üben. Abgesehen davon, dass Freiheit sich läugnen lässt, Schmerz und Lust nicht, geht dem Begehren, welches den Anstoss zum Handeln und somit erst Gelegenheit zum Thun oder Lassen giebt, nothwendig Sinnesempfindung voraus. Es ist also das Problem der Sinnesempfindung, und nicht, wie ich einst sagte, das der Willensfreiheit, bis zu dem die analytische Mechanik führt. ¹⁹ Damit ist die andere Grenze unseres Naturerkennens bezeichnet. Nicht minder als die erste ist sie eine un¬

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Zitationshilfe: Du Bois-Reymond, Emil Heinrich: Über die Grenzen des Naturerkennens. Leipzig, 1872, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dubois_naturerkennen_1872/35>, abgerufen am 28.03.2024.