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Du Bois-Reymond, Emil Heinrich: Über die Grenzen des Naturerkennens. Leipzig, 1872.

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jetzt. Im Besitze dieser Kenntniss ständen wir vor ihnen
wie heute, als vor einem völlig Unvermittelten. Die
astronomische Kenntniss des Gehirnes, die höchste, die
wir davon erlangen können, enthüllt uns darin nichts als
bewegte Materie. Durch keine zu ersinnende Anordnung
oder Bewegung materieller Theilchen aber lässt sich
eine Brücke in's Reich des Bewusstseins schlagen.

Es scheint zwar bei oberflächlicher Betrachtung, als
könnten durch die Kenntniss der materiellen Vorgänge
im Gehirne gewisse geistige Vorgänge und Anlagen uns
verständlich werden. Ich rechne dahin das Gedächtniss,
den Fluss und die Association der Vorstellungen, die Fol¬
gen der Uebung, die specifischen Talente u. d. m. Das
geringste Nachdenken lehrt, dass dies Täuschung ist.
Nur über gewisse innere Bedingungen des Geistesle¬
bens, welche mit den äusseren durch die Sinneseindrücke
gesetzten etwa gleichbedeutend sind, würden wir unter¬
richtet sein, nicht über das Zustandekommen des Geistes¬
lebens durch diese Bedingungen.

Welche denkbare Verbindung besteht zwischen be¬
stimmten Bewegungen bestimmter Atome in meinem
Gehirn einerseits, andererseits den für mich ursprüng¬
lichen, nicht weiter definirbaren, nicht wegzuläugnenden
Thatsachen: "Ich fühle Schmerz, fühle Lust; ich schmecke
süss, rieche Rosenduft, höre Orgelton, sehe Roth," und
der ebenso unmittelbar daraus fliessenden Gewissheit:

jetzt. Im Besitze dieser Kenntniss ständen wir vor ihnen
wie heute, als vor einem völlig Unvermittelten. Die
astronomische Kenntniss des Gehirnes, die höchste, die
wir davon erlangen können, enthüllt uns darin nichts als
bewegte Materie. Durch keine zu ersinnende Anordnung
oder Bewegung materieller Theilchen aber lässt sich
eine Brücke in's Reich des Bewusstseins schlagen.

Es scheint zwar bei oberflächlicher Betrachtung, als
könnten durch die Kenntniss der materiellen Vorgänge
im Gehirne gewisse geistige Vorgänge und Anlagen uns
verständlich werden. Ich rechne dahin das Gedächtniss,
den Fluss und die Association der Vorstellungen, die Fol¬
gen der Uebung, die specifischen Talente u. d. m. Das
geringste Nachdenken lehrt, dass dies Täuschung ist.
Nur über gewisse innere Bedingungen des Geistesle¬
bens, welche mit den äusseren durch die Sinneseindrücke
gesetzten etwa gleichbedeutend sind, würden wir unter¬
richtet sein, nicht über das Zustandekommen des Geistes¬
lebens durch diese Bedingungen.

Welche denkbare Verbindung besteht zwischen be¬
stimmten Bewegungen bestimmter Atome in meinem
Gehirn einerseits, andererseits den für mich ursprüng¬
lichen, nicht weiter definirbaren, nicht wegzuläugnenden
Thatsachen: „Ich fühle Schmerz, fühle Lust; ich schmecke
süss, rieche Rosenduft, höre Orgelton, sehe Roth,“ und
der ebenso unmittelbar daraus fliessenden Gewissheit:

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[25/0033] jetzt. Im Besitze dieser Kenntniss ständen wir vor ihnen wie heute, als vor einem völlig Unvermittelten. Die astronomische Kenntniss des Gehirnes, die höchste, die wir davon erlangen können, enthüllt uns darin nichts als bewegte Materie. Durch keine zu ersinnende Anordnung oder Bewegung materieller Theilchen aber lässt sich eine Brücke in's Reich des Bewusstseins schlagen. Es scheint zwar bei oberflächlicher Betrachtung, als könnten durch die Kenntniss der materiellen Vorgänge im Gehirne gewisse geistige Vorgänge und Anlagen uns verständlich werden. Ich rechne dahin das Gedächtniss, den Fluss und die Association der Vorstellungen, die Fol¬ gen der Uebung, die specifischen Talente u. d. m. Das geringste Nachdenken lehrt, dass dies Täuschung ist. Nur über gewisse innere Bedingungen des Geistesle¬ bens, welche mit den äusseren durch die Sinneseindrücke gesetzten etwa gleichbedeutend sind, würden wir unter¬ richtet sein, nicht über das Zustandekommen des Geistes¬ lebens durch diese Bedingungen. Welche denkbare Verbindung besteht zwischen be¬ stimmten Bewegungen bestimmter Atome in meinem Gehirn einerseits, andererseits den für mich ursprüng¬ lichen, nicht weiter definirbaren, nicht wegzuläugnenden Thatsachen: „Ich fühle Schmerz, fühle Lust; ich schmecke süss, rieche Rosenduft, höre Orgelton, sehe Roth,“ und der ebenso unmittelbar daraus fliessenden Gewissheit:

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Zitationshilfe: Du Bois-Reymond, Emil Heinrich: Über die Grenzen des Naturerkennens. Leipzig, 1872, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dubois_naturerkennen_1872/33>, abgerufen am 19.04.2024.