Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Du Bois-Reymond, Emil Heinrich: Über die Grenzen des Naturerkennens. Leipzig, 1872.

Bild:
<< vorherige Seite

Dies ist völlig im Einklange mit der Lehre von den
Sinnen. Allem Ermessen nach leiten Sinnesorgane und
-Nerven den zugehörigen Hirnprovinzen oder, wie Joh.
Müller
sie nannte, den Sinnsubstanzen schliesslich einer¬
lei Bewegung zu. Wie in dem von Hrn. Bidder erson¬
nenen, Hrn. Vulpian gelungenen Versuch am Tast- und
Muskelnerven der Zunge Empfindungs- und Bewegungs¬
fasern so mit einander verheilen, dass Erregung von Fa¬
sern der einen Art durch die Narbe auf Fasern der an¬
deren Art übergeht, so würden, wäre der Versuch
möglich, vollends Fasern verschiedener Sinnesnerven mit
einander verschmelzen. Bei über's Kreuz verheilten Seh-
und Hörnerven hörten wir mit dem Auge den Blitz als
Knall, und sähen mit dem Ohre den Donner als Reihe
von Lichteindrücken.3 Die Sinnesempfindung als solche
entsteht also erst in den Sinnsubstanzen. Diese Sub¬
stanzen sind es, welche die in allen Nerven gleichartige
Erregung überhaupt erst in Sinnesempfindung übersetzen,
und dabei je nach ihrer Natur, als Träger der "specifi¬
schen Energien" Joh. Müller's, die Qualität erzeugen.
Das mosaische: Es ward Licht, ist physiologisch falsch.
Licht ward erst, als der erste rothe Augenpunkt eines
Infusoriums zum ersten Male Hell und Dunkel unter¬
schied. Ohne Seh- und ohne Gehörsinnsubstanz wäre
diese farbenglühende, tönende Welt um uns her finster
und stumm.

Dies ist völlig im Einklange mit der Lehre von den
Sinnen. Allem Ermessen nach leiten Sinnesorgane und
-Nerven den zugehörigen Hirnprovinzen oder, wie Joh.
Müller
sie nannte, den Sinnsubstanzen schliesslich einer¬
lei Bewegung zu. Wie in dem von Hrn. Bidder erson¬
nenen, Hrn. Vulpian gelungenen Versuch am Tast- und
Muskelnerven der Zunge Empfindungs- und Bewegungs¬
fasern so mit einander verheilen, dass Erregung von Fa¬
sern der einen Art durch die Narbe auf Fasern der an¬
deren Art übergeht, so würden, wäre der Versuch
möglich, vollends Fasern verschiedener Sinnesnerven mit
einander verschmelzen. Bei über's Kreuz verheilten Seh-
und Hörnerven hörten wir mit dem Auge den Blitz als
Knall, und sähen mit dem Ohre den Donner als Reihe
von Lichteindrücken.3 Die Sinnesempfindung als solche
entsteht also erst in den Sinnsubstanzen. Diese Sub¬
stanzen sind es, welche die in allen Nerven gleichartige
Erregung überhaupt erst in Sinnesempfindung übersetzen,
und dabei je nach ihrer Natur, als Träger der „specifi¬
schen Energien“ Joh. Müller's, die Qualität erzeugen.
Das mosaische: Es ward Licht, ist physiologisch falsch.
Licht ward erst, als der erste rothe Augenpunkt eines
Infusoriums zum ersten Male Hell und Dunkel unter¬
schied. Ohne Seh- und ohne Gehörsinnsubstanz wäre
diese farbenglühende, tönende Welt um uns her finster
und stumm.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0014" n="6"/>
        <p>Dies ist völlig im Einklange mit der Lehre von den<lb/>
Sinnen. Allem Ermessen nach leiten Sinnesorgane und<lb/>
-Nerven den zugehörigen Hirnprovinzen oder, wie <hi rendition="#k">Joh.<lb/>
Müller</hi> sie nannte, den Sinnsubstanzen schliesslich einer¬<lb/>
lei Bewegung zu. Wie in dem von Hrn. <hi rendition="#k">Bidder</hi> erson¬<lb/>
nenen, Hrn. <hi rendition="#k">Vulpian</hi> gelungenen Versuch am Tast- und<lb/>
Muskelnerven der Zunge Empfindungs- und Bewegungs¬<lb/>
fasern so mit einander verheilen, dass Erregung von Fa¬<lb/>
sern der einen Art durch die Narbe auf Fasern der an¬<lb/>
deren Art übergeht, so würden, wäre der Versuch<lb/>
möglich, vollends Fasern verschiedener Sinnesnerven mit<lb/>
einander verschmelzen. Bei über's Kreuz verheilten Seh-<lb/>
und Hörnerven hörten wir mit dem Auge den Blitz als<lb/>
Knall, und sähen mit dem Ohre den Donner als Reihe<lb/>
von Lichteindrücken.<note xml:id="n-3" next="#n-3t" place="end" n="3"/> Die Sinnesempfindung als solche<lb/>
entsteht also erst in den Sinnsubstanzen. Diese Sub¬<lb/>
stanzen sind es, welche die in allen Nerven gleichartige<lb/>
Erregung überhaupt erst in Sinnesempfindung übersetzen,<lb/>
und dabei je nach ihrer Natur, als Träger der &#x201E;specifi¬<lb/>
schen Energien&#x201C; <hi rendition="#k">Joh. Müller's</hi>, die Qualität erzeugen.<lb/>
Das mosaische: Es ward Licht, ist physiologisch falsch.<lb/>
Licht ward erst, als der erste rothe Augenpunkt eines<lb/>
Infusoriums zum ersten Male Hell und Dunkel unter¬<lb/>
schied. Ohne Seh- und ohne Gehörsinnsubstanz wäre<lb/>
diese farbenglühende, tönende Welt um uns her finster<lb/>
und stumm.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[6/0014] Dies ist völlig im Einklange mit der Lehre von den Sinnen. Allem Ermessen nach leiten Sinnesorgane und -Nerven den zugehörigen Hirnprovinzen oder, wie Joh. Müller sie nannte, den Sinnsubstanzen schliesslich einer¬ lei Bewegung zu. Wie in dem von Hrn. Bidder erson¬ nenen, Hrn. Vulpian gelungenen Versuch am Tast- und Muskelnerven der Zunge Empfindungs- und Bewegungs¬ fasern so mit einander verheilen, dass Erregung von Fa¬ sern der einen Art durch die Narbe auf Fasern der an¬ deren Art übergeht, so würden, wäre der Versuch möglich, vollends Fasern verschiedener Sinnesnerven mit einander verschmelzen. Bei über's Kreuz verheilten Seh- und Hörnerven hörten wir mit dem Auge den Blitz als Knall, und sähen mit dem Ohre den Donner als Reihe von Lichteindrücken. ³ Die Sinnesempfindung als solche entsteht also erst in den Sinnsubstanzen. Diese Sub¬ stanzen sind es, welche die in allen Nerven gleichartige Erregung überhaupt erst in Sinnesempfindung übersetzen, und dabei je nach ihrer Natur, als Träger der „specifi¬ schen Energien“ Joh. Müller's, die Qualität erzeugen. Das mosaische: Es ward Licht, ist physiologisch falsch. Licht ward erst, als der erste rothe Augenpunkt eines Infusoriums zum ersten Male Hell und Dunkel unter¬ schied. Ohne Seh- und ohne Gehörsinnsubstanz wäre diese farbenglühende, tönende Welt um uns her finster und stumm.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dubois_naturerkennen_1872
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dubois_naturerkennen_1872/14
Zitationshilfe: Du Bois-Reymond, Emil Heinrich: Über die Grenzen des Naturerkennens. Leipzig, 1872, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dubois_naturerkennen_1872/14>, abgerufen am 28.03.2024.