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Du Bois-Reymond, Emil Heinrich: Über die Grenzen des Naturerkennens. Leipzig, 1872.

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"Geist," sagt Laplace, "der für einen gegebenen Augen¬
"blick alle Kräfte kennte, welche in der Natur wirksam
"sind, und die gegenseitige Lage der Wesen, aus denen
"sie besteht, wenn sonst er umfassend genug wäre, um
"diese Angaben der Analysis zu unterwerfen, würde in
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"körper und des leichtesten Atoms begreifen: nichts
"wäre ungewiss für ihn, und Zukunft wie Vergangenheit
"wäre seinem Blicke gegenwärtig. Der menschliche Ver¬
"stand bietet in der Vollendung, die er der Astronomie
"zu geben gewusst hat, ein schwaches Abbild solchen
"Geistes dar."1

In der That, wie der Astronom nur der Zeit in den
Mondgleichungen einen gewissen negativen Werth zu er¬
theilen braucht, um zu ermitteln, ob, als Perikles nach
Epidaurus sich einschiffte, die Sonne für den Piraeeus
verfinstert ward, so könnte der von Laplace gedachte
Geist durch geeignete Discussion seiner Weltformel uns
sagen, wer die Eiserne Maske war oder wie der "Presi¬
dent" zu Grunde ging. Wie der Astronom den Tag
vorhersagt, an dem nach Jahren ein Komet aus den Tie¬
fen des Weltraumes am Himmelsgewölbe wieder auf¬
taucht, so läse jener Geist in seinen Gleichungen den
Tag, da das griechische Kreuz von der Sophienmoschee
blitzen oder da England seine letzte Steinkohle verbren¬
nen wird. Setzte er in der Weltformel t = -- infinity, so

„Geist,“ sagt Laplace, „der für einen gegebenen Augen¬
„blick alle Kräfte kennte, welche in der Natur wirksam
„sind, und die gegenseitige Lage der Wesen, aus denen
„sie besteht, wenn sonst er umfassend genug wäre, um
„diese Angaben der Analysis zu unterwerfen, würde in
„derselben Formel die Bewegungen der grössten Welt¬
„körper und des leichtesten Atoms begreifen: nichts
„wäre ungewiss für ihn, und Zukunft wie Vergangenheit
„wäre seinem Blicke gegenwärtig. Der menschliche Ver¬
„stand bietet in der Vollendung, die er der Astronomie
„zu geben gewusst hat, ein schwaches Abbild solchen
„Geistes dar.“1

In der That, wie der Astronom nur der Zeit in den
Mondgleichungen einen gewissen negativen Werth zu er¬
theilen braucht, um zu ermitteln, ob, als Perikles nach
Epidaurus sich einschiffte, die Sonne für den Piraeeus
verfinstert ward, so könnte der von Laplace gedachte
Geist durch geeignete Discussion seiner Weltformel uns
sagen, wer die Eiserne Maske war oder wie der „Presi¬
dent“ zu Grunde ging. Wie der Astronom den Tag
vorhersagt, an dem nach Jahren ein Komet aus den Tie¬
fen des Weltraumes am Himmelsgewölbe wieder auf¬
taucht, so läse jener Geist in seinen Gleichungen den
Tag, da das griechische Kreuz von der Sophienmoschee
blitzen oder da England seine letzte Steinkohle verbren¬
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[4/0012] „Geist,“ sagt Laplace, „der für einen gegebenen Augen¬ „blick alle Kräfte kennte, welche in der Natur wirksam „sind, und die gegenseitige Lage der Wesen, aus denen „sie besteht, wenn sonst er umfassend genug wäre, um „diese Angaben der Analysis zu unterwerfen, würde in „derselben Formel die Bewegungen der grössten Welt¬ „körper und des leichtesten Atoms begreifen: nichts „wäre ungewiss für ihn, und Zukunft wie Vergangenheit „wäre seinem Blicke gegenwärtig. Der menschliche Ver¬ „stand bietet in der Vollendung, die er der Astronomie „zu geben gewusst hat, ein schwaches Abbild solchen „Geistes dar.“ ¹ In der That, wie der Astronom nur der Zeit in den Mondgleichungen einen gewissen negativen Werth zu er¬ theilen braucht, um zu ermitteln, ob, als Perikles nach Epidaurus sich einschiffte, die Sonne für den Piraeeus verfinstert ward, so könnte der von Laplace gedachte Geist durch geeignete Discussion seiner Weltformel uns sagen, wer die Eiserne Maske war oder wie der „Presi¬ dent“ zu Grunde ging. Wie der Astronom den Tag vorhersagt, an dem nach Jahren ein Komet aus den Tie¬ fen des Weltraumes am Himmelsgewölbe wieder auf¬ taucht, so läse jener Geist in seinen Gleichungen den Tag, da das griechische Kreuz von der Sophienmoschee blitzen oder da England seine letzte Steinkohle verbren¬ nen wird. Setzte er in der Weltformel t = — ∞, so

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Zitationshilfe: Du Bois-Reymond, Emil Heinrich: Über die Grenzen des Naturerkennens. Leipzig, 1872, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dubois_naturerkennen_1872/12>, abgerufen am 19.04.2024.