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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833].

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seiner Tonne am Cypressenhain des Kraneums. So ging denn
Alexander zu ihm; er fand ihn vor seiner Tonne liegen und sich
sonnen; er begrüßte ihn herablassend und fragte ihn, ob er irgend
einen Wunsch habe? "Geh mir ein wenig aus der Sonne," war
des Philosophen Antwort. Und voll Bewunderung wandte der Kö-
nig sich zu seinem Gefolge: "Beim Zeus, wenn ich nicht Alexan-
der wäre, möchte ich Diogenes sein." In der That, wer nicht die
Kraft in sich fühlt, Alles zu erreichen, dem bleibt der nächste Ruhm,
Alles entbehren zu können; dies ist weise, jenes königlich 54).

Alexander kehrte gegen den Winter nach Macedonien zurück,
um sich zu dem bis jetzt verschobenen Zuge gegen die barbarischen
Völker an der Grenze zu rüsten. Attalus war nicht mehr zu fürch-
ten; Hekatäus mit seinen Macedoniern hatte sich mit Parmenion
vereinigt, und als er Attalus weder geneigt, sich zu unterwerfen,
noch sein eigen Corps, den Feldherrn aus der Mitte seiner Solda-
ten gefangen fortzuführen, bedeutend genug sah, so kam er mit
Parmenion überein, in Gemäßheit des königlichen Befehls den
Hochverräther meuchlings ermorden zu lassen; die verführten Trup-
pen, theils Macedonier, theils Griechische Söldner, kehrten dann
zur Treue zurück 55). So in Asien; in Macedonien selbst hatte
Olympias ihres Sohnes Abwesenheit benutzt, die Wollust der Rache
bis auf den letzten Tropfen zu genießen; der Mord des Königs
war, wenn nicht ihr Werk, doch ihr Wunsch und von ihr begünstigt
gewesen; aber noch lebten die, um deren Willen sie und ihr Sohn
Unwürdiges hatten dulden müssen; auch die junge Wittwe Kleopa-
tra und ihr Säugling sollten sterben. Olympias ließ das Kind im
Schooß der Mutter ermorden, und zwang die Mutter, sich am eige-
nen Gürtel aufzuknüpfen 56). Man muß Alexanders Unwillen

54) Plut. Paus. II. 2. 4. etc. Auf diese Zeit bezieht sich wahr-
scheinlich die artig erfundene Geschichte, die sich bei Alexanders Be-
such in Delphi zugetragen haben soll: da die Pythia nicht weissagen
wollte, weil es nicht der Tag war, so ergriff sie Alexander am Arm,
um sie wider ihren Willen zum Dreifuß zu führen; sie rief: "o
Sohn, du bist unwiderstehlich!" und freudig nahm Alexander ihren
Ausruf als Orakel an.
55) Diod. XVII. 5. Curtius VII. 1. 3.
56) Plut. Alex. 10. Diod. XVII. 2. Justin. IX. 7., nach St. Croix
Emendation; Paus. VIII. 7. erzählt die Todesart abweichend.

ſeiner Tonne am Cypreſſenhain des Kraneums. So ging denn
Alexander zu ihm; er fand ihn vor ſeiner Tonne liegen und ſich
ſonnen; er begrüßte ihn herablaſſend und fragte ihn, ob er irgend
einen Wunſch habe? „Geh mir ein wenig aus der Sonne,“ war
des Philoſophen Antwort. Und voll Bewunderung wandte der Kö-
nig ſich zu ſeinem Gefolge: „Beim Zeus, wenn ich nicht Alexan-
der wäre, möchte ich Diogenes ſein.“ In der That, wer nicht die
Kraft in ſich fühlt, Alles zu erreichen, dem bleibt der nächſte Ruhm,
Alles entbehren zu können; dies iſt weiſe, jenes königlich 54).

Alexander kehrte gegen den Winter nach Macedonien zurück,
um ſich zu dem bis jetzt verſchobenen Zuge gegen die barbariſchen
Völker an der Grenze zu rüſten. Attalus war nicht mehr zu fürch-
ten; Hekatäus mit ſeinen Macedoniern hatte ſich mit Parmenion
vereinigt, und als er Attalus weder geneigt, ſich zu unterwerfen,
noch ſein eigen Corps, den Feldherrn aus der Mitte ſeiner Solda-
ten gefangen fortzuführen, bedeutend genug ſah, ſo kam er mit
Parmenion überein, in Gemäßheit des königlichen Befehls den
Hochverräther meuchlings ermorden zu laſſen; die verführten Trup-
pen, theils Macedonier, theils Griechiſche Söldner, kehrten dann
zur Treue zurück 55). So in Aſien; in Macedonien ſelbſt hatte
Olympias ihres Sohnes Abweſenheit benutzt, die Wolluſt der Rache
bis auf den letzten Tropfen zu genießen; der Mord des Königs
war, wenn nicht ihr Werk, doch ihr Wunſch und von ihr begünſtigt
geweſen; aber noch lebten die, um deren Willen ſie und ihr Sohn
Unwürdiges hatten dulden müſſen; auch die junge Wittwe Kleopa-
tra und ihr Säugling ſollten ſterben. Olympias ließ das Kind im
Schooß der Mutter ermorden, und zwang die Mutter, ſich am eige-
nen Gürtel aufzuknüpfen 56). Man muß Alexanders Unwillen

54) Plut. Paus. II. 2. 4. etc. Auf dieſe Zeit bezieht ſich wahr-
ſcheinlich die artig erfundene Geſchichte, die ſich bei Alexanders Be-
ſuch in Delphi zugetragen haben ſoll: da die Pythia nicht weiſſagen
wollte, weil es nicht der Tag war, ſo ergriff ſie Alexander am Arm,
um ſie wider ihren Willen zum Dreifuß zu führen; ſie rief: „o
Sohn, du biſt unwiderſtehlich!“ und freudig nahm Alexander ihren
Ausruf als Orakel an.
55) Diod. XVII. 5. Curtius VII. 1. 3.
56) Plut. Alex. 10. Diod. XVII. 2. Justin. IX. 7., nach St. Croix
Emendation; Paus. VIII. 7. erzählt die Todesart abweichend.
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[63/0077] ſeiner Tonne am Cypreſſenhain des Kraneums. So ging denn Alexander zu ihm; er fand ihn vor ſeiner Tonne liegen und ſich ſonnen; er begrüßte ihn herablaſſend und fragte ihn, ob er irgend einen Wunſch habe? „Geh mir ein wenig aus der Sonne,“ war des Philoſophen Antwort. Und voll Bewunderung wandte der Kö- nig ſich zu ſeinem Gefolge: „Beim Zeus, wenn ich nicht Alexan- der wäre, möchte ich Diogenes ſein.“ In der That, wer nicht die Kraft in ſich fühlt, Alles zu erreichen, dem bleibt der nächſte Ruhm, Alles entbehren zu können; dies iſt weiſe, jenes königlich 54). Alexander kehrte gegen den Winter nach Macedonien zurück, um ſich zu dem bis jetzt verſchobenen Zuge gegen die barbariſchen Völker an der Grenze zu rüſten. Attalus war nicht mehr zu fürch- ten; Hekatäus mit ſeinen Macedoniern hatte ſich mit Parmenion vereinigt, und als er Attalus weder geneigt, ſich zu unterwerfen, noch ſein eigen Corps, den Feldherrn aus der Mitte ſeiner Solda- ten gefangen fortzuführen, bedeutend genug ſah, ſo kam er mit Parmenion überein, in Gemäßheit des königlichen Befehls den Hochverräther meuchlings ermorden zu laſſen; die verführten Trup- pen, theils Macedonier, theils Griechiſche Söldner, kehrten dann zur Treue zurück 55). So in Aſien; in Macedonien ſelbſt hatte Olympias ihres Sohnes Abweſenheit benutzt, die Wolluſt der Rache bis auf den letzten Tropfen zu genießen; der Mord des Königs war, wenn nicht ihr Werk, doch ihr Wunſch und von ihr begünſtigt geweſen; aber noch lebten die, um deren Willen ſie und ihr Sohn Unwürdiges hatten dulden müſſen; auch die junge Wittwe Kleopa- tra und ihr Säugling ſollten ſterben. Olympias ließ das Kind im Schooß der Mutter ermorden, und zwang die Mutter, ſich am eige- nen Gürtel aufzuknüpfen 56). Man muß Alexanders Unwillen 54) Plut. Paus. II. 2. 4. etc. Auf dieſe Zeit bezieht ſich wahr- ſcheinlich die artig erfundene Geſchichte, die ſich bei Alexanders Be- ſuch in Delphi zugetragen haben ſoll: da die Pythia nicht weiſſagen wollte, weil es nicht der Tag war, ſo ergriff ſie Alexander am Arm, um ſie wider ihren Willen zum Dreifuß zu führen; ſie rief: „o Sohn, du biſt unwiderſtehlich!“ und freudig nahm Alexander ihren Ausruf als Orakel an. 55) Diod. XVII. 5. Curtius VII. 1. 3. 56) Plut. Alex. 10. Diod. XVII. 2. Justin. IX. 7., nach St. Croix Emendation; Paus. VIII. 7. erzählt die Todesart abweichend.

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Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/77>, abgerufen am 23.04.2024.