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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833].

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gen, wie sie namentlich durch Archelaos ins Leben getreten waren, eine
Reaction hervorgerufen zu sein, welche durch die neuen Elemente, die
Macedonien bereits in sich aufgenommen, nur desto heftiger und
gefährlicher werden mußte. So lange Archelaos herrschte, wagte
kein Unwille laut zu werden; aber als mit seinem Tode das
Reich an seinen unmündigen Sohn Orestes überging, da schien es
Zeit gegen das Neue anzukämpfen, und die alte gute Zeit wieder
in ihr Recht einzusetzen, eine Tendenz, die ihrer Natur nach den
hohen und herrschenden Geschlechtern angehören mußte, da nur sie
durch die Förderung des Volkes und der Bildung im Volke, so
wie durch die höhere und einflußreichere Stellung des Königthums
beeinträchtigt sein konnten, wogegen das Volk selbst, wie es scheint,
an allen den folgenden Kämpfen und Zerwürfnissen nicht viel An-
theil gehabt hat, sondern die einmal aufgenommenen Elemente
langsam und ruhig sich weiter entwickeln ließ. Das Genauere jener
Bewegungen ist dunkel; doch bestätigen die wenigen Andeutungen,
die sich vorfinden, diese Ansicht. Aeropus, der Reichsweser und
Verwandter des königlichen Hauses, raubte dem königlichen Knaben
Krone und Leben; Aeropus stammte wahrscheinlich aus dem alten
Bacchiadischen Fürstengeschlecht der Lynkestier 8), das mit dem Kö-
nigshause verschwägert war; was er und seine Familie in den näch-
sten Zeiten ausgeführt, bezeichnet sie als Gegner der neuen Ord-
nung der Dinge und als Vertreter des Althergebrachten. Es ist
begreiflich, wie durch eine Partheiansicht, für welche sich der fürst-
liche Adel des Landes entscheiden mußte, Aeropus den Thron be-
haupten und auf seinen Sohn Pausanias vererben konnte. Aber
die Anhänglichkeit für die königliche Heraklidenfamilie war zu groß,
als daß sich die Usurpation für lange gegen ihre gerechten An-
sprüche hätte halten können. Obschon aus der jüngeren Linie des
königlichen Hauses entsprungen, begann Amyntas den Kampf gegen
Pausanias, und entriß ihm den Thron; sein kühnes Auftreten und
die trefflichen Eigenschaften, die er als Herrscher entwickelte, moch-

8) Diese Wahrscheinlichkeit gründet sich namentlich darauf, daß
der Lynkestier Alexander, eines Aeropus Sohn, späterhin in der Hoff-
nung auf den Macedonischen Thron Verbindungen mit dem Perser-
könige angeknüpft hat.

gen, wie ſie namentlich durch Archelaos ins Leben getreten waren, eine
Reaction hervorgerufen zu ſein, welche durch die neuen Elemente, die
Macedonien bereits in ſich aufgenommen, nur deſto heftiger und
gefährlicher werden mußte. So lange Archelaos herrſchte, wagte
kein Unwille laut zu werden; aber als mit ſeinem Tode das
Reich an ſeinen unmündigen Sohn Oreſtes überging, da ſchien es
Zeit gegen das Neue anzukämpfen, und die alte gute Zeit wieder
in ihr Recht einzuſetzen, eine Tendenz, die ihrer Natur nach den
hohen und herrſchenden Geſchlechtern angehören mußte, da nur ſie
durch die Förderung des Volkes und der Bildung im Volke, ſo
wie durch die höhere und einflußreichere Stellung des Königthums
beeinträchtigt ſein konnten, wogegen das Volk ſelbſt, wie es ſcheint,
an allen den folgenden Kämpfen und Zerwürfniſſen nicht viel An-
theil gehabt hat, ſondern die einmal aufgenommenen Elemente
langſam und ruhig ſich weiter entwickeln ließ. Das Genauere jener
Bewegungen iſt dunkel; doch beſtätigen die wenigen Andeutungen,
die ſich vorfinden, dieſe Anſicht. Aeropus, der Reichsweſer und
Verwandter des königlichen Hauſes, raubte dem königlichen Knaben
Krone und Leben; Aeropus ſtammte wahrſcheinlich aus dem alten
Bacchiadiſchen Fürſtengeſchlecht der Lynkeſtier 8), das mit dem Kö-
nigshauſe verſchwägert war; was er und ſeine Familie in den näch-
ſten Zeiten ausgeführt, bezeichnet ſie als Gegner der neuen Ord-
nung der Dinge und als Vertreter des Althergebrachten. Es iſt
begreiflich, wie durch eine Partheianſicht, für welche ſich der fürſt-
liche Adel des Landes entſcheiden mußte, Aeropus den Thron be-
haupten und auf ſeinen Sohn Pauſanias vererben konnte. Aber
die Anhänglichkeit für die königliche Heraklidenfamilie war zu groß,
als daß ſich die Uſurpation für lange gegen ihre gerechten An-
ſprüche hätte halten können. Obſchon aus der jüngeren Linie des
königlichen Hauſes entſprungen, begann Amyntas den Kampf gegen
Pauſanias, und entriß ihm den Thron; ſein kühnes Auftreten und
die trefflichen Eigenſchaften, die er als Herrſcher entwickelte, moch-

8) Dieſe Wahrſcheinlichkeit gründet ſich namentlich darauf, daß
der Lynkeſtier Alexander, eines Aeropus Sohn, ſpäterhin in der Hoff-
nung auf den Macedoniſchen Thron Verbindungen mit dem Perſer-
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[38/0052] gen, wie ſie namentlich durch Archelaos ins Leben getreten waren, eine Reaction hervorgerufen zu ſein, welche durch die neuen Elemente, die Macedonien bereits in ſich aufgenommen, nur deſto heftiger und gefährlicher werden mußte. So lange Archelaos herrſchte, wagte kein Unwille laut zu werden; aber als mit ſeinem Tode das Reich an ſeinen unmündigen Sohn Oreſtes überging, da ſchien es Zeit gegen das Neue anzukämpfen, und die alte gute Zeit wieder in ihr Recht einzuſetzen, eine Tendenz, die ihrer Natur nach den hohen und herrſchenden Geſchlechtern angehören mußte, da nur ſie durch die Förderung des Volkes und der Bildung im Volke, ſo wie durch die höhere und einflußreichere Stellung des Königthums beeinträchtigt ſein konnten, wogegen das Volk ſelbſt, wie es ſcheint, an allen den folgenden Kämpfen und Zerwürfniſſen nicht viel An- theil gehabt hat, ſondern die einmal aufgenommenen Elemente langſam und ruhig ſich weiter entwickeln ließ. Das Genauere jener Bewegungen iſt dunkel; doch beſtätigen die wenigen Andeutungen, die ſich vorfinden, dieſe Anſicht. Aeropus, der Reichsweſer und Verwandter des königlichen Hauſes, raubte dem königlichen Knaben Krone und Leben; Aeropus ſtammte wahrſcheinlich aus dem alten Bacchiadiſchen Fürſtengeſchlecht der Lynkeſtier 8), das mit dem Kö- nigshauſe verſchwägert war; was er und ſeine Familie in den näch- ſten Zeiten ausgeführt, bezeichnet ſie als Gegner der neuen Ord- nung der Dinge und als Vertreter des Althergebrachten. Es iſt begreiflich, wie durch eine Partheianſicht, für welche ſich der fürſt- liche Adel des Landes entſcheiden mußte, Aeropus den Thron be- haupten und auf ſeinen Sohn Pauſanias vererben konnte. Aber die Anhänglichkeit für die königliche Heraklidenfamilie war zu groß, als daß ſich die Uſurpation für lange gegen ihre gerechten An- ſprüche hätte halten können. Obſchon aus der jüngeren Linie des königlichen Hauſes entſprungen, begann Amyntas den Kampf gegen Pauſanias, und entriß ihm den Thron; ſein kühnes Auftreten und die trefflichen Eigenſchaften, die er als Herrſcher entwickelte, moch- 8) Dieſe Wahrſcheinlichkeit gründet ſich namentlich darauf, daß der Lynkeſtier Alexander, eines Aeropus Sohn, ſpäterhin in der Hoff- nung auf den Macedoniſchen Thron Verbindungen mit dem Perſer- könige angeknüpft hat.

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Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/52>, abgerufen am 24.04.2024.