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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833].

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das ernstere Mittel der Beschämung und seiner Unzufriedenheit;
er entzog sich den Blicken seiner Getreuen, er ließ sie seinen bit-
tern Unwillen fühlen, er hoffte, sie durch Schaam und Reue aus
ihrem Elend und ihrer Demoralisation empor zu reißen; und mit
tiefer Trauer sahen die Veteranen, daß ihr König zürne, zu er-
mannen vermochten sie sich nicht. Drei Tage herrschte im Lager
das qualvolle Schweigen; Alexander mußte erkennen, daß alles
Bemühen vergeblich, neue Versuche gefährlich seien, daß seine
Größe an den Grenzen der Endlichkeit stehe, daß er nicht an den
Ufern des Ganges die Palme der schönsten Siege brechen sollte.
Er ließ an den Ufern des Stromes die Opfer zum Uebergange
feiern, und die gnädigen Götter weigerten ihm die günstigen Zei-
chen der weiteren Heerfahrt; sie geboten, heim zu kehren. Der
Ruf zur Heimkehr, der nun durch das Lager ertönte, wirkte wie
ein Zauber auf die Gemüther der Macedonier, jetzt war das Lei-
den vergessen, jetzt Alles Hoffnung und Jubel, jetzt in Allen neue
Kraft und neuer Muth, und es ist glaublich, daß von allen Ma-
cedoniern Alexander allein trauernd gen Abend blickte. --

Es ist bemerkenswerth, das diese Umkehr am Hyphasis, im
Sinne des Heldenlebens und der Hoffnungen Alexanders die er-
schütternde Katastrophe, zu gleicher Zeit nothwendig im Sinne sei-
nes geschichtlichen Berufes, vorbereitet und vorgedeutet im Zusam-
menhange seiner Unternehmungen genannt werden muß. Man
kann es nicht läugnen, daß der weitere Feldzug gen Osten den
Westen so gut wie Preis gegeben hätte; schon jetzt waren aus
den Persischen und Syrischen Provinzen Berichte eingegangen, die
deutlich genug zeigten, welche Folgen von einer noch längeren Ab-
wesenheit des Königs, von der noch weiteren Entfernung der
streitbaren Macht zu erwarten waren; Unordnungen aller Art,
Bedrückungen gegen die Unterthanen, Anmaaßungen der Satrapen,
gefährliche Wünsche und verbrecherische Versuche von Persischen
und Macedonischen Großen, die, während Alexander an den In-
dus hinabgezogen war, sich ohne Aufsicht und Verantwortung zu
fühlen begannen, hätten durch einen weiteren Feldzug in die Gan-
gesländer ungefährdet weiter wuchern und vielleicht zu einer voll-
kommenen Auflösung des noch keinesweges fest gegründeten Rei-
ches führen können. Selbst aber angenommen, daß der außeror-

das ernſtere Mittel der Beſchaͤmung und ſeiner Unzufriedenheit;
er entzog ſich den Blicken ſeiner Getreuen, er ließ ſie ſeinen bit-
tern Unwillen fuͤhlen, er hoffte, ſie durch Schaam und Reue aus
ihrem Elend und ihrer Demoraliſation empor zu reißen; und mit
tiefer Trauer ſahen die Veteranen, daß ihr Koͤnig zuͤrne, zu er-
mannen vermochten ſie ſich nicht. Drei Tage herrſchte im Lager
das qualvolle Schweigen; Alexander mußte erkennen, daß alles
Bemuͤhen vergeblich, neue Verſuche gefaͤhrlich ſeien, daß ſeine
Groͤße an den Grenzen der Endlichkeit ſtehe, daß er nicht an den
Ufern des Ganges die Palme der ſchoͤnſten Siege brechen ſollte.
Er ließ an den Ufern des Stromes die Opfer zum Uebergange
feiern, und die gnaͤdigen Goͤtter weigerten ihm die guͤnſtigen Zei-
chen der weiteren Heerfahrt; ſie geboten, heim zu kehren. Der
Ruf zur Heimkehr, der nun durch das Lager ertoͤnte, wirkte wie
ein Zauber auf die Gemuͤther der Macedonier, jetzt war das Lei-
den vergeſſen, jetzt Alles Hoffnung und Jubel, jetzt in Allen neue
Kraft und neuer Muth, und es iſt glaublich, daß von allen Ma-
cedoniern Alexander allein trauernd gen Abend blickte. —

Es iſt bemerkenswerth, das dieſe Umkehr am Hyphaſis, im
Sinne des Heldenlebens und der Hoffnungen Alexanders die er-
ſchuͤtternde Kataſtrophe, zu gleicher Zeit nothwendig im Sinne ſei-
nes geſchichtlichen Berufes, vorbereitet und vorgedeutet im Zuſam-
menhange ſeiner Unternehmungen genannt werden muß. Man
kann es nicht laͤugnen, daß der weitere Feldzug gen Oſten den
Weſten ſo gut wie Preis gegeben haͤtte; ſchon jetzt waren aus
den Perſiſchen und Syriſchen Provinzen Berichte eingegangen, die
deutlich genug zeigten, welche Folgen von einer noch laͤngeren Ab-
weſenheit des Koͤnigs, von der noch weiteren Entfernung der
ſtreitbaren Macht zu erwarten waren; Unordnungen aller Art,
Bedruͤckungen gegen die Unterthanen, Anmaaßungen der Satrapen,
gefaͤhrliche Wuͤnſche und verbrecheriſche Verſuche von Perſiſchen
und Macedoniſchen Großen, die, waͤhrend Alexander an den In-
dus hinabgezogen war, ſich ohne Aufſicht und Verantwortung zu
fuͤhlen begannen, haͤtten durch einen weiteren Feldzug in die Gan-
geslaͤnder ungefaͤhrdet weiter wuchern und vielleicht zu einer voll-
kommenen Aufloͤſung des noch keinesweges feſt gegruͤndeten Rei-
ches fuͤhren koͤnnen. Selbſt aber angenommen, daß der außeror-

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[420/0434] das ernſtere Mittel der Beſchaͤmung und ſeiner Unzufriedenheit; er entzog ſich den Blicken ſeiner Getreuen, er ließ ſie ſeinen bit- tern Unwillen fuͤhlen, er hoffte, ſie durch Schaam und Reue aus ihrem Elend und ihrer Demoraliſation empor zu reißen; und mit tiefer Trauer ſahen die Veteranen, daß ihr Koͤnig zuͤrne, zu er- mannen vermochten ſie ſich nicht. Drei Tage herrſchte im Lager das qualvolle Schweigen; Alexander mußte erkennen, daß alles Bemuͤhen vergeblich, neue Verſuche gefaͤhrlich ſeien, daß ſeine Groͤße an den Grenzen der Endlichkeit ſtehe, daß er nicht an den Ufern des Ganges die Palme der ſchoͤnſten Siege brechen ſollte. Er ließ an den Ufern des Stromes die Opfer zum Uebergange feiern, und die gnaͤdigen Goͤtter weigerten ihm die guͤnſtigen Zei- chen der weiteren Heerfahrt; ſie geboten, heim zu kehren. Der Ruf zur Heimkehr, der nun durch das Lager ertoͤnte, wirkte wie ein Zauber auf die Gemuͤther der Macedonier, jetzt war das Lei- den vergeſſen, jetzt Alles Hoffnung und Jubel, jetzt in Allen neue Kraft und neuer Muth, und es iſt glaublich, daß von allen Ma- cedoniern Alexander allein trauernd gen Abend blickte. — Es iſt bemerkenswerth, das dieſe Umkehr am Hyphaſis, im Sinne des Heldenlebens und der Hoffnungen Alexanders die er- ſchuͤtternde Kataſtrophe, zu gleicher Zeit nothwendig im Sinne ſei- nes geſchichtlichen Berufes, vorbereitet und vorgedeutet im Zuſam- menhange ſeiner Unternehmungen genannt werden muß. Man kann es nicht laͤugnen, daß der weitere Feldzug gen Oſten den Weſten ſo gut wie Preis gegeben haͤtte; ſchon jetzt waren aus den Perſiſchen und Syriſchen Provinzen Berichte eingegangen, die deutlich genug zeigten, welche Folgen von einer noch laͤngeren Ab- weſenheit des Koͤnigs, von der noch weiteren Entfernung der ſtreitbaren Macht zu erwarten waren; Unordnungen aller Art, Bedruͤckungen gegen die Unterthanen, Anmaaßungen der Satrapen, gefaͤhrliche Wuͤnſche und verbrecheriſche Verſuche von Perſiſchen und Macedoniſchen Großen, die, waͤhrend Alexander an den In- dus hinabgezogen war, ſich ohne Aufſicht und Verantwortung zu fuͤhlen begannen, haͤtten durch einen weiteren Feldzug in die Gan- geslaͤnder ungefaͤhrdet weiter wuchern und vielleicht zu einer voll- kommenen Aufloͤſung des noch keinesweges feſt gegruͤndeten Rei- ches fuͤhren koͤnnen. Selbſt aber angenommen, daß der außeror-

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Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 420. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/434>, abgerufen am 18.04.2024.