Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833].

Bild:
<< vorherige Seite

fende Siechthum, durch die unablässige Qual der Witterung, der
Entbehrung, der schlechten Wege und unaufhörlichen Märsche,
durch die gräßliche Steigerung des Elends, der Sterblichkeit und
der Hoffnungslosigkeit die moralische Kraft mit der physischen zu-
gleich gebrochen sein mußte, -- und man wird es begreiflich fin-
den, daß in diesem sonst so kriegsrüstigen und enthusiastischen
Heere Mismuth, Heimweh, Erschlaffung, Indolenz einreißen
konnte. Und wenn Alexander jener Stimmung im Heere und
der Weigerung weiterer Heeresfolge nicht mit rücksichtsloser
Strenge entgegen zu treten wagte, sondern, statt sie durch alle
Mittel soldatischer Disciplin zu brechen und zu strafen, ihr endlich
nachgab, so ist dieß der entschiedenste Beweis, daß ihr nicht Meu-
terei und Haß gegen den Feldherrn zum Grunde lag, sondern daß
sie die nur zu begreifliche Folge jener endlosen Leiden der letzten
drei Monate war.

Wohl scheint es der höchste Wunsch Alexanders gewesen zu
sein, seine siegreichen Waffen bis zum Ganges und bis zum Meere
im Osten hinaus zu tragen; die Berichte von der colossalen Macht
der Fürsten am Ganges, von den unendlichen Schätzen der dorti-
gen Residenzen, von allen Wundern des fernen Ostens, wie er sie
in Europa und Asien hatte preisen hören, nicht minder das Ver-
langen, in dem östlichen Meere eine Grenze der Siege und neue
Wege zu Entdeckungen und Weltverbindungen zu finden, vor Al-
lem aber jenes dunkle und geheimnißvolle Verhängniß der Größe,
jenseits des Erreichbaren ihr Ziel zu suchen, dieß Alles mag in
den Tagen am Hyphasis Alexanders Geist erfüllt und ihn zu je-
nen äußersten Versuchen, über das Unglück und die Stimmung
seiner Truppen Herr zu werden, gebracht haben. Er mochte hof-
fen, daß die begeisternde Kühnheit seines neuen Planes, daß die
große Zukunft, die er dem ermattenden Blicke seiner Macedonier
zeigte, daß sein Aufruf und der kühne Enthusiasmus eines unab-
lässigen Vorwärts sein Heer alles Leiden vergessen lassen und mit
neuer Kraft durchflammen werde. Er hatte sich geirrt; Ohnmacht
und Klage war das Echo seines Aufrufs. Der König versuchte

mentlich unter die Pferde eine große Sterblichkeit. Chereffeddin
IV. 13. p. 59
.
27 *

fende Siechthum, durch die unablaͤſſige Qual der Witterung, der
Entbehrung, der ſchlechten Wege und unaufhoͤrlichen Maͤrſche,
durch die graͤßliche Steigerung des Elends, der Sterblichkeit und
der Hoffnungsloſigkeit die moraliſche Kraft mit der phyſiſchen zu-
gleich gebrochen ſein mußte, — und man wird es begreiflich fin-
den, daß in dieſem ſonſt ſo kriegsruͤſtigen und enthuſiaſtiſchen
Heere Mismuth, Heimweh, Erſchlaffung, Indolenz einreißen
konnte. Und wenn Alexander jener Stimmung im Heere und
der Weigerung weiterer Heeresfolge nicht mit ruͤckſichtsloſer
Strenge entgegen zu treten wagte, ſondern, ſtatt ſie durch alle
Mittel ſoldatiſcher Disciplin zu brechen und zu ſtrafen, ihr endlich
nachgab, ſo iſt dieß der entſchiedenſte Beweis, daß ihr nicht Meu-
terei und Haß gegen den Feldherrn zum Grunde lag, ſondern daß
ſie die nur zu begreifliche Folge jener endloſen Leiden der letzten
drei Monate war.

Wohl ſcheint es der hoͤchſte Wunſch Alexanders geweſen zu
ſein, ſeine ſiegreichen Waffen bis zum Ganges und bis zum Meere
im Oſten hinaus zu tragen; die Berichte von der coloſſalen Macht
der Fuͤrſten am Ganges, von den unendlichen Schaͤtzen der dorti-
gen Reſidenzen, von allen Wundern des fernen Oſtens, wie er ſie
in Europa und Aſien hatte preiſen hoͤren, nicht minder das Ver-
langen, in dem oͤſtlichen Meere eine Grenze der Siege und neue
Wege zu Entdeckungen und Weltverbindungen zu finden, vor Al-
lem aber jenes dunkle und geheimnißvolle Verhaͤngniß der Groͤße,
jenſeits des Erreichbaren ihr Ziel zu ſuchen, dieß Alles mag in
den Tagen am Hyphaſis Alexanders Geiſt erfuͤllt und ihn zu je-
nen aͤußerſten Verſuchen, uͤber das Ungluͤck und die Stimmung
ſeiner Truppen Herr zu werden, gebracht haben. Er mochte hof-
fen, daß die begeiſternde Kuͤhnheit ſeines neuen Planes, daß die
große Zukunft, die er dem ermattenden Blicke ſeiner Macedonier
zeigte, daß ſein Aufruf und der kuͤhne Enthuſiasmus eines unab-
laͤſſigen Vorwaͤrts ſein Heer alles Leiden vergeſſen laſſen und mit
neuer Kraft durchflammen werde. Er hatte ſich geirrt; Ohnmacht
und Klage war das Echo ſeines Aufrufs. Der Koͤnig verſuchte

mentlich unter die Pferde eine große Sterblichkeit. Chereffeddin
IV. 13. p. 59
.
27 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0433" n="419"/>
fende Siechthum, durch die unabla&#x0364;&#x017F;&#x017F;ige Qual der Witterung, der<lb/>
Entbehrung, der &#x017F;chlechten Wege und unaufho&#x0364;rlichen Ma&#x0364;r&#x017F;che,<lb/>
durch die gra&#x0364;ßliche Steigerung des Elends, der Sterblichkeit und<lb/>
der Hoffnungslo&#x017F;igkeit die morali&#x017F;che Kraft mit der phy&#x017F;i&#x017F;chen zu-<lb/>
gleich gebrochen &#x017F;ein mußte, &#x2014; und man wird es begreiflich fin-<lb/>
den, daß in die&#x017F;em &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;o kriegsru&#x0364;&#x017F;tigen und enthu&#x017F;ia&#x017F;ti&#x017F;chen<lb/>
Heere Mismuth, Heimweh, Er&#x017F;chlaffung, Indolenz einreißen<lb/>
konnte. Und wenn Alexander jener Stimmung im Heere und<lb/>
der Weigerung weiterer Heeresfolge nicht mit ru&#x0364;ck&#x017F;ichtslo&#x017F;er<lb/>
Strenge entgegen zu treten wagte, &#x017F;ondern, &#x017F;tatt &#x017F;ie durch alle<lb/>
Mittel &#x017F;oldati&#x017F;cher Disciplin zu brechen und zu &#x017F;trafen, ihr endlich<lb/>
nachgab, &#x017F;o i&#x017F;t dieß der ent&#x017F;chieden&#x017F;te Beweis, daß ihr nicht Meu-<lb/>
terei und Haß gegen den Feldherrn zum Grunde lag, &#x017F;ondern daß<lb/>
&#x017F;ie die nur zu begreifliche Folge jener endlo&#x017F;en Leiden der letzten<lb/>
drei Monate war.</p><lb/>
          <p>Wohl &#x017F;cheint es der ho&#x0364;ch&#x017F;te Wun&#x017F;ch Alexanders gewe&#x017F;en zu<lb/>
&#x017F;ein, &#x017F;eine &#x017F;iegreichen Waffen bis zum Ganges und bis zum Meere<lb/>
im O&#x017F;ten hinaus zu tragen; die Berichte von der colo&#x017F;&#x017F;alen Macht<lb/>
der Fu&#x0364;r&#x017F;ten am Ganges, von den unendlichen Scha&#x0364;tzen der dorti-<lb/>
gen Re&#x017F;idenzen, von allen Wundern des fernen O&#x017F;tens, wie er &#x017F;ie<lb/>
in Europa und A&#x017F;ien hatte prei&#x017F;en ho&#x0364;ren, nicht minder das Ver-<lb/>
langen, in dem o&#x0364;&#x017F;tlichen Meere eine Grenze der Siege und neue<lb/>
Wege zu Entdeckungen und Weltverbindungen zu finden, vor Al-<lb/>
lem aber jenes dunkle und geheimnißvolle Verha&#x0364;ngniß der Gro&#x0364;ße,<lb/>
jen&#x017F;eits des Erreichbaren ihr Ziel zu &#x017F;uchen, dieß Alles mag in<lb/>
den Tagen am Hypha&#x017F;is Alexanders Gei&#x017F;t erfu&#x0364;llt und ihn zu je-<lb/>
nen a&#x0364;ußer&#x017F;ten Ver&#x017F;uchen, u&#x0364;ber das Unglu&#x0364;ck und die Stimmung<lb/>
&#x017F;einer Truppen Herr zu werden, gebracht haben. Er mochte hof-<lb/>
fen, daß die begei&#x017F;ternde Ku&#x0364;hnheit &#x017F;eines neuen Planes, daß die<lb/>
große Zukunft, die er dem ermattenden Blicke &#x017F;einer Macedonier<lb/>
zeigte, daß &#x017F;ein Aufruf und der ku&#x0364;hne Enthu&#x017F;iasmus eines unab-<lb/>
la&#x0364;&#x017F;&#x017F;igen Vorwa&#x0364;rts &#x017F;ein Heer alles Leiden verge&#x017F;&#x017F;en la&#x017F;&#x017F;en und mit<lb/>
neuer Kraft durchflammen werde. Er hatte &#x017F;ich geirrt; Ohnmacht<lb/>
und Klage war das Echo &#x017F;eines Aufrufs. Der Ko&#x0364;nig ver&#x017F;uchte<lb/><note xml:id="note-0433" prev="#note-0432" place="foot" n="75)">mentlich unter die Pferde eine große Sterblichkeit. <hi rendition="#aq">Chereffeddin<lb/>
IV. 13. p. 59</hi>.</note><lb/>
<fw place="bottom" type="sig">27 *</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[419/0433] fende Siechthum, durch die unablaͤſſige Qual der Witterung, der Entbehrung, der ſchlechten Wege und unaufhoͤrlichen Maͤrſche, durch die graͤßliche Steigerung des Elends, der Sterblichkeit und der Hoffnungsloſigkeit die moraliſche Kraft mit der phyſiſchen zu- gleich gebrochen ſein mußte, — und man wird es begreiflich fin- den, daß in dieſem ſonſt ſo kriegsruͤſtigen und enthuſiaſtiſchen Heere Mismuth, Heimweh, Erſchlaffung, Indolenz einreißen konnte. Und wenn Alexander jener Stimmung im Heere und der Weigerung weiterer Heeresfolge nicht mit ruͤckſichtsloſer Strenge entgegen zu treten wagte, ſondern, ſtatt ſie durch alle Mittel ſoldatiſcher Disciplin zu brechen und zu ſtrafen, ihr endlich nachgab, ſo iſt dieß der entſchiedenſte Beweis, daß ihr nicht Meu- terei und Haß gegen den Feldherrn zum Grunde lag, ſondern daß ſie die nur zu begreifliche Folge jener endloſen Leiden der letzten drei Monate war. Wohl ſcheint es der hoͤchſte Wunſch Alexanders geweſen zu ſein, ſeine ſiegreichen Waffen bis zum Ganges und bis zum Meere im Oſten hinaus zu tragen; die Berichte von der coloſſalen Macht der Fuͤrſten am Ganges, von den unendlichen Schaͤtzen der dorti- gen Reſidenzen, von allen Wundern des fernen Oſtens, wie er ſie in Europa und Aſien hatte preiſen hoͤren, nicht minder das Ver- langen, in dem oͤſtlichen Meere eine Grenze der Siege und neue Wege zu Entdeckungen und Weltverbindungen zu finden, vor Al- lem aber jenes dunkle und geheimnißvolle Verhaͤngniß der Groͤße, jenſeits des Erreichbaren ihr Ziel zu ſuchen, dieß Alles mag in den Tagen am Hyphaſis Alexanders Geiſt erfuͤllt und ihn zu je- nen aͤußerſten Verſuchen, uͤber das Ungluͤck und die Stimmung ſeiner Truppen Herr zu werden, gebracht haben. Er mochte hof- fen, daß die begeiſternde Kuͤhnheit ſeines neuen Planes, daß die große Zukunft, die er dem ermattenden Blicke ſeiner Macedonier zeigte, daß ſein Aufruf und der kuͤhne Enthuſiasmus eines unab- laͤſſigen Vorwaͤrts ſein Heer alles Leiden vergeſſen laſſen und mit neuer Kraft durchflammen werde. Er hatte ſich geirrt; Ohnmacht und Klage war das Echo ſeines Aufrufs. Der Koͤnig verſuchte 75) 75) mentlich unter die Pferde eine große Sterblichkeit. Chereffeddin IV. 13. p. 59. 27 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/433
Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 419. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/433>, abgerufen am 20.04.2024.