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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833].

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dem das Reich anheim fallen mußte, sobald es aufhörte siegend und
erobernd vorzudringen; einer innern Entwickelung unfähig, versank
es seit dem Tage von Salamis tiefer und tiefer in Ohnmacht und
Entartung. Diese offenbarte sich als Erschlaffung der despotischen
Kraft in den folgenden Herrschern und in dem damit überhand
nehmenden Einfluß des Harems und des Hofes; bald folgte von
der andern Seite das Streben der Völker, ihre Nationalität und die
alte Selbstständigkeit wieder zu erringen; je glücklicher dagegen die
Satrapen ankämpften, und je unfähiger sie den persönlichen Willen
und die Kraft ihres Königs sahen, desto natürlicher war ihr Ver-
langen nach selbstständiger und erblicher Herrschaft in ihren Satrapien.

Schon die Regierung des ersten Artaxerxes wurde durch
eine Reihe gefährlicher Empörungen beunruhigt; sein Bruder suchte
sich in Baktrien unabhängig zu machen, Aegypten, von den Athe-
nern unterstützt, die einheimische Regentenfamilie wieder zur Herr-
schaft zu bringen, der edle Megabazus durch wiederholte Empörun-
gen sich und seinen Eid zu retten; und wenn es dem Könige auch
gelang, im Innern des Reiches den Schein seiner Macht zu be-
wahren, so mußte er doch den schmachvollen Bedingungen des Ci-
monischen Friedens faktisch die Bestätigung geben, daß sie Persischer
Seits nicht übertreten wurden.

Bei seinem Tode zeigte sich in der Ermordung des rechtmäßi-
gen Thronerben und den Kabalen der Weiber und Eunuchen bereits
die tiefe Entartung im Herzen der Persischen Macht. Als endlich
das Reich in der Hand seines Bastards Darius Ochus blieb,
wurden zwar die Empörungen mehrerer Großen und die frechen
Pläne eines Eunuchen, der selbst schon nach dem Diadem trachtete,
vernichtet, aber dem Aufstande in Aegypten war der große König
nicht mehr gewachsen, er mußte dem Volke einen Fürsten aus dem
alten Saitengeschlechte bestätigen und sich mit einem Tribute begnü-
gen. Noch mehr gefährdet wurde das Ansehn des Königthums, als
gegen seinen älteren Sohn und Nachfolger Artaxerxes der jüngere
Sohn Cyrus, der das untere Asien als Satrapie hatte, sich em-
pörte; Cyrus Verbindung mit Griechenland und die Griechische
Söldnerschaar, die er nach den Ufern des Euphrat führte, brachte ein
neues, höchst gefährliches Element in jene gährende Verwirrung,
die bereits das Reich ergriffen hatte; und wenn auch durch Cyrus

dem das Reich anheim fallen mußte, ſobald es aufhörte ſiegend und
erobernd vorzudringen; einer innern Entwickelung unfähig, verſank
es ſeit dem Tage von Salamis tiefer und tiefer in Ohnmacht und
Entartung. Dieſe offenbarte ſich als Erſchlaffung der despotiſchen
Kraft in den folgenden Herrſchern und in dem damit überhand
nehmenden Einfluß des Harems und des Hofes; bald folgte von
der andern Seite das Streben der Völker, ihre Nationalität und die
alte Selbſtſtändigkeit wieder zu erringen; je glücklicher dagegen die
Satrapen ankämpften, und je unfähiger ſie den perſönlichen Willen
und die Kraft ihres Königs ſahen, deſto natürlicher war ihr Ver-
langen nach ſelbſtſtändiger und erblicher Herrſchaft in ihren Satrapien.

Schon die Regierung des erſten Artaxerxes wurde durch
eine Reihe gefährlicher Empörungen beunruhigt; ſein Bruder ſuchte
ſich in Baktrien unabhängig zu machen, Aegypten, von den Athe-
nern unterſtützt, die einheimiſche Regentenfamilie wieder zur Herr-
ſchaft zu bringen, der edle Megabazus durch wiederholte Empörun-
gen ſich und ſeinen Eid zu retten; und wenn es dem Könige auch
gelang, im Innern des Reiches den Schein ſeiner Macht zu be-
wahren, ſo mußte er doch den ſchmachvollen Bedingungen des Ci-
moniſchen Friedens faktiſch die Beſtätigung geben, daß ſie Perſiſcher
Seits nicht übertreten wurden.

Bei ſeinem Tode zeigte ſich in der Ermordung des rechtmäßi-
gen Thronerben und den Kabalen der Weiber und Eunuchen bereits
die tiefe Entartung im Herzen der Perſiſchen Macht. Als endlich
das Reich in der Hand ſeines Baſtards Darius Ochus blieb,
wurden zwar die Empörungen mehrerer Großen und die frechen
Pläne eines Eunuchen, der ſelbſt ſchon nach dem Diadem trachtete,
vernichtet, aber dem Aufſtande in Aegypten war der große König
nicht mehr gewachſen, er mußte dem Volke einen Fürſten aus dem
alten Saïtengeſchlechte beſtätigen und ſich mit einem Tribute begnü-
gen. Noch mehr gefährdet wurde das Anſehn des Königthums, als
gegen ſeinen älteren Sohn und Nachfolger Artaxerxes der jüngere
Sohn Cyrus, der das untere Aſien als Satrapie hatte, ſich em-
pörte; Cyrus Verbindung mit Griechenland und die Griechiſche
Söldnerſchaar, die er nach den Ufern des Euphrat führte, brachte ein
neues, höchſt gefährliches Element in jene gährende Verwirrung,
die bereits das Reich ergriffen hatte; und wenn auch durch Cyrus

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[20/0034] dem das Reich anheim fallen mußte, ſobald es aufhörte ſiegend und erobernd vorzudringen; einer innern Entwickelung unfähig, verſank es ſeit dem Tage von Salamis tiefer und tiefer in Ohnmacht und Entartung. Dieſe offenbarte ſich als Erſchlaffung der despotiſchen Kraft in den folgenden Herrſchern und in dem damit überhand nehmenden Einfluß des Harems und des Hofes; bald folgte von der andern Seite das Streben der Völker, ihre Nationalität und die alte Selbſtſtändigkeit wieder zu erringen; je glücklicher dagegen die Satrapen ankämpften, und je unfähiger ſie den perſönlichen Willen und die Kraft ihres Königs ſahen, deſto natürlicher war ihr Ver- langen nach ſelbſtſtändiger und erblicher Herrſchaft in ihren Satrapien. Schon die Regierung des erſten Artaxerxes wurde durch eine Reihe gefährlicher Empörungen beunruhigt; ſein Bruder ſuchte ſich in Baktrien unabhängig zu machen, Aegypten, von den Athe- nern unterſtützt, die einheimiſche Regentenfamilie wieder zur Herr- ſchaft zu bringen, der edle Megabazus durch wiederholte Empörun- gen ſich und ſeinen Eid zu retten; und wenn es dem Könige auch gelang, im Innern des Reiches den Schein ſeiner Macht zu be- wahren, ſo mußte er doch den ſchmachvollen Bedingungen des Ci- moniſchen Friedens faktiſch die Beſtätigung geben, daß ſie Perſiſcher Seits nicht übertreten wurden. Bei ſeinem Tode zeigte ſich in der Ermordung des rechtmäßi- gen Thronerben und den Kabalen der Weiber und Eunuchen bereits die tiefe Entartung im Herzen der Perſiſchen Macht. Als endlich das Reich in der Hand ſeines Baſtards Darius Ochus blieb, wurden zwar die Empörungen mehrerer Großen und die frechen Pläne eines Eunuchen, der ſelbſt ſchon nach dem Diadem trachtete, vernichtet, aber dem Aufſtande in Aegypten war der große König nicht mehr gewachſen, er mußte dem Volke einen Fürſten aus dem alten Saïtengeſchlechte beſtätigen und ſich mit einem Tribute begnü- gen. Noch mehr gefährdet wurde das Anſehn des Königthums, als gegen ſeinen älteren Sohn und Nachfolger Artaxerxes der jüngere Sohn Cyrus, der das untere Aſien als Satrapie hatte, ſich em- pörte; Cyrus Verbindung mit Griechenland und die Griechiſche Söldnerſchaar, die er nach den Ufern des Euphrat führte, brachte ein neues, höchſt gefährliches Element in jene gährende Verwirrung, die bereits das Reich ergriffen hatte; und wenn auch durch Cyrus

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Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/34>, abgerufen am 29.03.2024.