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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833].

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Anderen aus vierzigtausend Mann 32) bestehend, unter Führung
des Persischen Satrapen Ariobarzanes, geflüchtet, die Persischen
Pässe besetzt und sich hinter ihnen auf das sorgfältigste verschanzt.
Wenn irgend wo, so war an dieser Stelle noch das Persische Reich
zu retten; es wäre vielleicht gerettet worden, wenn Darius nicht
den nächsten Weg gesucht, nicht durch seine Flucht nach dem Nord-
abhang von Iran die Satrapien südwärts sich selbst und der Treue
der Satrapen überlassen hätte; denn diese waren nicht alle wie
Ariobarzanes gesinnt, sie mochten in ihrer eben so schwierigen wie
verführerischen Stellung gern den landflüchtigen König vergessen,
um sich der Hoffnung einer vielleicht längst ersehnten Unabhängig-
keit hinzugeben, oder durch freiwillige Unterwerfung von dem groß-
müthigen Sieger mehr zu gewinnen, als sie durch die Flucht ihres
Königs verloren hatten. Die Völker selbst, die, wenn Darius an
den Pforten Persiens für sein Königthum zu kämpfen gewagt hätte,
nach ihrer Weise zu neuem Kampf zusammengeströmt wären, und
die natürliche Grenze ihres Landes, die sich so oft und so glücklich
in der Geschichte geltend gemacht hat, vielleicht mit Erfolg verthei-
digt hätten, diese kriegerischen Reuter- und Räubervölker, die Ale-
xander zum Theil mit Mühe und spät bewältigt, zum Theil nie
auzugreifen gewagt hat, waren durch jene Flucht des Darius sich
selbst überlassen und gleichsam auf verlorenen Posten gestellt, ohne
daß die Sache des Königs von ihnen den geringsten Vortheil gehabt
hätte. -- So gewann der Sieg von Gaugamela durch die unglaub-
liche Verwirrung, in welche Darius, um sich oder irgend etwas zu
retten, immer tiefer versank, jene riesenhaft wachsende Gewalt,
welche die Persische Macht bis auf die letzte Spur vertilgen sollte. --

Alexander dagegen benutzte den errungenen Sieg auf die ein-
fachste und erfolgreichste Weise; ohne sich weiter um die Verfol-
gung des flüchtigen Königs zu kümmern, ging er von Arbela aus
auf der großen Straße 33) gen Babylon, der Königin im weiten

32) Curt. V, 3. 17. Diod. XVII. 56. Arrian. III. 18.
33) Alexander kam am vierten Tage nach dem Aufbruch aus Arbela gen
Mennis (Ekbatana, Plut.), wo Bitumenquellen waren (Curt. V. 1. 16.).
"Kerkuk ist nur zwanzig Stunden und Dus Churmatu etwa fünfund-
dreißig Stunden von Arbela; vielleicht also ist letzteres das ehemalige

Anderen aus vierzigtauſend Mann 32) beſtehend, unter Führung
des Perſiſchen Satrapen Ariobarzanes, geflüchtet, die Perſiſchen
Päſſe beſetzt und ſich hinter ihnen auf das ſorgfältigſte verſchanzt.
Wenn irgend wo, ſo war an dieſer Stelle noch das Perſiſche Reich
zu retten; es wäre vielleicht gerettet worden, wenn Darius nicht
den nächſten Weg geſucht, nicht durch ſeine Flucht nach dem Nord-
abhang von Iran die Satrapien ſüdwärts ſich ſelbſt und der Treue
der Satrapen überlaſſen hätte; denn dieſe waren nicht alle wie
Ariobarzanes geſinnt, ſie mochten in ihrer eben ſo ſchwierigen wie
verführeriſchen Stellung gern den landflüchtigen König vergeſſen,
um ſich der Hoffnung einer vielleicht längſt erſehnten Unabhängig-
keit hinzugeben, oder durch freiwillige Unterwerfung von dem groß-
müthigen Sieger mehr zu gewinnen, als ſie durch die Flucht ihres
Königs verloren hatten. Die Völker ſelbſt, die, wenn Darius an
den Pforten Perſiens für ſein Königthum zu kämpfen gewagt hätte,
nach ihrer Weiſe zu neuem Kampf zuſammengeſtrömt wären, und
die natürliche Grenze ihres Landes, die ſich ſo oft und ſo glücklich
in der Geſchichte geltend gemacht hat, vielleicht mit Erfolg verthei-
digt hätten, dieſe kriegeriſchen Reuter- und Räubervölker, die Ale-
xander zum Theil mit Mühe und ſpät bewältigt, zum Theil nie
auzugreifen gewagt hat, waren durch jene Flucht des Darius ſich
ſelbſt überlaſſen und gleichſam auf verlorenen Poſten geſtellt, ohne
daß die Sache des Königs von ihnen den geringſten Vortheil gehabt
hätte. — So gewann der Sieg von Gaugamela durch die unglaub-
liche Verwirrung, in welche Darius, um ſich oder irgend etwas zu
retten, immer tiefer verſank, jene rieſenhaft wachſende Gewalt,
welche die Perſiſche Macht bis auf die letzte Spur vertilgen ſollte. —

Alexander dagegen benutzte den errungenen Sieg auf die ein-
fachſte und erfolgreichſte Weiſe; ohne ſich weiter um die Verfol-
gung des flüchtigen Königs zu kümmern, ging er von Arbela aus
auf der großen Straße 33) gen Babylon, der Königin im weiten

32) Curt. V, 3. 17. Diod. XVII. 56. Arrian. III. 18.
33) Alexander kam am vierten Tage nach dem Aufbruch aus Arbela gen
Mennis (Ekbatana, Plut.), wo Bitumenquellen waren (Curt. V. 1. 16.).
„Kerkuk iſt nur zwanzig Stunden und Dus Churmatu etwa fünfund-
dreißig Stunden von Arbela; vielleicht alſo iſt letzteres das ehemalige
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[232/0246] Anderen aus vierzigtauſend Mann 32) beſtehend, unter Führung des Perſiſchen Satrapen Ariobarzanes, geflüchtet, die Perſiſchen Päſſe beſetzt und ſich hinter ihnen auf das ſorgfältigſte verſchanzt. Wenn irgend wo, ſo war an dieſer Stelle noch das Perſiſche Reich zu retten; es wäre vielleicht gerettet worden, wenn Darius nicht den nächſten Weg geſucht, nicht durch ſeine Flucht nach dem Nord- abhang von Iran die Satrapien ſüdwärts ſich ſelbſt und der Treue der Satrapen überlaſſen hätte; denn dieſe waren nicht alle wie Ariobarzanes geſinnt, ſie mochten in ihrer eben ſo ſchwierigen wie verführeriſchen Stellung gern den landflüchtigen König vergeſſen, um ſich der Hoffnung einer vielleicht längſt erſehnten Unabhängig- keit hinzugeben, oder durch freiwillige Unterwerfung von dem groß- müthigen Sieger mehr zu gewinnen, als ſie durch die Flucht ihres Königs verloren hatten. Die Völker ſelbſt, die, wenn Darius an den Pforten Perſiens für ſein Königthum zu kämpfen gewagt hätte, nach ihrer Weiſe zu neuem Kampf zuſammengeſtrömt wären, und die natürliche Grenze ihres Landes, die ſich ſo oft und ſo glücklich in der Geſchichte geltend gemacht hat, vielleicht mit Erfolg verthei- digt hätten, dieſe kriegeriſchen Reuter- und Räubervölker, die Ale- xander zum Theil mit Mühe und ſpät bewältigt, zum Theil nie auzugreifen gewagt hat, waren durch jene Flucht des Darius ſich ſelbſt überlaſſen und gleichſam auf verlorenen Poſten geſtellt, ohne daß die Sache des Königs von ihnen den geringſten Vortheil gehabt hätte. — So gewann der Sieg von Gaugamela durch die unglaub- liche Verwirrung, in welche Darius, um ſich oder irgend etwas zu retten, immer tiefer verſank, jene rieſenhaft wachſende Gewalt, welche die Perſiſche Macht bis auf die letzte Spur vertilgen ſollte. — Alexander dagegen benutzte den errungenen Sieg auf die ein- fachſte und erfolgreichſte Weiſe; ohne ſich weiter um die Verfol- gung des flüchtigen Königs zu kümmern, ging er von Arbela aus auf der großen Straße 33) gen Babylon, der Königin im weiten 32) Curt. V, 3. 17. Diod. XVII. 56. Arrian. III. 18. 33) Alexander kam am vierten Tage nach dem Aufbruch aus Arbela gen Mennis (Ekbatana, Plut.), wo Bitumenquellen waren (Curt. V. 1. 16.). „Kerkuk iſt nur zwanzig Stunden und Dus Churmatu etwa fünfund- dreißig Stunden von Arbela; vielleicht alſo iſt letzteres das ehemalige

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Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/246>, abgerufen am 28.03.2024.