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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833].

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Posten gegen Alexanders Uebermacht zu behaupten, hätte er höch-
stens das Vorrücken der Feinde etwas verzögern können, was für
Darius, dessen Rüstungen bereits vollendet waren, kein erheblicher
Gewinn gewesen wäre.

Alexander ließ sofort den Bau beider Brücken vollenden und
sein Heer auf das Ostufer des Euphrat hinüberrücken; selbst wenn
er vermuthete, daß das Persische Heer in der Ebene von Babylon,
in der es sich gesammelt hatte, zum Kampfe und zur Vertheidigung
der Reichsstadt bereit stand, durfte er nicht, wie siebzig Jahre frü-
her die Zehntausend, den Weg längs des Euphrat, den jene ge-
nommen hatten, einschlagen. Die Wüsten, durch welche derselbe
führt, wären in der Hitze des Sommers doppelt mühselig gewesen
und die Verpflegung eines so bedeutenden Heeres hätte die größten
Schwierigkeiten gehabt. Er wählte die große nördliche Straße,
welche nordostwärts 20) über Nisibis durch die blühenden Mygdo-
nischen Hügelketten an den Tigris und dann an dem linken Ufer
des Stromes hinab in die Ebene von Babylon führt. -- Da brachte
man eines Tages einige feindliche Reuter, die in der Gegend um-
herschwärmten, gefangen vor den König; sie sagten aus: daß Da-
rius bereits von Babylon aufgebrochen sei, und auf dem linken
Ufer des Tigris stehe, entschlossen den Feinden mit aller Macht den
Uebergang über den Strom zu wehren; seine jetzige Macht sei viel
größer als die in den Issischen Pässen; sie selbst wären auf Kundschaft
ausgesendet, damit sich das Perserheer zur rechten Zeit und am
rechten Orte den Macedoniern gegenüber am Tigris aufstellen
könne. Alexander durfte es nicht wagen, einen so reißenden Strom
wie der Tigris ist, unter den Pfeilen der Feinde zu passiren; er
mußte erwarten, daß Darius die Gegend von Ninive oder Mosul,
wo der gewöhnliche Heerweg über den Strom führt, besetzt halten
würde; es kam alles darauf an, sich möglichst bald auf derselben
Seite des Stromes mit Darius zu befinden, und den Uebergang
über den Strom unbemerkt zu bewerkstelligen. Alexander veränderte
deshalb plötzlich die Marschroute, und ging, während ihn Darius
in der weiten Ebene jenseits Mosul erwartete, nordöstlich in Eil-
märschen auf Bedzabde los 21). Kein Feind war in der Nähe, die

20) Cf. Ebn Edrisi p. 201.
21) Barbie du Bocage hat

Poſten gegen Alexanders Uebermacht zu behaupten, hätte er höch-
ſtens das Vorrücken der Feinde etwas verzögern können, was für
Darius, deſſen Rüſtungen bereits vollendet waren, kein erheblicher
Gewinn geweſen wäre.

Alexander ließ ſofort den Bau beider Brücken vollenden und
ſein Heer auf das Oſtufer des Euphrat hinüberrücken; ſelbſt wenn
er vermuthete, daß das Perſiſche Heer in der Ebene von Babylon,
in der es ſich geſammelt hatte, zum Kampfe und zur Vertheidigung
der Reichsſtadt bereit ſtand, durfte er nicht, wie ſiebzig Jahre frü-
her die Zehntauſend, den Weg längs des Euphrat, den jene ge-
nommen hatten, einſchlagen. Die Wüſten, durch welche derſelbe
führt, wären in der Hitze des Sommers doppelt mühſelig geweſen
und die Verpflegung eines ſo bedeutenden Heeres hätte die größten
Schwierigkeiten gehabt. Er wählte die große nördliche Straße,
welche nordoſtwärts 20) über Niſibis durch die blühenden Mygdo-
niſchen Hügelketten an den Tigris und dann an dem linken Ufer
des Stromes hinab in die Ebene von Babylon führt. — Da brachte
man eines Tages einige feindliche Reuter, die in der Gegend um-
herſchwärmten, gefangen vor den König; ſie ſagten aus: daß Da-
rius bereits von Babylon aufgebrochen ſei, und auf dem linken
Ufer des Tigris ſtehe, entſchloſſen den Feinden mit aller Macht den
Uebergang über den Strom zu wehren; ſeine jetzige Macht ſei viel
größer als die in den Iſſiſchen Päſſen; ſie ſelbſt wären auf Kundſchaft
ausgeſendet, damit ſich das Perſerheer zur rechten Zeit und am
rechten Orte den Macedoniern gegenüber am Tigris aufſtellen
könne. Alexander durfte es nicht wagen, einen ſo reißenden Strom
wie der Tigris iſt, unter den Pfeilen der Feinde zu paſſiren; er
mußte erwarten, daß Darius die Gegend von Ninive oder Moſul,
wo der gewöhnliche Heerweg über den Strom führt, beſetzt halten
würde; es kam alles darauf an, ſich möglichſt bald auf derſelben
Seite des Stromes mit Darius zu befinden, und den Uebergang
über den Strom unbemerkt zu bewerkſtelligen. Alexander veränderte
deshalb plötzlich die Marſchroute, und ging, während ihn Darius
in der weiten Ebene jenſeits Moſul erwartete, nordöſtlich in Eil-
märſchen auf Bedzabde los 21). Kein Feind war in der Nähe, die

20) Cf. Ebn Edrisi p. 201.
21) Barbié du Bocage hat
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[219/0233] Poſten gegen Alexanders Uebermacht zu behaupten, hätte er höch- ſtens das Vorrücken der Feinde etwas verzögern können, was für Darius, deſſen Rüſtungen bereits vollendet waren, kein erheblicher Gewinn geweſen wäre. Alexander ließ ſofort den Bau beider Brücken vollenden und ſein Heer auf das Oſtufer des Euphrat hinüberrücken; ſelbſt wenn er vermuthete, daß das Perſiſche Heer in der Ebene von Babylon, in der es ſich geſammelt hatte, zum Kampfe und zur Vertheidigung der Reichsſtadt bereit ſtand, durfte er nicht, wie ſiebzig Jahre frü- her die Zehntauſend, den Weg längs des Euphrat, den jene ge- nommen hatten, einſchlagen. Die Wüſten, durch welche derſelbe führt, wären in der Hitze des Sommers doppelt mühſelig geweſen und die Verpflegung eines ſo bedeutenden Heeres hätte die größten Schwierigkeiten gehabt. Er wählte die große nördliche Straße, welche nordoſtwärts 20) über Niſibis durch die blühenden Mygdo- niſchen Hügelketten an den Tigris und dann an dem linken Ufer des Stromes hinab in die Ebene von Babylon führt. — Da brachte man eines Tages einige feindliche Reuter, die in der Gegend um- herſchwärmten, gefangen vor den König; ſie ſagten aus: daß Da- rius bereits von Babylon aufgebrochen ſei, und auf dem linken Ufer des Tigris ſtehe, entſchloſſen den Feinden mit aller Macht den Uebergang über den Strom zu wehren; ſeine jetzige Macht ſei viel größer als die in den Iſſiſchen Päſſen; ſie ſelbſt wären auf Kundſchaft ausgeſendet, damit ſich das Perſerheer zur rechten Zeit und am rechten Orte den Macedoniern gegenüber am Tigris aufſtellen könne. Alexander durfte es nicht wagen, einen ſo reißenden Strom wie der Tigris iſt, unter den Pfeilen der Feinde zu paſſiren; er mußte erwarten, daß Darius die Gegend von Ninive oder Moſul, wo der gewöhnliche Heerweg über den Strom führt, beſetzt halten würde; es kam alles darauf an, ſich möglichſt bald auf derſelben Seite des Stromes mit Darius zu befinden, und den Uebergang über den Strom unbemerkt zu bewerkſtelligen. Alexander veränderte deshalb plötzlich die Marſchroute, und ging, während ihn Darius in der weiten Ebene jenſeits Moſul erwartete, nordöſtlich in Eil- märſchen auf Bedzabde los 21). Kein Feind war in der Nähe, die 20) Cf. Ebn Edrisi p. 201. 21) Barbié du Bocage hat

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Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/233>, abgerufen am 28.03.2024.