Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833].

Bild:
<< vorherige Seite

chische und Libysche Söldner für Aegypten kämpfen und höchstens
einige Tausend Eingeborene als Packknechte mitziehen zu sehen.
Ueberhaupt kann man den damaligen Zustand Aegyptens als den
der vollkommensten Stagnation bezeichnen; alle inneren Verhält-
nisse, Ueberreste der längst untergegangenen Pharaonenzeit, standen
im offenbarsten Widerspruche mit jedem der geschichtlichen Wechsel-
fälle, deren das Land seit dem Sturze des priesterlichen König-
thums so viele erfahren hatte; die Versuche der Saitischen Könige,
ihr Volk durch Handel und Verbindung mit fremden Völkern zu
beleben, hatten scheitern müssen, da sie selbst Aegypter und aus
dem Geschlecht der priesterlichen Pharaonen waren; die Funken des
neuen Lebens, die sie erweckt hatten, fanden unter der Persischen
Herrschaft keine andere Nahrung, als den dumpfen, stets zunehmen-
den Abscheu gegen die unreinen Fremdlinge, ohne daß das Volk
durch diesen jemals zu einem allgemeinen und entschiedenen Abfall
von Persien gekräftigt wäre; in sich versunken, Sclaven der ärm-
lichsten Betriebsamkeit, deren sie doch nicht froh wurden, belastet
mit allen Nachtheilen und aller Superstition eines Kastenwesens,
von dem die Zeit nichts als die abgestorbene Form übrig gelassen
hatte, bei dem Allen durch die überreiche Fruchtbarkeit ihres Lan-
des, der kein freier und lebendiger Verkehr nach Außen hin Werth
und Reiz gab, mehr gedrückt als gefördert, bedurften die Aegypter
mehr als irgend ein Volk einer entschiedenen Regeneration, wie sie
durch Alexander über den ganzen Orient kommen sollte 48).

Aegypten war, sobald Alexander nahete, für den Perserkönig
verloren; sein Satrap Mazaces, des bei Issus gefallenen Sabaces
Nachfolger, hatte die unter Amyntas Führung gelandeten Griechi-
schen Söldner aus Eifersucht oder misverstandenem Eifer, statt sie
zur Vertheidigung des Landes in Sold zu nehmen, niedermetzeln
lassen; jetzt, nach dem Fall von Tyrus und Gaza, nachdem durch
Alexanders Occupation, die bis in die Wüste Arabiens hinaus-

48) Die Charakteristik des Aegyptischen Volkes, wie sie Curtius
giebt, gens vana et novandis quam gerendis rebus aptior, ist ein
Anachronismus, und paßt selbst in späterer Zeit besonders nur auf
die Bevölkerung von Alexandrien.

chiſche und Libyſche Söldner für Aegypten kämpfen und höchſtens
einige Tauſend Eingeborene als Packknechte mitziehen zu ſehen.
Ueberhaupt kann man den damaligen Zuſtand Aegyptens als den
der vollkommenſten Stagnation bezeichnen; alle inneren Verhält-
niſſe, Ueberreſte der längſt untergegangenen Pharaonenzeit, ſtanden
im offenbarſten Widerſpruche mit jedem der geſchichtlichen Wechſel-
fälle, deren das Land ſeit dem Sturze des prieſterlichen König-
thums ſo viele erfahren hatte; die Verſuche der Saitiſchen Könige,
ihr Volk durch Handel und Verbindung mit fremden Völkern zu
beleben, hatten ſcheitern müſſen, da ſie ſelbſt Aegypter und aus
dem Geſchlecht der prieſterlichen Pharaonen waren; die Funken des
neuen Lebens, die ſie erweckt hatten, fanden unter der Perſiſchen
Herrſchaft keine andere Nahrung, als den dumpfen, ſtets zunehmen-
den Abſcheu gegen die unreinen Fremdlinge, ohne daß das Volk
durch dieſen jemals zu einem allgemeinen und entſchiedenen Abfall
von Perſien gekräftigt wäre; in ſich verſunken, Sclaven der ärm-
lichſten Betriebſamkeit, deren ſie doch nicht froh wurden, belaſtet
mit allen Nachtheilen und aller Superſtition eines Kaſtenweſens,
von dem die Zeit nichts als die abgeſtorbene Form übrig gelaſſen
hatte, bei dem Allen durch die überreiche Fruchtbarkeit ihres Lan-
des, der kein freier und lebendiger Verkehr nach Außen hin Werth
und Reiz gab, mehr gedrückt als gefördert, bedurften die Aegypter
mehr als irgend ein Volk einer entſchiedenen Regeneration, wie ſie
durch Alexander über den ganzen Orient kommen ſollte 48).

Aegypten war, ſobald Alexander nahete, für den Perſerkönig
verloren; ſein Satrap Mazaces, des bei Iſſus gefallenen Sabaces
Nachfolger, hatte die unter Amyntas Führung gelandeten Griechi-
ſchen Söldner aus Eiferſucht oder misverſtandenem Eifer, ſtatt ſie
zur Vertheidigung des Landes in Sold zu nehmen, niedermetzeln
laſſen; jetzt, nach dem Fall von Tyrus und Gaza, nachdem durch
Alexanders Occupation, die bis in die Wüſte Arabiens hinaus-

48) Die Charakteriſtik des Aegyptiſchen Volkes, wie ſie Curtius
giebt, gens vana et novandis quam gerendis rebus aptior, iſt ein
Anachronismus, und paßt ſelbſt in ſpäterer Zeit beſonders nur auf
die Bevölkerung von Alexandrien.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0215" n="201"/>
chi&#x017F;che und Liby&#x017F;che Söldner für Aegypten kämpfen und höch&#x017F;tens<lb/>
einige Tau&#x017F;end Eingeborene als Packknechte mitziehen zu &#x017F;ehen.<lb/>
Ueberhaupt kann man den damaligen Zu&#x017F;tand Aegyptens als den<lb/>
der vollkommen&#x017F;ten Stagnation bezeichnen; alle inneren Verhält-<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;e, Ueberre&#x017F;te der läng&#x017F;t untergegangenen Pharaonenzeit, &#x017F;tanden<lb/>
im offenbar&#x017F;ten Wider&#x017F;pruche mit jedem der ge&#x017F;chichtlichen Wech&#x017F;el-<lb/>
fälle, deren das Land &#x017F;eit dem Sturze des prie&#x017F;terlichen König-<lb/>
thums &#x017F;o viele erfahren hatte; die Ver&#x017F;uche der Saiti&#x017F;chen Könige,<lb/>
ihr Volk durch Handel und Verbindung mit fremden Völkern zu<lb/>
beleben, hatten &#x017F;cheitern mü&#x017F;&#x017F;en, da &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t Aegypter und aus<lb/>
dem Ge&#x017F;chlecht der prie&#x017F;terlichen Pharaonen waren; die Funken des<lb/>
neuen Lebens, die &#x017F;ie erweckt hatten, fanden unter der Per&#x017F;i&#x017F;chen<lb/>
Herr&#x017F;chaft keine andere Nahrung, als den dumpfen, &#x017F;tets zunehmen-<lb/>
den Ab&#x017F;cheu gegen die unreinen Fremdlinge, ohne daß das Volk<lb/>
durch die&#x017F;en jemals zu einem allgemeinen und ent&#x017F;chiedenen Abfall<lb/>
von Per&#x017F;ien gekräftigt wäre; in &#x017F;ich ver&#x017F;unken, Sclaven der ärm-<lb/>
lich&#x017F;ten Betrieb&#x017F;amkeit, deren &#x017F;ie doch nicht froh wurden, bela&#x017F;tet<lb/>
mit allen Nachtheilen und aller Super&#x017F;tition eines Ka&#x017F;tenwe&#x017F;ens,<lb/>
von dem die Zeit nichts als die abge&#x017F;torbene Form übrig gela&#x017F;&#x017F;en<lb/>
hatte, bei dem Allen durch die überreiche Fruchtbarkeit ihres Lan-<lb/>
des, der kein freier und lebendiger Verkehr nach Außen hin Werth<lb/>
und Reiz gab, mehr gedrückt als gefördert, bedurften die Aegypter<lb/>
mehr als irgend ein Volk einer ent&#x017F;chiedenen Regeneration, wie &#x017F;ie<lb/>
durch Alexander über den ganzen Orient kommen &#x017F;ollte <note place="foot" n="48)">Die Charakteri&#x017F;tik des Aegypti&#x017F;chen Volkes, wie &#x017F;ie Curtius<lb/>
giebt, <hi rendition="#aq">gens vana et novandis quam gerendis rebus aptior,</hi> i&#x017F;t ein<lb/>
Anachronismus, und paßt &#x017F;elb&#x017F;t in &#x017F;päterer Zeit be&#x017F;onders nur auf<lb/>
die Bevölkerung von Alexandrien.</note>.</p><lb/>
          <p>Aegypten war, &#x017F;obald Alexander nahete, für den Per&#x017F;erkönig<lb/>
verloren; &#x017F;ein Satrap Mazaces, des bei I&#x017F;&#x017F;us gefallenen Sabaces<lb/>
Nachfolger, hatte die unter Amyntas Führung gelandeten Griechi-<lb/>
&#x017F;chen Söldner aus Eifer&#x017F;ucht oder misver&#x017F;tandenem Eifer, &#x017F;tatt &#x017F;ie<lb/>
zur Vertheidigung des Landes in Sold zu nehmen, niedermetzeln<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en; jetzt, nach dem Fall von Tyrus und Gaza, nachdem durch<lb/>
Alexanders Occupation, die bis in die Wü&#x017F;te Arabiens hinaus-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[201/0215] chiſche und Libyſche Söldner für Aegypten kämpfen und höchſtens einige Tauſend Eingeborene als Packknechte mitziehen zu ſehen. Ueberhaupt kann man den damaligen Zuſtand Aegyptens als den der vollkommenſten Stagnation bezeichnen; alle inneren Verhält- niſſe, Ueberreſte der längſt untergegangenen Pharaonenzeit, ſtanden im offenbarſten Widerſpruche mit jedem der geſchichtlichen Wechſel- fälle, deren das Land ſeit dem Sturze des prieſterlichen König- thums ſo viele erfahren hatte; die Verſuche der Saitiſchen Könige, ihr Volk durch Handel und Verbindung mit fremden Völkern zu beleben, hatten ſcheitern müſſen, da ſie ſelbſt Aegypter und aus dem Geſchlecht der prieſterlichen Pharaonen waren; die Funken des neuen Lebens, die ſie erweckt hatten, fanden unter der Perſiſchen Herrſchaft keine andere Nahrung, als den dumpfen, ſtets zunehmen- den Abſcheu gegen die unreinen Fremdlinge, ohne daß das Volk durch dieſen jemals zu einem allgemeinen und entſchiedenen Abfall von Perſien gekräftigt wäre; in ſich verſunken, Sclaven der ärm- lichſten Betriebſamkeit, deren ſie doch nicht froh wurden, belaſtet mit allen Nachtheilen und aller Superſtition eines Kaſtenweſens, von dem die Zeit nichts als die abgeſtorbene Form übrig gelaſſen hatte, bei dem Allen durch die überreiche Fruchtbarkeit ihres Lan- des, der kein freier und lebendiger Verkehr nach Außen hin Werth und Reiz gab, mehr gedrückt als gefördert, bedurften die Aegypter mehr als irgend ein Volk einer entſchiedenen Regeneration, wie ſie durch Alexander über den ganzen Orient kommen ſollte 48). Aegypten war, ſobald Alexander nahete, für den Perſerkönig verloren; ſein Satrap Mazaces, des bei Iſſus gefallenen Sabaces Nachfolger, hatte die unter Amyntas Führung gelandeten Griechi- ſchen Söldner aus Eiferſucht oder misverſtandenem Eifer, ſtatt ſie zur Vertheidigung des Landes in Sold zu nehmen, niedermetzeln laſſen; jetzt, nach dem Fall von Tyrus und Gaza, nachdem durch Alexanders Occupation, die bis in die Wüſte Arabiens hinaus- 48) Die Charakteriſtik des Aegyptiſchen Volkes, wie ſie Curtius giebt, gens vana et novandis quam gerendis rebus aptior, iſt ein Anachronismus, und paßt ſelbſt in ſpäterer Zeit beſonders nur auf die Bevölkerung von Alexandrien.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/215
Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/215>, abgerufen am 16.04.2024.