Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833].

Bild:
<< vorherige Seite

bewußtlos, zog man ihn aus dem Strom und trug ihn in sein
Zelt; Krämpfe und brennende Hitze schienen die letzten Zeichen des
Lebens, das zu erretten alle Aerzte verzweifelten; die Rückkehr des
Bewußtseins wurde zur neuen Qual, schlaflose Nächte und der
Gram um den zu nahen Tod zehrten die letzte Kraft hinweg; die
Freunde trauerten, das Heer verzweifelte, der Feind war nah, Nie-
mand wußte Rettung. Endlich erbot sich der Akarnanische Arzt
Philippus, der den König von Kindheit an kannte, einen Trank zu
bereiten, der helfen würde; Alexander bat um nichts als eilige
Hülfe; Philippus versprach sie. Zu derselben Zeit erhielt Alexan-
der von dem alten, treuen Parmenion einen Brief des Inhaltes:
er möge sich hüten, Philippus, der Arzt, habe von Darius tausend
Talente und das Versprechen, mit einer Tochter des Großkönigs ver-
mählt zu werden, erhalten, um Alexander zu vergiften. Alexander
gab den Brief seinem Arzte, und leerte, während jener las, den
Kelch, den ihm Philippus gemischt hatte. Ruhig las der Arzt, er
wußte sich aller Schuld rein, dann beschwor er den König, ihm zu
trauen und zu folgen, bald werde dann sein Leiden vorüber sein;
er sprach mit ihm von der Heimath, von seiner Mutter und seinen
Schwestern, den nahen Siegen und den wunderreichen Ländern
des Ostens; seine treue Sorgfalt ward durch des Königs baldige
Genesung belohnt, und Alexander kehrte zurück in die Reihen seiner
Macedonier 11).

Sofort wurden die Kriegsoperationen mit doppeltem Eifer
fortgesetzt. Der Besitz Ciliciens war dem Könige wegen der
Pässe nach Kleinasien und nach dem oberen Asien von der größten
Wichtigkeit; deshalb schien es nothwendig, sich dieser Landschaft
ganz zu versichern 12). Während Parmenion mit den Söldnern

11) Arrian und Andere; Seneca de ira II. 23. sagt, daß Olym-
pias den Brief der Warnung geschrieben. Aristobul in seiner nüch-
ternen Weise spricht von dem Bade im Cydnus nicht, sondern sagt, der
König sei an zu großer Anstrengung erkrankt.
12) Man hat ge-
glaubt, Alexander sei darum so lange in Cilicien hin und her gezo-
gen, damit Darius in die Cilicischen Pässe hereingelockt würde; das
ist unrichtig, da Alexander bei der ersten sicheren Nachricht von seiner
Rähe ihm sofort entgegenrückte; es wäre keine besondere Taktik, so
lange nichts zu thun, bis der Feind vielleicht einen Fehler macht.

bewußtlos, zog man ihn aus dem Strom und trug ihn in ſein
Zelt; Krämpfe und brennende Hitze ſchienen die letzten Zeichen des
Lebens, das zu erretten alle Aerzte verzweifelten; die Rückkehr des
Bewußtſeins wurde zur neuen Qual, ſchlafloſe Nächte und der
Gram um den zu nahen Tod zehrten die letzte Kraft hinweg; die
Freunde trauerten, das Heer verzweifelte, der Feind war nah, Nie-
mand wußte Rettung. Endlich erbot ſich der Akarnaniſche Arzt
Philippus, der den König von Kindheit an kannte, einen Trank zu
bereiten, der helfen würde; Alexander bat um nichts als eilige
Hülfe; Philippus verſprach ſie. Zu derſelben Zeit erhielt Alexan-
der von dem alten, treuen Parmenion einen Brief des Inhaltes:
er möge ſich hüten, Philippus, der Arzt, habe von Darius tauſend
Talente und das Verſprechen, mit einer Tochter des Großkönigs ver-
mählt zu werden, erhalten, um Alexander zu vergiften. Alexander
gab den Brief ſeinem Arzte, und leerte, während jener las, den
Kelch, den ihm Philippus gemiſcht hatte. Ruhig las der Arzt, er
wußte ſich aller Schuld rein, dann beſchwor er den König, ihm zu
trauen und zu folgen, bald werde dann ſein Leiden vorüber ſein;
er ſprach mit ihm von der Heimath, von ſeiner Mutter und ſeinen
Schweſtern, den nahen Siegen und den wunderreichen Ländern
des Oſtens; ſeine treue Sorgfalt ward durch des Königs baldige
Geneſung belohnt, und Alexander kehrte zurück in die Reihen ſeiner
Macedonier 11).

Sofort wurden die Kriegsoperationen mit doppeltem Eifer
fortgeſetzt. Der Beſitz Ciliciens war dem Könige wegen der
Päſſe nach Kleinaſien und nach dem oberen Aſien von der größten
Wichtigkeit; deshalb ſchien es nothwendig, ſich dieſer Landſchaft
ganz zu verſichern 12). Während Parmenion mit den Söldnern

11) Arrian und Andere; Seneca de ira II. 23. ſagt, daß Olym-
pias den Brief der Warnung geſchrieben. Ariſtobul in ſeiner nüch-
ternen Weiſe ſpricht von dem Bade im Cydnus nicht, ſondern ſagt, der
König ſei an zu großer Anſtrengung erkrankt.
12) Man hat ge-
glaubt, Alexander ſei darum ſo lange in Cilicien hin und her gezo-
gen, damit Darius in die Ciliciſchen Päſſe hereingelockt würde; das
iſt unrichtig, da Alexander bei der erſten ſicheren Nachricht von ſeiner
Rähe ihm ſofort entgegenrückte; es wäre keine beſondere Taktik, ſo
lange nichts zu thun, bis der Feind vielleicht einen Fehler macht.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0169" n="155"/>
bewußtlos, zog man ihn aus dem Strom und trug ihn in &#x017F;ein<lb/>
Zelt; Krämpfe und brennende Hitze &#x017F;chienen die letzten Zeichen des<lb/>
Lebens, das zu erretten alle Aerzte verzweifelten; die Rückkehr des<lb/>
Bewußt&#x017F;eins wurde zur neuen Qual, &#x017F;chlaflo&#x017F;e Nächte und der<lb/>
Gram um den zu nahen Tod zehrten die letzte Kraft hinweg; die<lb/>
Freunde trauerten, das Heer verzweifelte, der Feind war nah, Nie-<lb/>
mand wußte Rettung. Endlich erbot &#x017F;ich der Akarnani&#x017F;che Arzt<lb/>
Philippus, der den König von Kindheit an kannte, einen Trank zu<lb/>
bereiten, der helfen würde; Alexander bat um nichts als eilige<lb/>
Hülfe; Philippus ver&#x017F;prach &#x017F;ie. Zu der&#x017F;elben Zeit erhielt Alexan-<lb/>
der von dem alten, treuen Parmenion einen Brief des Inhaltes:<lb/>
er möge &#x017F;ich hüten, Philippus, der Arzt, habe von Darius tau&#x017F;end<lb/>
Talente und das Ver&#x017F;prechen, mit einer Tochter des Großkönigs ver-<lb/>
mählt zu werden, erhalten, um Alexander zu vergiften. Alexander<lb/>
gab den Brief &#x017F;einem Arzte, und leerte, während jener las, den<lb/>
Kelch, den ihm Philippus gemi&#x017F;cht hatte. Ruhig las der Arzt, er<lb/>
wußte &#x017F;ich aller Schuld rein, dann be&#x017F;chwor er den König, ihm zu<lb/>
trauen und zu folgen, bald werde dann &#x017F;ein Leiden vorüber &#x017F;ein;<lb/>
er &#x017F;prach mit ihm von der Heimath, von &#x017F;einer Mutter und &#x017F;einen<lb/>
Schwe&#x017F;tern, den nahen Siegen und den wunderreichen Ländern<lb/>
des O&#x017F;tens; &#x017F;eine treue Sorgfalt ward durch des Königs baldige<lb/>
Gene&#x017F;ung belohnt, und Alexander kehrte zurück in die Reihen &#x017F;einer<lb/>
Macedonier <note place="foot" n="11)">Arrian und Andere; <hi rendition="#aq">Seneca de ira II. 23.</hi> &#x017F;agt, daß Olym-<lb/>
pias den Brief der Warnung ge&#x017F;chrieben. Ari&#x017F;tobul in &#x017F;einer nüch-<lb/>
ternen Wei&#x017F;e &#x017F;pricht von dem Bade im Cydnus nicht, &#x017F;ondern &#x017F;agt, der<lb/>
König &#x017F;ei an zu großer An&#x017F;trengung erkrankt.</note>.</p><lb/>
          <p>Sofort wurden die Kriegsoperationen mit doppeltem Eifer<lb/>
fortge&#x017F;etzt. Der Be&#x017F;itz Ciliciens war dem Könige wegen der<lb/>&#x017F;&#x017F;e nach Kleina&#x017F;ien und nach dem oberen A&#x017F;ien von der größten<lb/>
Wichtigkeit; deshalb &#x017F;chien es nothwendig, &#x017F;ich die&#x017F;er Land&#x017F;chaft<lb/>
ganz zu ver&#x017F;ichern <note place="foot" n="12)">Man hat ge-<lb/>
glaubt, Alexander &#x017F;ei darum &#x017F;o lange in Cilicien hin und her gezo-<lb/>
gen, damit Darius in die Cilici&#x017F;chen Pä&#x017F;&#x017F;e hereingelockt würde; das<lb/>
i&#x017F;t unrichtig, da Alexander bei der er&#x017F;ten &#x017F;icheren Nachricht von &#x017F;einer<lb/>
Rähe ihm &#x017F;ofort entgegenrückte; es wäre keine be&#x017F;ondere Taktik, &#x017F;o<lb/>
lange nichts zu thun, bis der Feind vielleicht einen Fehler macht.</note>. Während Parmenion mit den Söldnern<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[155/0169] bewußtlos, zog man ihn aus dem Strom und trug ihn in ſein Zelt; Krämpfe und brennende Hitze ſchienen die letzten Zeichen des Lebens, das zu erretten alle Aerzte verzweifelten; die Rückkehr des Bewußtſeins wurde zur neuen Qual, ſchlafloſe Nächte und der Gram um den zu nahen Tod zehrten die letzte Kraft hinweg; die Freunde trauerten, das Heer verzweifelte, der Feind war nah, Nie- mand wußte Rettung. Endlich erbot ſich der Akarnaniſche Arzt Philippus, der den König von Kindheit an kannte, einen Trank zu bereiten, der helfen würde; Alexander bat um nichts als eilige Hülfe; Philippus verſprach ſie. Zu derſelben Zeit erhielt Alexan- der von dem alten, treuen Parmenion einen Brief des Inhaltes: er möge ſich hüten, Philippus, der Arzt, habe von Darius tauſend Talente und das Verſprechen, mit einer Tochter des Großkönigs ver- mählt zu werden, erhalten, um Alexander zu vergiften. Alexander gab den Brief ſeinem Arzte, und leerte, während jener las, den Kelch, den ihm Philippus gemiſcht hatte. Ruhig las der Arzt, er wußte ſich aller Schuld rein, dann beſchwor er den König, ihm zu trauen und zu folgen, bald werde dann ſein Leiden vorüber ſein; er ſprach mit ihm von der Heimath, von ſeiner Mutter und ſeinen Schweſtern, den nahen Siegen und den wunderreichen Ländern des Oſtens; ſeine treue Sorgfalt ward durch des Königs baldige Geneſung belohnt, und Alexander kehrte zurück in die Reihen ſeiner Macedonier 11). Sofort wurden die Kriegsoperationen mit doppeltem Eifer fortgeſetzt. Der Beſitz Ciliciens war dem Könige wegen der Päſſe nach Kleinaſien und nach dem oberen Aſien von der größten Wichtigkeit; deshalb ſchien es nothwendig, ſich dieſer Landſchaft ganz zu verſichern 12). Während Parmenion mit den Söldnern 11) Arrian und Andere; Seneca de ira II. 23. ſagt, daß Olym- pias den Brief der Warnung geſchrieben. Ariſtobul in ſeiner nüch- ternen Weiſe ſpricht von dem Bade im Cydnus nicht, ſondern ſagt, der König ſei an zu großer Anſtrengung erkrankt. 12) Man hat ge- glaubt, Alexander ſei darum ſo lange in Cilicien hin und her gezo- gen, damit Darius in die Ciliciſchen Päſſe hereingelockt würde; das iſt unrichtig, da Alexander bei der erſten ſicheren Nachricht von ſeiner Rähe ihm ſofort entgegenrückte; es wäre keine beſondere Taktik, ſo lange nichts zu thun, bis der Feind vielleicht einen Fehler macht.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/169
Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/169>, abgerufen am 28.03.2024.