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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833].

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und ohne Erinnerung ihrer Vergangenheit. Dasselbe galt von den
beiden Syrien diesseits und jenseits der Wasser; die Knechtschaft
langer Jahrhunderte hatte die Völker zur tiefsten Erschlaffung hin-
abgedrückt, und mit widerlicher Gleichgültigkeit ließen sie über sich
ergehen, was auch kommen mochte; nur an der Küste Phöniciens
war das alte bewegliche Leben, mit ihm mehr Gefahr, als Treue
für Persien, und nur die Eifersucht gegen Sidon und der eigene
Vortheil vermochte Tyrus den Persern treu zu erhalten; Aegypten
endlich hatte niemals seinen Haß gegen die Fremdlinge aufgegeben
oder verleugnet, und die Verwüstungen des Ochus konnten es wohl
lähmen, aber nicht gewinnen. Alle diese Länder, von dem Per-
sischen Reiche zum eigenen Verderben erobert, waren bei einem
Angriffe von Westen her schon so gut wie verloren.

Deshalb hatte die Persische Politik, die mit der wachsenden
Schwäche des Reiches immer eifriger und intriguanter geworden
war, keine höhere Sorge, als die Eifersucht der Griechischen Staa-
ten zu nähren, die Mächtigen zu schwächen, die Schwachen aufzu-
reizen und zu unterstützen, und durch ein ausgebildetes System von
Bestechungen und Verfeindungen eine Gesammtthätigkeit, wie sie
von den Edlen des Volkes laut gefordert wurde, und der Persien
nicht Widerstand zu leisten vermocht hätte, zu hintertreiben. Lange
war dies gelungen, bis endlich das Macedonische Königthum, schnell
und sicher vorwärts schreitend, alle diese Bemühungen zu Schanden
zu machen drohte; umsonst hatte Persisches Gold dem Könige Phi-
lipp wirksamen Widerstand zu erwecken versucht; er siegte bei Chä-
ronea, er ward in Korinth zum Feldherrn gegen Asien ernannt; die
Rüstungen wurden begonnen, mit dem Frühjahre 336 setzte ein
Macedonisches Heer von etwa zehntausend Mann unter Attalus
und Parmenion nach Asien über, und drang siegreich vor; es war
am Tage, daß die größere Gefahr nahe sei. Der König Darius
hatte eben jetzt den Thron bestiegen; dem Rhodier Memnon, dem
Bruder des kürzlich verstorbenen Mentor, dem Freunde und Ver-
wandten des treuen Artabazus, wurde der Befehl, schleunigst den
Macedoniern entgegenzuziehen und die Grenzen des Reiches zu
schützen. Dieser ausgezeichnete Feldherr zog in der Eile viertausend
Griechische Söldner zusammen und rückte mit diesen gegen Mag-
nesia, bis wohin Attalus bereits vorgedrungen war; es gelang ihm,

und ohne Erinnerung ihrer Vergangenheit. Daſſelbe galt von den
beiden Syrien diesſeits und jenſeits der Waſſer; die Knechtſchaft
langer Jahrhunderte hatte die Völker zur tiefſten Erſchlaffung hin-
abgedrückt, und mit widerlicher Gleichgültigkeit ließen ſie über ſich
ergehen, was auch kommen mochte; nur an der Küſte Phöniciens
war das alte bewegliche Leben, mit ihm mehr Gefahr, als Treue
für Perſien, und nur die Eiferſucht gegen Sidon und der eigene
Vortheil vermochte Tyrus den Perſern treu zu erhalten; Aegypten
endlich hatte niemals ſeinen Haß gegen die Fremdlinge aufgegeben
oder verleugnet, und die Verwüſtungen des Ochus konnten es wohl
lähmen, aber nicht gewinnen. Alle dieſe Länder, von dem Per-
ſiſchen Reiche zum eigenen Verderben erobert, waren bei einem
Angriffe von Weſten her ſchon ſo gut wie verloren.

Deshalb hatte die Perſiſche Politik, die mit der wachſenden
Schwäche des Reiches immer eifriger und intriguanter geworden
war, keine höhere Sorge, als die Eiferſucht der Griechiſchen Staa-
ten zu nähren, die Mächtigen zu ſchwächen, die Schwachen aufzu-
reizen und zu unterſtützen, und durch ein ausgebildetes Syſtem von
Beſtechungen und Verfeindungen eine Geſammtthätigkeit, wie ſie
von den Edlen des Volkes laut gefordert wurde, und der Perſien
nicht Widerſtand zu leiſten vermocht hätte, zu hintertreiben. Lange
war dies gelungen, bis endlich das Macedoniſche Königthum, ſchnell
und ſicher vorwärts ſchreitend, alle dieſe Bemühungen zu Schanden
zu machen drohte; umſonſt hatte Perſiſches Gold dem Könige Phi-
lipp wirkſamen Widerſtand zu erwecken verſucht; er ſiegte bei Chä-
ronea, er ward in Korinth zum Feldherrn gegen Aſien ernannt; die
Rüſtungen wurden begonnen, mit dem Frühjahre 336 ſetzte ein
Macedoniſches Heer von etwa zehntauſend Mann unter Attalus
und Parmenion nach Aſien über, und drang ſiegreich vor; es war
am Tage, daß die größere Gefahr nahe ſei. Der König Darius
hatte eben jetzt den Thron beſtiegen; dem Rhodier Memnon, dem
Bruder des kürzlich verſtorbenen Mentor, dem Freunde und Ver-
wandten des treuen Artabazus, wurde der Befehl, ſchleunigſt den
Macedoniern entgegenzuziehen und die Grenzen des Reiches zu
ſchützen. Dieſer ausgezeichnete Feldherr zog in der Eile viertauſend
Griechiſche Söldner zuſammen und rückte mit dieſen gegen Mag-
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[104/0118] und ohne Erinnerung ihrer Vergangenheit. Daſſelbe galt von den beiden Syrien diesſeits und jenſeits der Waſſer; die Knechtſchaft langer Jahrhunderte hatte die Völker zur tiefſten Erſchlaffung hin- abgedrückt, und mit widerlicher Gleichgültigkeit ließen ſie über ſich ergehen, was auch kommen mochte; nur an der Küſte Phöniciens war das alte bewegliche Leben, mit ihm mehr Gefahr, als Treue für Perſien, und nur die Eiferſucht gegen Sidon und der eigene Vortheil vermochte Tyrus den Perſern treu zu erhalten; Aegypten endlich hatte niemals ſeinen Haß gegen die Fremdlinge aufgegeben oder verleugnet, und die Verwüſtungen des Ochus konnten es wohl lähmen, aber nicht gewinnen. Alle dieſe Länder, von dem Per- ſiſchen Reiche zum eigenen Verderben erobert, waren bei einem Angriffe von Weſten her ſchon ſo gut wie verloren. Deshalb hatte die Perſiſche Politik, die mit der wachſenden Schwäche des Reiches immer eifriger und intriguanter geworden war, keine höhere Sorge, als die Eiferſucht der Griechiſchen Staa- ten zu nähren, die Mächtigen zu ſchwächen, die Schwachen aufzu- reizen und zu unterſtützen, und durch ein ausgebildetes Syſtem von Beſtechungen und Verfeindungen eine Geſammtthätigkeit, wie ſie von den Edlen des Volkes laut gefordert wurde, und der Perſien nicht Widerſtand zu leiſten vermocht hätte, zu hintertreiben. Lange war dies gelungen, bis endlich das Macedoniſche Königthum, ſchnell und ſicher vorwärts ſchreitend, alle dieſe Bemühungen zu Schanden zu machen drohte; umſonſt hatte Perſiſches Gold dem Könige Phi- lipp wirkſamen Widerſtand zu erwecken verſucht; er ſiegte bei Chä- ronea, er ward in Korinth zum Feldherrn gegen Aſien ernannt; die Rüſtungen wurden begonnen, mit dem Frühjahre 336 ſetzte ein Macedoniſches Heer von etwa zehntauſend Mann unter Attalus und Parmenion nach Aſien über, und drang ſiegreich vor; es war am Tage, daß die größere Gefahr nahe ſei. Der König Darius hatte eben jetzt den Thron beſtiegen; dem Rhodier Memnon, dem Bruder des kürzlich verſtorbenen Mentor, dem Freunde und Ver- wandten des treuen Artabazus, wurde der Befehl, ſchleunigſt den Macedoniern entgegenzuziehen und die Grenzen des Reiches zu ſchützen. Dieſer ausgezeichnete Feldherr zog in der Eile viertauſend Griechiſche Söldner zuſammen und rückte mit dieſen gegen Mag- neſia, bis wohin Attalus bereits vorgedrungen war; es gelang ihm,

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Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/118>, abgerufen am 16.04.2024.