Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.

Bild:
<< vorherige Seite
Als durch das Haid die Todtenklage schallte?
Wer war die Drude, die im Abendstral
Mit Run' und Spruch umwandelte das Thal,
Indeß ihr gold'nes Haar im Winde wallte?
Dort ist der Osten, dort, drei Schuh im Grund,
Dort steht die Urne und in ihrem Rund
Ein wildes Herz zerstäubt zu Aschenflocken;
Hier lagert sich der Traum vom Opferhain,
Und finster schütteln über diesen Stein
Die grimmen Götter ihre Wolkenlocken.
Wie, sprach ich Zauberformel? Dort am Damm --
Es steigt, es breitet sich wie Wellenkamm,
Ein Riesenleib, gewalt'ger, höher immer;
Nun greift es aus mit langgedehntem Schritt --
Schau, wie es durch der Eiche Wipfel glitt,
Durch seine Glieder zittern Mondenschimmer.
Komm her, komm nieder -- um ist deine Zeit!
Ich harre dein, im heil'gen Bad geweiht;
Noch ist der Kirchenduft in meinem Kleide! --
Da fährt es auf, da ballt es sich ergrimmt,
Und langsam, eine dunkle Wolke, schwimmt
Es über meinem Haupt entlang die Haide.
Ein Ruf, ein hüpfend Licht -- es schwankt herbei --
Und -- "Herr, es regnet" -- sagte mein Lakai,
Der ruhig über's Haupt den Schirm mir streckte.
Noch einmal sah ich zum Gestein hinab:
Ach Gott, es war doch nur ein rohes Grab,
Das armen ausgedorrten Staub bedeckte! --

Als durch das Haid die Todtenklage ſchallte?
Wer war die Drude, die im Abendſtral
Mit Run' und Spruch umwandelte das Thal,
Indeß ihr gold'nes Haar im Winde wallte?
Dort iſt der Oſten, dort, drei Schuh im Grund,
Dort ſteht die Urne und in ihrem Rund
Ein wildes Herz zerſtäubt zu Aſchenflocken;
Hier lagert ſich der Traum vom Opferhain,
Und finſter ſchütteln über dieſen Stein
Die grimmen Götter ihre Wolkenlocken.
Wie, ſprach ich Zauberformel? Dort am Damm —
Es ſteigt, es breitet ſich wie Wellenkamm,
Ein Rieſenleib, gewalt'ger, höher immer;
Nun greift es aus mit langgedehntem Schritt —
Schau, wie es durch der Eiche Wipfel glitt,
Durch ſeine Glieder zittern Mondenſchimmer.
Komm her, komm nieder — um iſt deine Zeit!
Ich harre dein, im heil'gen Bad geweiht;
Noch iſt der Kirchenduft in meinem Kleide! —
Da fährt es auf, da ballt es ſich ergrimmt,
Und langſam, eine dunkle Wolke, ſchwimmt
Es über meinem Haupt entlang die Haide.
Ein Ruf, ein hüpfend Licht — es ſchwankt herbei —
Und — „Herr, es regnet“ — ſagte mein Lakai,
Der ruhig über's Haupt den Schirm mir ſtreckte.
Noch einmal ſah ich zum Geſtein hinab:
Ach Gott, es war doch nur ein rohes Grab,
Das armen ausgedorrten Staub bedeckte! —

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0071" n="57"/>
            <lg n="10">
              <l>Als durch das Haid die Todtenklage &#x017F;challte?</l><lb/>
              <l>Wer war die Drude, die im Abend&#x017F;tral</l><lb/>
              <l>Mit Run' und Spruch umwandelte das Thal,</l><lb/>
              <l>Indeß ihr gold'nes Haar im Winde wallte?</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="11">
              <l>Dort i&#x017F;t der O&#x017F;ten, dort, drei Schuh im Grund,</l><lb/>
              <l>Dort &#x017F;teht die Urne und in ihrem Rund</l><lb/>
              <l>Ein wildes Herz zer&#x017F;täubt zu A&#x017F;chenflocken;</l><lb/>
              <l>Hier lagert &#x017F;ich der Traum vom Opferhain,</l><lb/>
              <l>Und fin&#x017F;ter &#x017F;chütteln über die&#x017F;en Stein</l><lb/>
              <l>Die grimmen Götter ihre Wolkenlocken.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="12">
              <l>Wie, &#x017F;prach ich Zauberformel? Dort am Damm &#x2014;</l><lb/>
              <l>Es &#x017F;teigt, es breitet &#x017F;ich wie Wellenkamm,</l><lb/>
              <l>Ein Rie&#x017F;enleib, gewalt'ger, höher immer;</l><lb/>
              <l>Nun greift es aus mit langgedehntem Schritt &#x2014;</l><lb/>
              <l>Schau, wie es durch der Eiche Wipfel glitt,</l><lb/>
              <l>Durch &#x017F;eine Glieder zittern Monden&#x017F;chimmer.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="13">
              <l>Komm her, komm nieder &#x2014; um i&#x017F;t deine Zeit!</l><lb/>
              <l>Ich harre dein, im heil'gen Bad geweiht;</l><lb/>
              <l>Noch i&#x017F;t der Kirchenduft in meinem Kleide! &#x2014;</l><lb/>
              <l>Da fährt es auf, da ballt es &#x017F;ich ergrimmt,</l><lb/>
              <l>Und lang&#x017F;am, eine dunkle Wolke, &#x017F;chwimmt</l><lb/>
              <l>Es über meinem Haupt entlang die Haide.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="14">
              <l>Ein Ruf, ein hüpfend Licht &#x2014; es &#x017F;chwankt herbei &#x2014;</l><lb/>
              <l>Und &#x2014; &#x201E;Herr, es regnet&#x201C; &#x2014; &#x017F;agte mein Lakai,</l><lb/>
              <l>Der ruhig über's Haupt den Schirm mir &#x017F;treckte.</l><lb/>
              <l>Noch einmal &#x017F;ah ich zum Ge&#x017F;tein hinab:</l><lb/>
              <l>Ach Gott, es war doch nur ein rohes Grab,</l><lb/>
              <l>Das armen ausgedorrten Staub bedeckte! &#x2014;</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[57/0071] Als durch das Haid die Todtenklage ſchallte? Wer war die Drude, die im Abendſtral Mit Run' und Spruch umwandelte das Thal, Indeß ihr gold'nes Haar im Winde wallte? Dort iſt der Oſten, dort, drei Schuh im Grund, Dort ſteht die Urne und in ihrem Rund Ein wildes Herz zerſtäubt zu Aſchenflocken; Hier lagert ſich der Traum vom Opferhain, Und finſter ſchütteln über dieſen Stein Die grimmen Götter ihre Wolkenlocken. Wie, ſprach ich Zauberformel? Dort am Damm — Es ſteigt, es breitet ſich wie Wellenkamm, Ein Rieſenleib, gewalt'ger, höher immer; Nun greift es aus mit langgedehntem Schritt — Schau, wie es durch der Eiche Wipfel glitt, Durch ſeine Glieder zittern Mondenſchimmer. Komm her, komm nieder — um iſt deine Zeit! Ich harre dein, im heil'gen Bad geweiht; Noch iſt der Kirchenduft in meinem Kleide! — Da fährt es auf, da ballt es ſich ergrimmt, Und langſam, eine dunkle Wolke, ſchwimmt Es über meinem Haupt entlang die Haide. Ein Ruf, ein hüpfend Licht — es ſchwankt herbei — Und — „Herr, es regnet“ — ſagte mein Lakai, Der ruhig über's Haupt den Schirm mir ſtreckte. Noch einmal ſah ich zum Geſtein hinab: Ach Gott, es war doch nur ein rohes Grab, Das armen ausgedorrten Staub bedeckte! —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/71
Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/71>, abgerufen am 16.04.2024.