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Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.

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Bevor das Gitter steigend klang.
Mich dünkt, ich höre Geistersang:
Wie kurz o Leben, Zeit wie lang!
Siehst drüben du den stolzen Bau?1
Bald wird an jenes Schlosses Pforte,
Das kein Jahrhundert noch gesehn,
An meiner Statt ein Andrer stehn,
Entziffernd halb verlöschte Worte,
Wird Bischofstab und Mitra nur
Errathen aus entstellter Spur.
Dann wird er Ahaus Bürger fragen,
Und dieser weiß nur dunkle Sagen,
Daß in verjährter Zeiten Grau
Ein Baierfürst geführt den Bau.
Noch kurze Zeit, so sinkt er ein.

Wie heute schon kein Mauerstein
Verkündet wo die Veste lag,
Darin des Tilly starrer Muth
Sich barg vor Elementes Wuth,
Ingrimmig harrend auf den Tag.
Und nur der Dichter kennt allein
Den Fleck wo einst die Halle stand,
Gebilde schauten von der Wand,
Wo des Kamins geschweiften Bogen
Hinauf die Funken knisternd zogen,
Und manche kühne blut'ge Hand
Sich friedlich streckte über'n Brand.
Am Heerde, abwärts von der Glut,
Der Feldherr steht und streicht den Bart;

Bevor das Gitter ſteigend klang.
Mich dünkt, ich höre Geiſterſang:
Wie kurz o Leben, Zeit wie lang!
Siehſt drüben du den ſtolzen Bau?1
Bald wird an jenes Schloſſes Pforte,
Das kein Jahrhundert noch geſehn,
An meiner Statt ein Andrer ſtehn,
Entziffernd halb verlöſchte Worte,
Wird Biſchofſtab und Mitra nur
Errathen aus entſtellter Spur.
Dann wird er Ahaus Bürger fragen,
Und dieſer weiß nur dunkle Sagen,
Daß in verjährter Zeiten Grau
Ein Baierfürſt geführt den Bau.
Noch kurze Zeit, ſo ſinkt er ein.

Wie heute ſchon kein Mauerſtein
Verkündet wo die Veſte lag,
Darin des Tilly ſtarrer Muth
Sich barg vor Elementes Wuth,
Ingrimmig harrend auf den Tag.
Und nur der Dichter kennt allein
Den Fleck wo einſt die Halle ſtand,
Gebilde ſchauten von der Wand,
Wo des Kamins geſchweiften Bogen
Hinauf die Funken kniſternd zogen,
Und manche kühne blut'ge Hand
Sich friedlich ſtreckte über'n Brand.
Am Heerde, abwärts von der Glut,
Der Feldherr ſteht und ſtreicht den Bart;
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[530/0544] Bevor das Gitter ſteigend klang. Mich dünkt, ich höre Geiſterſang: Wie kurz o Leben, Zeit wie lang! Siehſt drüben du den ſtolzen Bau?1 Bald wird an jenes Schloſſes Pforte, Das kein Jahrhundert noch geſehn, An meiner Statt ein Andrer ſtehn, Entziffernd halb verlöſchte Worte, Wird Biſchofſtab und Mitra nur Errathen aus entſtellter Spur. Dann wird er Ahaus Bürger fragen, Und dieſer weiß nur dunkle Sagen, Daß in verjährter Zeiten Grau Ein Baierfürſt geführt den Bau. Noch kurze Zeit, ſo ſinkt er ein. Wie heute ſchon kein Mauerſtein Verkündet wo die Veſte lag, Darin des Tilly ſtarrer Muth Sich barg vor Elementes Wuth, Ingrimmig harrend auf den Tag. Und nur der Dichter kennt allein Den Fleck wo einſt die Halle ſtand, Gebilde ſchauten von der Wand, Wo des Kamins geſchweiften Bogen Hinauf die Funken kniſternd zogen, Und manche kühne blut'ge Hand Sich friedlich ſtreckte über'n Brand. Am Heerde, abwärts von der Glut, Der Feldherr ſteht und ſtreicht den Bart;

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Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 530. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/544>, abgerufen am 19.04.2024.