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Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.

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Dann auf sich rafft er, taumelt weg,
Wie Blinde wanken über'n Steg.
Sein Kamerad vergaß ihn schon,
Das Kruzifix nimmt er zum Lohn.
"Ha, Spiegelglas!" und klirrend bricht
Es an der Jungfrau Angesicht.

Von Ulmenschatten halb versteckt
Ein Häuschen liegt mit Stroh gedeckt,
Wohin nur schwach der wilde Klang
Gleich Kranichheeres Schrillen drang,
Da dem Soldaten nicht vergönnt
Zu streifen längs der Mauer Kreis:
Die Kirche gab der Herzog preis,
Kein Hälmchen sonst; nach einer Stunde
Macht er im Lager selbst die Runde,
Ob Alles in der Ordnung sey,
Vollzählig jedes Regiment.
Und diese Hütte liegt allein.
Was kauert dort im Mondenschein,
Undeutlich, wie ein Klumpen grau
Und ächzt gleich Sterbenden genau?
Gertrude lauscht am Fensterrand:
Sacht, sachte schiebt sie mit der Hand
Den Riegel auf, wohl schaudert ihr;
Sie ist so fromm, das junge Blut.
O nenne nicht gering den Muth
Von diesem schlichten Waisenkind!
Der Koller, Speer -- sie ist nicht blind.
Doch, wär' es nur ein armes Thier!
v. Droste-Hülshof, Gedichte. 33

Dann auf ſich rafft er, taumelt weg,
Wie Blinde wanken über'n Steg.
Sein Kamerad vergaß ihn ſchon,
Das Kruzifix nimmt er zum Lohn.
„Ha, Spiegelglas!“ und klirrend bricht
Es an der Jungfrau Angeſicht.

Von Ulmenſchatten halb verſteckt
Ein Häuschen liegt mit Stroh gedeckt,
Wohin nur ſchwach der wilde Klang
Gleich Kranichheeres Schrillen drang,
Da dem Soldaten nicht vergönnt
Zu ſtreifen längs der Mauer Kreis:
Die Kirche gab der Herzog preis,
Kein Hälmchen ſonſt; nach einer Stunde
Macht er im Lager ſelbſt die Runde,
Ob Alles in der Ordnung ſey,
Vollzählig jedes Regiment.
Und dieſe Hütte liegt allein.
Was kauert dort im Mondenſchein,
Undeutlich, wie ein Klumpen grau
Und ächzt gleich Sterbenden genau?
Gertrude lauſcht am Fenſterrand:
Sacht, ſachte ſchiebt ſie mit der Hand
Den Riegel auf, wohl ſchaudert ihr;
Sie iſt ſo fromm, das junge Blut.
O nenne nicht gering den Muth
Von dieſem ſchlichten Waiſenkind!
Der Koller, Speer — ſie iſt nicht blind.
Doch, wär' es nur ein armes Thier!
v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 33
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[513/0527] Dann auf ſich rafft er, taumelt weg, Wie Blinde wanken über'n Steg. Sein Kamerad vergaß ihn ſchon, Das Kruzifix nimmt er zum Lohn. „Ha, Spiegelglas!“ und klirrend bricht Es an der Jungfrau Angeſicht. Von Ulmenſchatten halb verſteckt Ein Häuschen liegt mit Stroh gedeckt, Wohin nur ſchwach der wilde Klang Gleich Kranichheeres Schrillen drang, Da dem Soldaten nicht vergönnt Zu ſtreifen längs der Mauer Kreis: Die Kirche gab der Herzog preis, Kein Hälmchen ſonſt; nach einer Stunde Macht er im Lager ſelbſt die Runde, Ob Alles in der Ordnung ſey, Vollzählig jedes Regiment. Und dieſe Hütte liegt allein. Was kauert dort im Mondenſchein, Undeutlich, wie ein Klumpen grau Und ächzt gleich Sterbenden genau? Gertrude lauſcht am Fenſterrand: Sacht, ſachte ſchiebt ſie mit der Hand Den Riegel auf, wohl ſchaudert ihr; Sie iſt ſo fromm, das junge Blut. O nenne nicht gering den Muth Von dieſem ſchlichten Waiſenkind! Der Koller, Speer — ſie iſt nicht blind. Doch, wär' es nur ein armes Thier! v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 33

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Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 513. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/527>, abgerufen am 28.03.2024.