Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Ranken lös'ten sich, ich rutschte nach,
Geblieben wär' ich sonst bis an den Tag.
Als ich zuletzt der Wildniß doch entkam,
Nichts mehr um mich den Sinn in Anspruch nahm;
Daß frei die Luft, daß moosbedeckt der Grund,
Daß süß die Ruh', dies war allein mir kund.
So lag ich nieder unter Kraut und Steinen,
Und ließ den Mond mir in den Nacken scheinen;
Noch zuckten Funken, Sterne roth und grün,
Und dann -- und dann -- das Auge langsam bricht.
Die Glocken läuten -- bimmeln -- weiter ziehn --
Wie hoch es an der Zeit, ich weiß es nicht.

In Tönen kehrte das Bewußtseyn mir;
So lieblich aus der Luft die Wirbel dringen,
Gewiß ich hörte eine Lerche singen,
Und dachte noch, sie muß den Morgen bringen:
Ob Traum, ob Wirklichkeit, das fragt sich hier.
War's Traum, dann trag' ich manches graue Haar
Umsonst und manche tiefe Furche gar.
Allein ich wußte wie das Haupt mir schwer,
Auch daß ich mich gewendet, rückwärts lag,
Auch daß mir dürres Laub den Nacken stach. --
Nein, nein! Nicht schlief ich, da so fest gekettet
War jede Muskel, wie im Tod gebettet;
Der kleinste Ruck versagt, so lag ich fort
Und horchte immer dem Gewirbel dort.
Mit einem Male hör' ich's seitwärts knistern,
Mir immer näher tappen, klirren, flüstern;
Ich konnte zählen, ihrer waren drei:

Die Ranken löſ'ten ſich, ich rutſchte nach,
Geblieben wär' ich ſonſt bis an den Tag.
Als ich zuletzt der Wildniß doch entkam,
Nichts mehr um mich den Sinn in Anſpruch nahm;
Daß frei die Luft, daß moosbedeckt der Grund,
Daß ſüß die Ruh', dies war allein mir kund.
So lag ich nieder unter Kraut und Steinen,
Und ließ den Mond mir in den Nacken ſcheinen;
Noch zuckten Funken, Sterne roth und grün,
Und dann — und dann — das Auge langſam bricht.
Die Glocken läuten — bimmeln — weiter ziehn —
Wie hoch es an der Zeit, ich weiß es nicht.

In Tönen kehrte das Bewußtſeyn mir;
So lieblich aus der Luft die Wirbel dringen,
Gewiß ich hörte eine Lerche ſingen,
Und dachte noch, ſie muß den Morgen bringen:
Ob Traum, ob Wirklichkeit, das fragt ſich hier.
War's Traum, dann trag' ich manches graue Haar
Umſonſt und manche tiefe Furche gar.
Allein ich wußte wie das Haupt mir ſchwer,
Auch daß ich mich gewendet, rückwärts lag,
Auch daß mir dürres Laub den Nacken ſtach. —
Nein, nein! Nicht ſchlief ich, da ſo feſt gekettet
War jede Muskel, wie im Tod gebettet;
Der kleinſte Ruck verſagt, ſo lag ich fort
Und horchte immer dem Gewirbel dort.
Mit einem Male hör' ich's ſeitwärts kniſtern,
Mir immer näher tappen, klirren, flüſtern;
Ich konnte zählen, ihrer waren drei:
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <lg n="23">
              <pb facs="#f0496" n="482"/>
              <l>Die Ranken lö&#x017F;'ten &#x017F;ich, ich rut&#x017F;chte nach,</l><lb/>
              <l>Geblieben wär' ich &#x017F;on&#x017F;t bis an den Tag.</l><lb/>
              <l>Als ich zuletzt der Wildniß doch entkam,</l><lb/>
              <l>Nichts mehr um mich den Sinn in An&#x017F;pruch nahm;</l><lb/>
              <l>Daß frei die Luft, daß moosbedeckt der Grund,</l><lb/>
              <l>Daß &#x017F;üß die Ruh', dies war allein mir kund.</l><lb/>
              <l>So lag ich nieder unter Kraut und Steinen,</l><lb/>
              <l>Und ließ den Mond mir in den Nacken &#x017F;cheinen;</l><lb/>
              <l>Noch zuckten Funken, Sterne roth und grün,</l><lb/>
              <l>Und dann &#x2014; und dann &#x2014; das Auge lang&#x017F;am bricht.</l><lb/>
              <l>Die Glocken läuten &#x2014; bimmeln &#x2014; weiter ziehn &#x2014;</l><lb/>
              <l>Wie hoch es an der Zeit, ich weiß es nicht.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="24">
              <l>In Tönen kehrte das Bewußt&#x017F;eyn mir;</l><lb/>
              <l>So lieblich aus der Luft die Wirbel dringen,</l><lb/>
              <l>Gewiß ich hörte eine Lerche &#x017F;ingen,</l><lb/>
              <l>Und dachte noch, &#x017F;ie muß den Morgen bringen:</l><lb/>
              <l>Ob Traum, ob Wirklichkeit, das fragt &#x017F;ich hier.</l><lb/>
              <l>War's Traum, dann trag' ich manches graue Haar</l><lb/>
              <l>Um&#x017F;on&#x017F;t und manche tiefe Furche gar.</l><lb/>
              <l>Allein ich wußte wie das Haupt mir &#x017F;chwer,</l><lb/>
              <l>Auch daß ich mich gewendet, rückwärts lag,</l><lb/>
              <l>Auch daß mir dürres Laub den Nacken &#x017F;tach. &#x2014;</l><lb/>
              <l>Nein, nein! Nicht &#x017F;chlief ich, da &#x017F;o fe&#x017F;t gekettet</l><lb/>
              <l>War jede Muskel, wie im Tod gebettet;</l><lb/>
              <l>Der klein&#x017F;te Ruck ver&#x017F;agt, &#x017F;o lag ich fort</l><lb/>
              <l>Und horchte immer dem Gewirbel dort.</l><lb/>
              <l>Mit einem Male hör' ich's &#x017F;eitwärts kni&#x017F;tern,</l><lb/>
              <l>Mir immer näher tappen, klirren, flü&#x017F;tern;</l><lb/>
              <l>Ich konnte zählen, ihrer waren drei:</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[482/0496] Die Ranken löſ'ten ſich, ich rutſchte nach, Geblieben wär' ich ſonſt bis an den Tag. Als ich zuletzt der Wildniß doch entkam, Nichts mehr um mich den Sinn in Anſpruch nahm; Daß frei die Luft, daß moosbedeckt der Grund, Daß ſüß die Ruh', dies war allein mir kund. So lag ich nieder unter Kraut und Steinen, Und ließ den Mond mir in den Nacken ſcheinen; Noch zuckten Funken, Sterne roth und grün, Und dann — und dann — das Auge langſam bricht. Die Glocken läuten — bimmeln — weiter ziehn — Wie hoch es an der Zeit, ich weiß es nicht. In Tönen kehrte das Bewußtſeyn mir; So lieblich aus der Luft die Wirbel dringen, Gewiß ich hörte eine Lerche ſingen, Und dachte noch, ſie muß den Morgen bringen: Ob Traum, ob Wirklichkeit, das fragt ſich hier. War's Traum, dann trag' ich manches graue Haar Umſonſt und manche tiefe Furche gar. Allein ich wußte wie das Haupt mir ſchwer, Auch daß ich mich gewendet, rückwärts lag, Auch daß mir dürres Laub den Nacken ſtach. — Nein, nein! Nicht ſchlief ich, da ſo feſt gekettet War jede Muskel, wie im Tod gebettet; Der kleinſte Ruck verſagt, ſo lag ich fort Und horchte immer dem Gewirbel dort. Mit einem Male hör' ich's ſeitwärts kniſtern, Mir immer näher tappen, klirren, flüſtern; Ich konnte zählen, ihrer waren drei:

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/496
Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 482. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/496>, abgerufen am 18.04.2024.