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Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.

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Auf liebe Züge scheint zu hoffen;
So Zeit auf Zeiten, keine Thräne
Rann auf die bleiche Wange noch;
Und ließen treue Kinder doch,
Und sind geliebter Eltern Söhne.

Die Schwelle kennt der Greis genau,
Hier führt ein Steg nach Wallis Gau,
Sein alter Pfad, wenn von der Jagd
Er heimwärts manchen Gang gemacht,
Ans Fenster pflegt er dann zu treten,
Nachdenklich in die Gruft zu sehn,
Und sinnend auch, im Weitergehn,
Ein Vaterunser wohl zu beten.
Doch vor dem Tode auf der Flucht
Erfaßt ihn ungeheures Grauen,
Als tret' er in das eigne Grab
Und soll die eigne Leiche schauen.
Kaum wehrt er den Gedanken ab.
"Hinweg! hinweg! so weit der Fuß
Dich trägt"; und unwillkührlich muß
Er wenden. Doch da weint das Kind:
"Großvater! weiter sollen wir?
Wir sind ja hier an einer Thür.
Ich kann nicht mehr." Verschwunden sind
Die Zweifel; mühsam öffnet jetzt
Der Greis das Thor, mit Rost versetzt,
Tritt in die Wölbung, kauert sich
Dann auf den Boden kümmerlich,
Und nimmt an seine Brust den Kleinen.

Auf liebe Züge ſcheint zu hoffen;
So Zeit auf Zeiten, keine Thräne
Rann auf die bleiche Wange noch;
Und ließen treue Kinder doch,
Und ſind geliebter Eltern Söhne.

Die Schwelle kennt der Greis genau,
Hier führt ein Steg nach Wallis Gau,
Sein alter Pfad, wenn von der Jagd
Er heimwärts manchen Gang gemacht,
Ans Fenſter pflegt er dann zu treten,
Nachdenklich in die Gruft zu ſehn,
Und ſinnend auch, im Weitergehn,
Ein Vaterunſer wohl zu beten.
Doch vor dem Tode auf der Flucht
Erfaßt ihn ungeheures Grauen,
Als tret' er in das eigne Grab
Und ſoll die eigne Leiche ſchauen.
Kaum wehrt er den Gedanken ab.
„Hinweg! hinweg! ſo weit der Fuß
Dich trägt“; und unwillkührlich muß
Er wenden. Doch da weint das Kind:
„Großvater! weiter ſollen wir?
Wir ſind ja hier an einer Thür.
Ich kann nicht mehr.“ Verſchwunden ſind
Die Zweifel; mühſam öffnet jetzt
Der Greis das Thor, mit Roſt verſetzt,
Tritt in die Wölbung, kauert ſich
Dann auf den Boden kümmerlich,
Und nimmt an ſeine Bruſt den Kleinen.
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[410/0424] Auf liebe Züge ſcheint zu hoffen; So Zeit auf Zeiten, keine Thräne Rann auf die bleiche Wange noch; Und ließen treue Kinder doch, Und ſind geliebter Eltern Söhne. Die Schwelle kennt der Greis genau, Hier führt ein Steg nach Wallis Gau, Sein alter Pfad, wenn von der Jagd Er heimwärts manchen Gang gemacht, Ans Fenſter pflegt er dann zu treten, Nachdenklich in die Gruft zu ſehn, Und ſinnend auch, im Weitergehn, Ein Vaterunſer wohl zu beten. Doch vor dem Tode auf der Flucht Erfaßt ihn ungeheures Grauen, Als tret' er in das eigne Grab Und ſoll die eigne Leiche ſchauen. Kaum wehrt er den Gedanken ab. „Hinweg! hinweg! ſo weit der Fuß Dich trägt“; und unwillkührlich muß Er wenden. Doch da weint das Kind: „Großvater! weiter ſollen wir? Wir ſind ja hier an einer Thür. Ich kann nicht mehr.“ Verſchwunden ſind Die Zweifel; mühſam öffnet jetzt Der Greis das Thor, mit Roſt verſetzt, Tritt in die Wölbung, kauert ſich Dann auf den Boden kümmerlich, Und nimmt an ſeine Bruſt den Kleinen.

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Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/424>, abgerufen am 28.03.2024.