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Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.

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Gleich nachtentbranntem Meeres-Drange,
Nur Roche polie * von jenem Hange.

Und zögernd schiebt des Greises Hand
Den kleinen kalten Arm zurück,
Zieht fester um ihn das Gewand.
Er wirft den kummervollen Blick
Noch einmal durch die dünne Luft,
Auf jeden Fels, in jede Kluft;
Dann folgt ein Seufzer, unbewußt,
So schwer wie je aus Mannes Brust,
Und langsam abwärts, mit Gefahr,
Beginnt er Pfade unwirthbar.
-- Schmal ist der Raum, die Klippe jäh; --
Zuweilen bietet das Gestein,
Ein altergrauer Felsenspalt,
Für Augenblicke schwachen Halt.
Die Ferse drückt er in den Schnee,
Und stößt des Stabes Stachel ein;
Denn eine Zeit gab's, wo im Gau
Von Saint Pierre kein Schütz sich fand,
Der auf der Jagd, am Alphorn blau,
Dem Benoit gegenüber stand.
Kein Aug' so scharf, kein Ohr so fein,
So sicher keine Kugel ging.
Von all den Kühen er allein
So sorglos an der Klippe hing!
* Eine von der Natur aufs glänzendste polirte Felsenwand. Man
schreibt diese Erscheinung der gewaltsamen Reibung mit andern Felsenmassen
bei einer früheren Erdumwälzung zu.

Gleich nachtentbranntem Meeres-Drange,
Nur Roche polie * von jenem Hange.

Und zögernd ſchiebt des Greiſes Hand
Den kleinen kalten Arm zurück,
Zieht feſter um ihn das Gewand.
Er wirft den kummervollen Blick
Noch einmal durch die dünne Luft,
Auf jeden Fels, in jede Kluft;
Dann folgt ein Seufzer, unbewußt,
So ſchwer wie je aus Mannes Bruſt,
Und langſam abwärts, mit Gefahr,
Beginnt er Pfade unwirthbar.
— Schmal iſt der Raum, die Klippe jäh; —
Zuweilen bietet das Geſtein,
Ein altergrauer Felſenſpalt,
Für Augenblicke ſchwachen Halt.
Die Ferſe drückt er in den Schnee,
Und ſtößt des Stabes Stachel ein;
Denn eine Zeit gab's, wo im Gau
Von Saint Pierre kein Schütz ſich fand,
Der auf der Jagd, am Alphorn blau,
Dem Benoit gegenüber ſtand.
Kein Aug' ſo ſcharf, kein Ohr ſo fein,
So ſicher keine Kugel ging.
Von all den Kühen er allein
So ſorglos an der Klippe hing!
* Eine von der Natur aufs glänzendſte polirte Felſenwand. Man
ſchreibt dieſe Erſcheinung der gewaltſamen Reibung mit andern Felſenmaſſen
bei einer früheren Erdumwälzung zu.
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[402/0416] Gleich nachtentbranntem Meeres-Drange, Nur Roche polie * von jenem Hange. Und zögernd ſchiebt des Greiſes Hand Den kleinen kalten Arm zurück, Zieht feſter um ihn das Gewand. Er wirft den kummervollen Blick Noch einmal durch die dünne Luft, Auf jeden Fels, in jede Kluft; Dann folgt ein Seufzer, unbewußt, So ſchwer wie je aus Mannes Bruſt, Und langſam abwärts, mit Gefahr, Beginnt er Pfade unwirthbar. — Schmal iſt der Raum, die Klippe jäh; — Zuweilen bietet das Geſtein, Ein altergrauer Felſenſpalt, Für Augenblicke ſchwachen Halt. Die Ferſe drückt er in den Schnee, Und ſtößt des Stabes Stachel ein; Denn eine Zeit gab's, wo im Gau Von Saint Pierre kein Schütz ſich fand, Der auf der Jagd, am Alphorn blau, Dem Benoit gegenüber ſtand. Kein Aug' ſo ſcharf, kein Ohr ſo fein, So ſicher keine Kugel ging. Von all den Kühen er allein So ſorglos an der Klippe hing! * Eine von der Natur aufs glänzendſte polirte Felſenwand. Man ſchreibt dieſe Erſcheinung der gewaltſamen Reibung mit andern Felſenmaſſen bei einer früheren Erdumwälzung zu.

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Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 402. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/416>, abgerufen am 29.03.2024.