Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.

Bild:
<< vorherige Seite

Ihm ist wie taub, ihm ist wie blind,
Er spricht gepreßt, und thut's nicht gern:
"Mein Knabe! Henry! liebes Kind!
Schau mal hervor, sind wir noch fern?"

Dann aus des Mantels Falten dicht
Ein Bübchen windet sein Gesicht;
Die kleinen Züge schwillt der Hauch,
Die rothen Händchen birgt es auch
Sogleich, und zieht des Vließes Saum
Sorgfältig um der Stirne Raum,
Daß nur der Augen röthlich Licht
Durch des Gewandes Spalten bricht.
Nun mit den Wimpern zuckt er schnell;
"Großvater, schau! wie blitzt es hell!"
Der Alte seufzt: "es blitzt, mein Sohn,
Am Himmel nicht um diese Zeit;
Es ist die Sonne wohl, die schon
Sich um die letzten Zacken reiht."
Doch wiederum der Knabe spricht:
"Großvater! 's ist die Alpe nicht,
Es springt und zittert in die Höh',
Wie wenn die Sonne tanzt im See
Und spielt in unserm Fensterglas."
"Wo, Henry? Kind, wo siehst du das?"
Ein Aermchen aus der Wolle steigt.
Der Alte senkt das Haupt und schweigt.
Nein, nein, das ist kein Hospital!
In tausend Funken sprengt den Strahl,
v. Droste-Hülshof, Gedichte. 26

Ihm iſt wie taub, ihm iſt wie blind,
Er ſpricht gepreßt, und thut's nicht gern:
„Mein Knabe! Henry! liebes Kind!
Schau mal hervor, ſind wir noch fern?“

Dann aus des Mantels Falten dicht
Ein Bübchen windet ſein Geſicht;
Die kleinen Züge ſchwillt der Hauch,
Die rothen Händchen birgt es auch
Sogleich, und zieht des Vließes Saum
Sorgfältig um der Stirne Raum,
Daß nur der Augen röthlich Licht
Durch des Gewandes Spalten bricht.
Nun mit den Wimpern zuckt er ſchnell;
„Großvater, ſchau! wie blitzt es hell!“
Der Alte ſeufzt: „es blitzt, mein Sohn,
Am Himmel nicht um dieſe Zeit;
Es iſt die Sonne wohl, die ſchon
Sich um die letzten Zacken reiht.“
Doch wiederum der Knabe ſpricht:
„Großvater! 's iſt die Alpe nicht,
Es ſpringt und zittert in die Höh',
Wie wenn die Sonne tanzt im See
Und ſpielt in unſerm Fenſterglas.“
„Wo, Henry? Kind, wo ſiehſt du das?“
Ein Aermchen aus der Wolle ſteigt.
Der Alte ſenkt das Haupt und ſchweigt.
Nein, nein, das iſt kein Hoſpital!
In tauſend Funken ſprengt den Strahl,
v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 26
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <lg type="poem">
              <lg n="3">
                <pb facs="#f0415" n="401"/>
                <l>Ihm i&#x017F;t wie taub, ihm i&#x017F;t wie blind,</l><lb/>
                <l>Er &#x017F;pricht gepreßt, und thut's nicht gern:</l><lb/>
                <l>&#x201E;Mein Knabe! Henry! liebes Kind!</l><lb/>
                <l>Schau mal hervor, &#x017F;ind wir noch fern?&#x201C;</l><lb/>
              </lg>
              <lg n="4">
                <l>Dann aus des Mantels Falten dicht</l><lb/>
                <l>Ein Bübchen windet &#x017F;ein Ge&#x017F;icht;</l><lb/>
                <l>Die kleinen Züge &#x017F;chwillt der Hauch,</l><lb/>
                <l>Die rothen Händchen birgt es auch</l><lb/>
                <l>Sogleich, und zieht des Vließes Saum</l><lb/>
                <l>Sorgfältig um der Stirne Raum,</l><lb/>
                <l>Daß nur der Augen röthlich Licht</l><lb/>
                <l>Durch des Gewandes Spalten bricht.</l><lb/>
                <l>Nun mit den Wimpern zuckt er &#x017F;chnell;</l><lb/>
                <l>&#x201E;Großvater, &#x017F;chau! wie blitzt es hell!&#x201C;</l><lb/>
              </lg>
              <lg n="5">
                <l>Der Alte &#x017F;eufzt: &#x201E;es blitzt, mein Sohn,</l><lb/>
                <l>Am Himmel nicht um die&#x017F;e Zeit;</l><lb/>
                <l>Es i&#x017F;t die Sonne wohl, die &#x017F;chon</l><lb/>
                <l>Sich um die letzten Zacken reiht.&#x201C;</l><lb/>
                <l>Doch wiederum der Knabe &#x017F;pricht:</l><lb/>
                <l>&#x201E;Großvater! 's i&#x017F;t die Alpe nicht,</l><lb/>
                <l>Es &#x017F;pringt und zittert in die Höh',</l><lb/>
                <l>Wie wenn die Sonne tanzt im See</l><lb/>
                <l>Und &#x017F;pielt in un&#x017F;erm Fen&#x017F;terglas.&#x201C;</l><lb/>
                <l>&#x201E;Wo, Henry? Kind, wo &#x017F;ieh&#x017F;t du das?&#x201C;</l><lb/>
                <l>Ein Aermchen aus der Wolle &#x017F;teigt.</l><lb/>
                <l>Der Alte &#x017F;enkt das Haupt und &#x017F;chweigt.</l><lb/>
                <l>Nein, nein, das i&#x017F;t kein Ho&#x017F;pital!</l><lb/>
                <l>In tau&#x017F;end Funken &#x017F;prengt den Strahl,</l><lb/>
                <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">v</hi>. <hi rendition="#g">Dro&#x017F;te-Hülshof</hi>, Gedichte. 26<lb/></fw>
              </lg>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[401/0415] Ihm iſt wie taub, ihm iſt wie blind, Er ſpricht gepreßt, und thut's nicht gern: „Mein Knabe! Henry! liebes Kind! Schau mal hervor, ſind wir noch fern?“ Dann aus des Mantels Falten dicht Ein Bübchen windet ſein Geſicht; Die kleinen Züge ſchwillt der Hauch, Die rothen Händchen birgt es auch Sogleich, und zieht des Vließes Saum Sorgfältig um der Stirne Raum, Daß nur der Augen röthlich Licht Durch des Gewandes Spalten bricht. Nun mit den Wimpern zuckt er ſchnell; „Großvater, ſchau! wie blitzt es hell!“ Der Alte ſeufzt: „es blitzt, mein Sohn, Am Himmel nicht um dieſe Zeit; Es iſt die Sonne wohl, die ſchon Sich um die letzten Zacken reiht.“ Doch wiederum der Knabe ſpricht: „Großvater! 's iſt die Alpe nicht, Es ſpringt und zittert in die Höh', Wie wenn die Sonne tanzt im See Und ſpielt in unſerm Fenſterglas.“ „Wo, Henry? Kind, wo ſiehſt du das?“ Ein Aermchen aus der Wolle ſteigt. Der Alte ſenkt das Haupt und ſchweigt. Nein, nein, das iſt kein Hoſpital! In tauſend Funken ſprengt den Strahl, v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 26

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/415
Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 401. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/415>, abgerufen am 19.04.2024.