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Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.

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Da sieht er, hoch an des Thurmes Zimier,
Den armen Tüncher auf schwankenden Bohlen.
"Ha," murrt er, heute nicht Beute noch Schuß,
Nie kam ich noch wieder mit solchem Verdruß,
Ich möchte mir drüben den Spatzen wohl holen!"

Der Tüncher sieht wie er blinzelt empor,
Und will nach dem ärmlichen Hütlein greifen,
Da sieht er drunten visieren das Rohr,
Da hört er den Knall, und die Kugel noch pfeifen;
Getroffen, getroffen! -- er schaukelt, er dreht,
Mit Ziegel und Bohle und Handwerksgeräth
Kollert er nieder zum rasigen Streifen.
Als träf ihn selber das Todesgeschoß
So zuckt der Prälat, seine Augen blitzen,
"Marschalk!" stöhnt er, die Stirne wird naß,
Am schwellenden Halse zittern die Spitzen,
Dann fährt auf die Wange ein glühendes Roth,
Und "Marschalk!" ruft er, "das bringt dir den Tod!
Greift ihn, greift ihn, meine Treiber und Schützen!"
Doch lächelnd der Spiegel vom Hengste schaut,
Er lächelt umher auf die bleichen Vasallen:
"Mein gnädigster Herr, nicht zu laut, nicht zu laut,
Eu'r Dräuen möchte im Winde verhallen!"
Dann wendet er rasch, im sausenden Lauf
Durchs Thor und die donnernde Brücke hinauf. --
Zu spät, zu spät sind die Gitter gefallen!

Da ſieht er, hoch an des Thurmes Zimier,
Den armen Tüncher auf ſchwankenden Bohlen.
„Ha,“ murrt er, heute nicht Beute noch Schuß,
Nie kam ich noch wieder mit ſolchem Verdruß,
Ich möchte mir drüben den Spatzen wohl holen!“

Der Tüncher ſieht wie er blinzelt empor,
Und will nach dem ärmlichen Hütlein greifen,
Da ſieht er drunten viſieren das Rohr,
Da hört er den Knall, und die Kugel noch pfeifen;
Getroffen, getroffen! — er ſchaukelt, er dreht,
Mit Ziegel und Bohle und Handwerksgeräth
Kollert er nieder zum raſigen Streifen.
Als träf ihn ſelber das Todesgeſchoß
So zuckt der Prälat, ſeine Augen blitzen,
„Marſchalk!“ ſtöhnt er, die Stirne wird naß,
Am ſchwellenden Halſe zittern die Spitzen,
Dann fährt auf die Wange ein glühendes Roth,
Und „Marſchalk!“ ruft er, „das bringt dir den Tod!
Greift ihn, greift ihn, meine Treiber und Schützen!“
Doch lächelnd der Spiegel vom Hengſte ſchaut,
Er lächelt umher auf die bleichen Vaſallen:
„Mein gnädigſter Herr, nicht zu laut, nicht zu laut,
Eu'r Dräuen möchte im Winde verhallen!“
Dann wendet er raſch, im ſauſenden Lauf
Durchs Thor und die donnernde Brücke hinauf. —
Zu ſpät, zu ſpät ſind die Gitter gefallen!
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[362/0376] Da ſieht er, hoch an des Thurmes Zimier, Den armen Tüncher auf ſchwankenden Bohlen. „Ha,“ murrt er, heute nicht Beute noch Schuß, Nie kam ich noch wieder mit ſolchem Verdruß, Ich möchte mir drüben den Spatzen wohl holen!“ Der Tüncher ſieht wie er blinzelt empor, Und will nach dem ärmlichen Hütlein greifen, Da ſieht er drunten viſieren das Rohr, Da hört er den Knall, und die Kugel noch pfeifen; Getroffen, getroffen! — er ſchaukelt, er dreht, Mit Ziegel und Bohle und Handwerksgeräth Kollert er nieder zum raſigen Streifen. Als träf ihn ſelber das Todesgeſchoß So zuckt der Prälat, ſeine Augen blitzen, „Marſchalk!“ ſtöhnt er, die Stirne wird naß, Am ſchwellenden Halſe zittern die Spitzen, Dann fährt auf die Wange ein glühendes Roth, Und „Marſchalk!“ ruft er, „das bringt dir den Tod! Greift ihn, greift ihn, meine Treiber und Schützen!“ Doch lächelnd der Spiegel vom Hengſte ſchaut, Er lächelt umher auf die bleichen Vaſallen: „Mein gnädigſter Herr, nicht zu laut, nicht zu laut, Eu'r Dräuen möchte im Winde verhallen!“ Dann wendet er raſch, im ſauſenden Lauf Durchs Thor und die donnernde Brücke hinauf. — Zu ſpät, zu ſpät ſind die Gitter gefallen!

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Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 362. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/376>, abgerufen am 24.04.2024.