Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.

Bild:
<< vorherige Seite
"Ave Maria! stärke sie!
Und hilf ihr über diese Nacht!"
Ein frommer Bauer ist's, der früh
Sich auf die Wallfahrt hat gemacht.
Wohl weiß er, was der Lichterglanz
Mag seiner gnäd'gen Frau bedeuten;
Und eifrig läßt den Rosenkranz
Er durch die schwiel'gen Finger gleiten.
Doch durch sein christliches Gebet
Manch Heidennebel schwankt und raucht;
Ob wirklich, wie die Sage geht,
Der Elf sich in den Weiher taucht,
So oft dem gräflichen Geschlecht
Der erste Sprosse wird geboren?
Der Bauer glaubt es nimmer recht,
Noch minder hätt' er es verschworen.
Scheu blickt er auf -- die Nacht ist klar,
Und gänzlich nicht gespensterhaft,
Gleich drüben an dem Pappelpaar
Zählt man die Zweige längs dem Schaft;
Doch stille! In dem Eichenrund --
Sind das nicht Tritte? -- Kindestritte?
Er hört wie an dem harten Grund
Sich wiegen, kurz und stramm, die Schritte.
Still! still! es raschelt über'n Rain,
Wie eine Hinde, die im Thau,
Beherzt gemacht vom Mondenschein,
Vorsichtig äßet längs der Au.
„Ave Maria! ſtärke ſie!
Und hilf ihr über dieſe Nacht!“
Ein frommer Bauer iſt's, der früh
Sich auf die Wallfahrt hat gemacht.
Wohl weiß er, was der Lichterglanz
Mag ſeiner gnäd'gen Frau bedeuten;
Und eifrig läßt den Roſenkranz
Er durch die ſchwiel'gen Finger gleiten.
Doch durch ſein chriſtliches Gebet
Manch Heidennebel ſchwankt und raucht;
Ob wirklich, wie die Sage geht,
Der Elf ſich in den Weiher taucht,
So oft dem gräflichen Geſchlecht
Der erſte Sproſſe wird geboren?
Der Bauer glaubt es nimmer recht,
Noch minder hätt' er es verſchworen.
Scheu blickt er auf — die Nacht iſt klar,
Und gänzlich nicht geſpenſterhaft,
Gleich drüben an dem Pappelpaar
Zählt man die Zweige längs dem Schaft;
Doch ſtille! In dem Eichenrund —
Sind das nicht Tritte? — Kindestritte?
Er hört wie an dem harten Grund
Sich wiegen, kurz und ſtramm, die Schritte.
Still! ſtill! es raſchelt über'n Rain,
Wie eine Hinde, die im Thau,
Beherzt gemacht vom Mondenſchein,
Vorſichtig äßet längs der Au.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0372" n="358"/>
            <lg n="4">
              <l>&#x201E;Ave Maria! &#x017F;tärke &#x017F;ie!</l><lb/>
              <l>Und hilf ihr über die&#x017F;e Nacht!&#x201C;</l><lb/>
              <l>Ein frommer Bauer i&#x017F;t's, der früh</l><lb/>
              <l>Sich auf die Wallfahrt hat gemacht.</l><lb/>
              <l>Wohl weiß er, was der Lichterglanz</l><lb/>
              <l>Mag &#x017F;einer gnäd'gen Frau bedeuten;</l><lb/>
              <l>Und eifrig läßt den Ro&#x017F;enkranz</l><lb/>
              <l>Er durch die &#x017F;chwiel'gen Finger gleiten.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="5">
              <l>Doch durch &#x017F;ein chri&#x017F;tliches Gebet</l><lb/>
              <l>Manch Heidennebel &#x017F;chwankt und raucht;</l><lb/>
              <l>Ob wirklich, wie die Sage geht,</l><lb/>
              <l>Der Elf &#x017F;ich in den Weiher taucht,</l><lb/>
              <l>So oft dem gräflichen Ge&#x017F;chlecht</l><lb/>
              <l>Der er&#x017F;te Spro&#x017F;&#x017F;e wird geboren?</l><lb/>
              <l>Der Bauer glaubt es nimmer recht,</l><lb/>
              <l>Noch minder hätt' er es ver&#x017F;chworen.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="6">
              <l>Scheu blickt er auf &#x2014; die Nacht i&#x017F;t klar,</l><lb/>
              <l>Und gänzlich nicht ge&#x017F;pen&#x017F;terhaft,</l><lb/>
              <l>Gleich drüben an dem Pappelpaar</l><lb/>
              <l>Zählt man die Zweige längs dem Schaft;</l><lb/>
              <l>Doch &#x017F;tille! In dem Eichenrund &#x2014;</l><lb/>
              <l>Sind das nicht Tritte? &#x2014; Kindestritte?</l><lb/>
              <l>Er hört wie an dem harten Grund</l><lb/>
              <l>Sich wiegen, kurz und &#x017F;tramm, die Schritte.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="7">
              <l>Still! &#x017F;till! es ra&#x017F;chelt über'n Rain,</l><lb/>
              <l>Wie eine Hinde, die im Thau,</l><lb/>
              <l>Beherzt gemacht vom Monden&#x017F;chein,</l><lb/>
              <l>Vor&#x017F;ichtig äßet längs der Au.</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[358/0372] „Ave Maria! ſtärke ſie! Und hilf ihr über dieſe Nacht!“ Ein frommer Bauer iſt's, der früh Sich auf die Wallfahrt hat gemacht. Wohl weiß er, was der Lichterglanz Mag ſeiner gnäd'gen Frau bedeuten; Und eifrig läßt den Roſenkranz Er durch die ſchwiel'gen Finger gleiten. Doch durch ſein chriſtliches Gebet Manch Heidennebel ſchwankt und raucht; Ob wirklich, wie die Sage geht, Der Elf ſich in den Weiher taucht, So oft dem gräflichen Geſchlecht Der erſte Sproſſe wird geboren? Der Bauer glaubt es nimmer recht, Noch minder hätt' er es verſchworen. Scheu blickt er auf — die Nacht iſt klar, Und gänzlich nicht geſpenſterhaft, Gleich drüben an dem Pappelpaar Zählt man die Zweige längs dem Schaft; Doch ſtille! In dem Eichenrund — Sind das nicht Tritte? — Kindestritte? Er hört wie an dem harten Grund Sich wiegen, kurz und ſtramm, die Schritte. Still! ſtill! es raſchelt über'n Rain, Wie eine Hinde, die im Thau, Beherzt gemacht vom Mondenſchein, Vorſichtig äßet längs der Au.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/372
Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/372>, abgerufen am 28.03.2024.