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Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.

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Aus Strandgebälken, morsch, zertrümmert,
Hat man den Galgen, dicht am Meer,
In wüster Eile aufgezimmert.
Dort dräut er von der Düne her!

Welch ein Getümmel an den Schranken! --
"Da kömmt der Frei -- der Hessel jetzt --
Da bringen sie den schwarzen Franken,
Der hat geläugnet bis zuletzt."
"Schiffbrüchig sey er hergeschwommen,"
Höhnt eine Alte: "Ei, wie kühn!
Doch Keiner sprach zu seinem Frommen,
Die ganze Bande gegen ihn."
Der Passagier, am Galgen stehend,
Hohläugig, mit zerbrochnem Muth,
Zu jedem Räuber flüstert flehend:
"Was that dir mein unschuldig Blut!
Barmherzigkeit! -- so muß ich sterben
Durch des Gesindels Lügenwort,
O mög' die Seele euch verderben!"
Da zieht ihn schon der Scherge fort.
Er sieht die Menge wogend spalten --
Er hört das Summen im Gewühl --
Nun weiß er, daß des Himmels Walten
Nur seiner Pfaffen Gaukelspiel!
Und als er in des Hohnes Stolze
Will starren nach den Aetherhöhn,
Da liest er an des Galgens Holze:
"Batavia. Fünfhundert Zehn.

Aus Strandgebälken, morſch, zertrümmert,
Hat man den Galgen, dicht am Meer,
In wüſter Eile aufgezimmert.
Dort dräut er von der Düne her!

Welch ein Getümmel an den Schranken! —
„Da kömmt der Frei — der Heſſel jetzt —
Da bringen ſie den ſchwarzen Franken,
Der hat geläugnet bis zuletzt.“
„Schiffbrüchig ſey er hergeſchwommen,“
Höhnt eine Alte: „Ei, wie kühn!
Doch Keiner ſprach zu ſeinem Frommen,
Die ganze Bande gegen ihn.“
Der Paſſagier, am Galgen ſtehend,
Hohläugig, mit zerbrochnem Muth,
Zu jedem Räuber flüſtert flehend:
„Was that dir mein unſchuldig Blut!
Barmherzigkeit! — ſo muß ich ſterben
Durch des Geſindels Lügenwort,
O mög' die Seele euch verderben!“
Da zieht ihn ſchon der Scherge fort.
Er ſieht die Menge wogend ſpalten —
Er hört das Summen im Gewühl —
Nun weiß er, daß des Himmels Walten
Nur ſeiner Pfaffen Gaukelſpiel!
Und als er in des Hohnes Stolze
Will ſtarren nach den Aetherhöhn,
Da lieſt er an des Galgens Holze:
Batavia. Fünfhundert Zehn.

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[342/0356] Aus Strandgebälken, morſch, zertrümmert, Hat man den Galgen, dicht am Meer, In wüſter Eile aufgezimmert. Dort dräut er von der Düne her! Welch ein Getümmel an den Schranken! — „Da kömmt der Frei — der Heſſel jetzt — Da bringen ſie den ſchwarzen Franken, Der hat geläugnet bis zuletzt.“ „Schiffbrüchig ſey er hergeſchwommen,“ Höhnt eine Alte: „Ei, wie kühn! Doch Keiner ſprach zu ſeinem Frommen, Die ganze Bande gegen ihn.“ Der Paſſagier, am Galgen ſtehend, Hohläugig, mit zerbrochnem Muth, Zu jedem Räuber flüſtert flehend: „Was that dir mein unſchuldig Blut! Barmherzigkeit! — ſo muß ich ſterben Durch des Geſindels Lügenwort, O mög' die Seele euch verderben!“ Da zieht ihn ſchon der Scherge fort. Er ſieht die Menge wogend ſpalten — Er hört das Summen im Gewühl — Nun weiß er, daß des Himmels Walten Nur ſeiner Pfaffen Gaukelſpiel! Und als er in des Hohnes Stolze Will ſtarren nach den Aetherhöhn, Da lieſt er an des Galgens Holze: „Batavia. Fünfhundert Zehn.

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Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 342. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/356>, abgerufen am 25.04.2024.