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Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.

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Und ist noch über die Rinne grad
Mit raschem Sprunge gewichen,
Als an die Schürze das klirrende Rad
In wirbelndem Schwunge gestrichen.

Noch ein Moment, -- sie taumelt, erbleicht,
Und dann ein plötzlich Erglühen,
O schau, wie durch das Gewühl sie keucht,
Mit Armen und Händen und Knieen!
Sie rudert, sie windet sich, -- Stoß auf Stoß,
Scheltworte und Flüche wie Schlossen --
Das Fürtuch reißt, dann flattert es los,
Und ist in die Rinne geflossen.
Nun steht sie vor einem stattlichen Haus,
Ohne Schuh, besudelt mit Kothe;
Dort hält die Karosse, dort schnauben aus
Die Braunen und rauchen wie Schlote.
Der Schlag ist offen, und eben sieht
Sie im Portale verschwinden
Eines Kleides Falte, die purpurn glüht,
Und den Schleyer, segelnd in Winden.
"Ach" flüstert Gertrude, "was hab ich gemacht,
Ich bin wohl verrückt geworden!
Kein Trost bei Tag, keine Ruh bei Nacht,
Das kann die Sinne schon morden."
Da poltert es schreiend die Stiegen hinab,
Ein Fußtritt aus dem Portale,
Und wimmernd rollt von der Rampe herab
Ihr Hund, der zottige, fahle.

Und iſt noch über die Rinne grad
Mit raſchem Sprunge gewichen,
Als an die Schürze das klirrende Rad
In wirbelndem Schwunge geſtrichen.

Noch ein Moment, — ſie taumelt, erbleicht,
Und dann ein plötzlich Erglühen,
O ſchau, wie durch das Gewühl ſie keucht,
Mit Armen und Händen und Knieen!
Sie rudert, ſie windet ſich, — Stoß auf Stoß,
Scheltworte und Flüche wie Schloſſen —
Das Fürtuch reißt, dann flattert es los,
Und iſt in die Rinne gefloſſen.
Nun ſteht ſie vor einem ſtattlichen Haus,
Ohne Schuh, beſudelt mit Kothe;
Dort hält die Karoſſe, dort ſchnauben aus
Die Braunen und rauchen wie Schlote.
Der Schlag iſt offen, und eben ſieht
Sie im Portale verſchwinden
Eines Kleides Falte, die purpurn glüht,
Und den Schleyer, ſegelnd in Winden.
„Ach“ flüſtert Gertrude, „was hab ich gemacht,
Ich bin wohl verrückt geworden!
Kein Troſt bei Tag, keine Ruh bei Nacht,
Das kann die Sinne ſchon morden.“
Da poltert es ſchreiend die Stiegen hinab,
Ein Fußtritt aus dem Portale,
Und wimmernd rollt von der Rampe herab
Ihr Hund, der zottige, fahle.
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[328/0342] Und iſt noch über die Rinne grad Mit raſchem Sprunge gewichen, Als an die Schürze das klirrende Rad In wirbelndem Schwunge geſtrichen. Noch ein Moment, — ſie taumelt, erbleicht, Und dann ein plötzlich Erglühen, O ſchau, wie durch das Gewühl ſie keucht, Mit Armen und Händen und Knieen! Sie rudert, ſie windet ſich, — Stoß auf Stoß, Scheltworte und Flüche wie Schloſſen — Das Fürtuch reißt, dann flattert es los, Und iſt in die Rinne gefloſſen. Nun ſteht ſie vor einem ſtattlichen Haus, Ohne Schuh, beſudelt mit Kothe; Dort hält die Karoſſe, dort ſchnauben aus Die Braunen und rauchen wie Schlote. Der Schlag iſt offen, und eben ſieht Sie im Portale verſchwinden Eines Kleides Falte, die purpurn glüht, Und den Schleyer, ſegelnd in Winden. „Ach“ flüſtert Gertrude, „was hab ich gemacht, Ich bin wohl verrückt geworden! Kein Troſt bei Tag, keine Ruh bei Nacht, Das kann die Sinne ſchon morden.“ Da poltert es ſchreiend die Stiegen hinab, Ein Fußtritt aus dem Portale, Und wimmernd rollt von der Rampe herab Ihr Hund, der zottige, fahle.

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Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/342>, abgerufen am 28.03.2024.