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Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.

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Nein -- durch das Fenster ein und aus
Zog schrillend nur die Fledermaus;
Nun schießt sie fort. -- Der Alte lehnet
Am Simse. Wie der Teich sich dehnet
Um's Eiland, wo der Warte Rund
Sich tief schattirt im matten Grund.
Das Röhricht knirrt, die Unke stöhnet.
Dort, denkt der Greis, dort hat gewacht
Der alte Kirchenfürst, wenn Nacht
Sich auf den Weiher hat ergossen.
Dort hat den Reiher er geschossen,
Und zugeschaut des Schlosses Bau,
Sein weiß Habit, sein Auge grau,
Lugt' drüben an den Fenstersprossen.
Wie scheint der Mond so kümmerlich!
-- Er birgt wohl hinter'm Tanne sich --
Schaut nicht der Thurm wie 'ne Laterne,
Verhauchend, dunstig, aus der Ferne!
Wie steigt der blaue Duft im Rohr,
Und rollt sich am Gesims empor!
Wie seltsam blinken heut' die Sterne!
Doch ha! -- er blinzt, er spannt das Aug',
Denn dicht und dichter schwillt der Rauch,
Als ob ein Docht sich langsam fache,
Entzündet sich im Thurmgemache
Wie Mondenschein ein graues Licht,
Und dennoch -- dennoch -- las er nicht,
Nicht Neumond heut im Almanache? --
Nein — durch das Fenſter ein und aus
Zog ſchrillend nur die Fledermaus;
Nun ſchießt ſie fort. — Der Alte lehnet
Am Simſe. Wie der Teich ſich dehnet
Um's Eiland, wo der Warte Rund
Sich tief ſchattirt im matten Grund.
Das Röhricht knirrt, die Unke ſtöhnet.
Dort, denkt der Greis, dort hat gewacht
Der alte Kirchenfürſt, wenn Nacht
Sich auf den Weiher hat ergoſſen.
Dort hat den Reiher er geſchoſſen,
Und zugeſchaut des Schloſſes Bau,
Sein weiß Habit, ſein Auge grau,
Lugt' drüben an den Fenſterſproſſen.
Wie ſcheint der Mond ſo kümmerlich!
— Er birgt wohl hinter'm Tanne ſich —
Schaut nicht der Thurm wie 'ne Laterne,
Verhauchend, dunſtig, aus der Ferne!
Wie ſteigt der blaue Duft im Rohr,
Und rollt ſich am Geſims empor!
Wie ſeltſam blinken heut' die Sterne!
Doch ha! — er blinzt, er ſpannt das Aug',
Denn dicht und dichter ſchwillt der Rauch,
Als ob ein Docht ſich langſam fache,
Entzündet ſich im Thurmgemache
Wie Mondenſchein ein graues Licht,
Und dennoch — dennoch — las er nicht,
Nicht Neumond heut im Almanache? —
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[291/0305] Nein — durch das Fenſter ein und aus Zog ſchrillend nur die Fledermaus; Nun ſchießt ſie fort. — Der Alte lehnet Am Simſe. Wie der Teich ſich dehnet Um's Eiland, wo der Warte Rund Sich tief ſchattirt im matten Grund. Das Röhricht knirrt, die Unke ſtöhnet. Dort, denkt der Greis, dort hat gewacht Der alte Kirchenfürſt, wenn Nacht Sich auf den Weiher hat ergoſſen. Dort hat den Reiher er geſchoſſen, Und zugeſchaut des Schloſſes Bau, Sein weiß Habit, ſein Auge grau, Lugt' drüben an den Fenſterſproſſen. Wie ſcheint der Mond ſo kümmerlich! — Er birgt wohl hinter'm Tanne ſich — Schaut nicht der Thurm wie 'ne Laterne, Verhauchend, dunſtig, aus der Ferne! Wie ſteigt der blaue Duft im Rohr, Und rollt ſich am Geſims empor! Wie ſeltſam blinken heut' die Sterne! Doch ha! — er blinzt, er ſpannt das Aug', Denn dicht und dichter ſchwillt der Rauch, Als ob ein Docht ſich langſam fache, Entzündet ſich im Thurmgemache Wie Mondenſchein ein graues Licht, Und dennoch — dennoch — las er nicht, Nicht Neumond heut im Almanache? —

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Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/305>, abgerufen am 25.04.2024.