Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.

Bild:
<< vorherige Seite

Und wieder hörte ich den Schlag
Der Amsel und der Grille Hüpfen,
Und wieder durch den wilden Haag
Der Biene sterbend Sumsen schlüpfen.

Da schleift' es, schwer wie Blei,
Da flüstert' es aufs neue:
"O wache! steh mir bei!
Ich bin die Gattentreue."
Das Auge hob ich, und ein Weib
Sah ich wie halbgebrochen bücken,
Das eines Mannes wunden Leib
Mühselig trug auf seinem Rücken.
Ein feuchter Schleyer hing
Ihr Haar am Antlitz nieder,
Des Schweißes Perle fing
Sich in der Wimper wieder.
"Verbannt! verbannt zum wilden Wald,
Wo Nacht und Oede mich umschauern!
Verbannt wo in der Felsen Spalt
Die Tauben um den Tauber trauern!"
Sie sah mich lange an,
Im Auge Sterbeklagen,
Und langsam hat sie dann
Den Wunden fortgetragen.
Sie klomm den Klippensteig entlang,
Ihr Aechzen scholl vom Steine nieder,
Wo grade unterm Schieferhang
Sich regte bläuliches Gefieder.

Und wieder hörte ich den Schlag
Der Amſel und der Grille Hüpfen,
Und wieder durch den wilden Haag
Der Biene ſterbend Sumſen ſchlüpfen.

Da ſchleift' es, ſchwer wie Blei,
Da flüſtert' es aufs neue:
„O wache! ſteh mir bei!
Ich bin die Gattentreue.“
Das Auge hob ich, und ein Weib
Sah ich wie halbgebrochen bücken,
Das eines Mannes wunden Leib
Mühſelig trug auf ſeinem Rücken.
Ein feuchter Schleyer hing
Ihr Haar am Antlitz nieder,
Des Schweißes Perle fing
Sich in der Wimper wieder.
„Verbannt! verbannt zum wilden Wald,
Wo Nacht und Oede mich umſchauern!
Verbannt wo in der Felſen Spalt
Die Tauben um den Tauber trauern!“
Sie ſah mich lange an,
Im Auge Sterbeklagen,
Und langſam hat ſie dann
Den Wunden fortgetragen.
Sie klomm den Klippenſteig entlang,
Ihr Aechzen ſcholl vom Steine nieder,
Wo grade unterm Schieferhang
Sich regte bläuliches Gefieder.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <lg n="7">
            <pb facs="#f0027" n="13"/>
            <l>Und wieder hörte ich den Schlag</l><lb/>
            <l>Der Am&#x017F;el und der Grille Hüpfen,</l><lb/>
            <l>Und wieder durch den wilden Haag</l><lb/>
            <l>Der Biene &#x017F;terbend Sum&#x017F;en &#x017F;chlüpfen.</l><lb/>
          </lg>
          <lg n="8">
            <l>Da &#x017F;chleift' es, &#x017F;chwer wie Blei,</l><lb/>
            <l>Da flü&#x017F;tert' es aufs neue:</l><lb/>
            <l>&#x201E;O wache! &#x017F;teh mir bei!</l><lb/>
            <l>Ich bin die Gattentreue.&#x201C;</l><lb/>
            <l>Das Auge hob ich, und ein Weib</l><lb/>
            <l>Sah ich wie halbgebrochen bücken,</l><lb/>
            <l>Das eines Mannes wunden Leib</l><lb/>
            <l>Müh&#x017F;elig trug auf &#x017F;einem Rücken.</l><lb/>
          </lg>
          <lg n="9">
            <l>Ein feuchter Schleyer hing</l><lb/>
            <l>Ihr Haar am Antlitz nieder,</l><lb/>
            <l>Des Schweißes Perle fing</l><lb/>
            <l>Sich in der Wimper wieder.</l><lb/>
            <l>&#x201E;Verbannt! verbannt zum wilden Wald,</l><lb/>
            <l>Wo Nacht und Oede mich um&#x017F;chauern!</l><lb/>
            <l>Verbannt wo in der Fel&#x017F;en Spalt</l><lb/>
            <l>Die Tauben um den Tauber trauern!&#x201C;</l><lb/>
          </lg>
          <lg n="10">
            <l>Sie &#x017F;ah mich lange an,</l><lb/>
            <l>Im Auge Sterbeklagen,</l><lb/>
            <l>Und lang&#x017F;am hat &#x017F;ie dann</l><lb/>
            <l>Den Wunden fortgetragen.</l><lb/>
            <l>Sie klomm den Klippen&#x017F;teig entlang,</l><lb/>
            <l>Ihr Aechzen &#x017F;choll vom Steine nieder,</l><lb/>
            <l>Wo grade unterm Schieferhang</l><lb/>
            <l>Sich regte bläuliches Gefieder.</l><lb/>
          </lg>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[13/0027] Und wieder hörte ich den Schlag Der Amſel und der Grille Hüpfen, Und wieder durch den wilden Haag Der Biene ſterbend Sumſen ſchlüpfen. Da ſchleift' es, ſchwer wie Blei, Da flüſtert' es aufs neue: „O wache! ſteh mir bei! Ich bin die Gattentreue.“ Das Auge hob ich, und ein Weib Sah ich wie halbgebrochen bücken, Das eines Mannes wunden Leib Mühſelig trug auf ſeinem Rücken. Ein feuchter Schleyer hing Ihr Haar am Antlitz nieder, Des Schweißes Perle fing Sich in der Wimper wieder. „Verbannt! verbannt zum wilden Wald, Wo Nacht und Oede mich umſchauern! Verbannt wo in der Felſen Spalt Die Tauben um den Tauber trauern!“ Sie ſah mich lange an, Im Auge Sterbeklagen, Und langſam hat ſie dann Den Wunden fortgetragen. Sie klomm den Klippenſteig entlang, Ihr Aechzen ſcholl vom Steine nieder, Wo grade unterm Schieferhang Sich regte bläuliches Gefieder.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/27
Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/27>, abgerufen am 19.04.2024.