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Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.

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Hast du so Vieles, so Vieles erlebt,
Daß dir im Traume es kehren muß,
Daß deine gleißende Nerv' erbebt,
Naht ihr am Strand eines Menschen Fuß?
Dahin, dahin! die einst so gesund,
So reich und mächtig, so arm und klein,
Und nur ihr flüchtiger Spiegelschein
Liegt zerflossen auf deinem Grund.
Der Ritter, so aus der Burg hervor
Vom Hange trabte in aller Früh;
-- Jetzt nickt die Esche vom grauen Thor,
Am Zwinger zeichnet die Mylady. --
Das arme Mütterlein, das gebleicht
Sein Leichenhemde den Strand entlang,
Der Kranke, der seinen letzten Gang
An deinem Borde gekeucht;
Das spielende Kind, das neckend hier
Sein Schneckenhäuschen geschleudert hat,
Die glühende Braut, die lächelnd dir
Von der Ringelblume gab Blatt um Blatt;
Der Sänger, der mit trunkenem Aug'
Das Metrum geplätschert in deiner Flut,
Der Pilger, so am Gesteine geruht,
Sie Alle dahin wie Rauch!
Bist du so fromm, alte Wasserfey,
Hältst nur umschlungen, läßt nimmer los?
Hat sich aus dem Gebirge die Treu'
Geflüchtet in deinen heiligen Schoos?
Haſt du ſo Vieles, ſo Vieles erlebt,
Daß dir im Traume es kehren muß,
Daß deine gleißende Nerv' erbebt,
Naht ihr am Strand eines Menſchen Fuß?
Dahin, dahin! die einſt ſo geſund,
So reich und mächtig, ſo arm und klein,
Und nur ihr flüchtiger Spiegelſchein
Liegt zerfloſſen auf deinem Grund.
Der Ritter, ſo aus der Burg hervor
Vom Hange trabte in aller Früh;
— Jetzt nickt die Eſche vom grauen Thor,
Am Zwinger zeichnet die Mylady. —
Das arme Mütterlein, das gebleicht
Sein Leichenhemde den Strand entlang,
Der Kranke, der ſeinen letzten Gang
An deinem Borde gekeucht;
Das ſpielende Kind, das neckend hier
Sein Schneckenhäuschen geſchleudert hat,
Die glühende Braut, die lächelnd dir
Von der Ringelblume gab Blatt um Blatt;
Der Sänger, der mit trunkenem Aug'
Das Metrum geplätſchert in deiner Flut,
Der Pilger, ſo am Geſteine geruht,
Sie Alle dahin wie Rauch!
Biſt du ſo fromm, alte Waſſerfey,
Hältſt nur umſchlungen, läßt nimmer los?
Hat ſich aus dem Gebirge die Treu'
Geflüchtet in deinen heiligen Schoos?
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[100/0114] Haſt du ſo Vieles, ſo Vieles erlebt, Daß dir im Traume es kehren muß, Daß deine gleißende Nerv' erbebt, Naht ihr am Strand eines Menſchen Fuß? Dahin, dahin! die einſt ſo geſund, So reich und mächtig, ſo arm und klein, Und nur ihr flüchtiger Spiegelſchein Liegt zerfloſſen auf deinem Grund. Der Ritter, ſo aus der Burg hervor Vom Hange trabte in aller Früh; — Jetzt nickt die Eſche vom grauen Thor, Am Zwinger zeichnet die Mylady. — Das arme Mütterlein, das gebleicht Sein Leichenhemde den Strand entlang, Der Kranke, der ſeinen letzten Gang An deinem Borde gekeucht; Das ſpielende Kind, das neckend hier Sein Schneckenhäuschen geſchleudert hat, Die glühende Braut, die lächelnd dir Von der Ringelblume gab Blatt um Blatt; Der Sänger, der mit trunkenem Aug' Das Metrum geplätſchert in deiner Flut, Der Pilger, ſo am Geſteine geruht, Sie Alle dahin wie Rauch! Biſt du ſo fromm, alte Waſſerfey, Hältſt nur umſchlungen, läßt nimmer los? Hat ſich aus dem Gebirge die Treu' Geflüchtet in deinen heiligen Schoos?

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Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/114>, abgerufen am 28.03.2024.