Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.

Bild:
<< vorherige Seite

Flattert es hier und dort
In der steigenden Dämmrung Hort.

Gleich einem Königsgarten,
Den verlassen die Fürstin hoch --
Nur in der Kühle ergehen
Und um die Beete sich drehen
Flüsternd ein Paar Hoffräulein noch.
Da des Himmels Vorhang sinkt,
Oeffnet sich der Erde Brust,
Leise, leise Kräutlein trinkt,
Und entschlummert unbewußt;
Und sein furchtsam Wächterlein,
Würmchen mit dem grünen Schein,
Zündet an dem Glühholz sein
Leuchtchen klein.
Der Gärtner, über die Blumen gebeugt,
Spürt an der Sohle den Thau,
Gleich vom nächsten Halme er streicht
Lächelnd die Tropfen lau;
Geht noch einmal entlang den Wall,
Prüft jede Knospe genau und gut:
"Schlaft denn", spricht er, "ihr Kindlein all,
Schlafet! ich laß euch der Mutter Hut;
Liebe Erde! mir sind die Wimpern schwer,
Hab' die letzte Nacht durchwacht,
Breit wohl deinen Thaumantel um sie her,
Nimm wohl mir die Kleinen in Acht."

Flattert es hier und dort
In der ſteigenden Dämmrung Hort.

Gleich einem Königsgarten,
Den verlaſſen die Fürſtin hoch —
Nur in der Kühle ergehen
Und um die Beete ſich drehen
Flüſternd ein Paar Hoffräulein noch.
Da des Himmels Vorhang ſinkt,
Oeffnet ſich der Erde Bruſt,
Leiſe, leiſe Kräutlein trinkt,
Und entſchlummert unbewußt;
Und ſein furchtſam Wächterlein,
Würmchen mit dem grünen Schein,
Zündet an dem Glühholz ſein
Leuchtchen klein.
Der Gärtner, über die Blumen gebeugt,
Spürt an der Sohle den Thau,
Gleich vom nächſten Halme er ſtreicht
Lächelnd die Tropfen lau;
Geht noch einmal entlang den Wall,
Prüft jede Knoſpe genau und gut:
„Schlaft denn“, ſpricht er, „ihr Kindlein all,
Schlafet! ich laß euch der Mutter Hut;
Liebe Erde! mir ſind die Wimpern ſchwer,
Hab' die letzte Nacht durchwacht,
Breit wohl deinen Thaumantel um ſie her,
Nimm wohl mir die Kleinen in Acht.“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <lg type="poem">
              <lg n="1">
                <pb facs="#f0100" n="86"/>
                <l>Flattert es hier und dort</l><lb/>
                <l>In der &#x017F;teigenden Dämmrung Hort.</l><lb/>
              </lg>
              <lg n="2">
                <l>Gleich einem Königsgarten,</l><lb/>
                <l>Den verla&#x017F;&#x017F;en die Für&#x017F;tin hoch &#x2014;</l><lb/>
                <l>Nur in der Kühle ergehen</l><lb/>
                <l>Und um die Beete &#x017F;ich drehen</l><lb/>
                <l>Flü&#x017F;ternd ein Paar Hoffräulein noch.</l><lb/>
              </lg>
              <lg n="3">
                <l>Da des Himmels Vorhang &#x017F;inkt,</l><lb/>
                <l>Oeffnet &#x017F;ich der Erde Bru&#x017F;t,</l><lb/>
                <l>Lei&#x017F;e, lei&#x017F;e Kräutlein trinkt,</l><lb/>
                <l>Und ent&#x017F;chlummert unbewußt;</l><lb/>
                <l>Und &#x017F;ein furcht&#x017F;am Wächterlein,</l><lb/>
                <l>Würmchen mit dem grünen Schein,</l><lb/>
                <l>Zündet an dem Glühholz &#x017F;ein</l><lb/>
                <l>Leuchtchen klein.</l><lb/>
              </lg>
              <lg n="4">
                <l>Der Gärtner, über die Blumen gebeugt,</l><lb/>
                <l>Spürt an der Sohle den Thau,</l><lb/>
                <l>Gleich vom näch&#x017F;ten Halme er &#x017F;treicht</l><lb/>
                <l>Lächelnd die Tropfen lau;</l><lb/>
                <l>Geht noch einmal entlang den Wall,</l><lb/>
                <l>Prüft jede Kno&#x017F;pe genau und gut:</l><lb/>
                <l>&#x201E;Schlaft denn&#x201C;, &#x017F;pricht er, &#x201E;ihr Kindlein all,</l><lb/>
                <l>Schlafet! ich laß euch der Mutter Hut;</l><lb/>
                <l>Liebe Erde! mir &#x017F;ind die Wimpern &#x017F;chwer,</l><lb/>
                <l>Hab' die letzte Nacht durchwacht,</l><lb/>
                <l>Breit <hi rendition="#g">wohl</hi> deinen Thaumantel um &#x017F;ie her,</l><lb/>
                <l>Nimm <hi rendition="#g">wohl</hi> mir die Kleinen in Acht.&#x201C;</l><lb/>
              </lg>
            </lg>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[86/0100] Flattert es hier und dort In der ſteigenden Dämmrung Hort. Gleich einem Königsgarten, Den verlaſſen die Fürſtin hoch — Nur in der Kühle ergehen Und um die Beete ſich drehen Flüſternd ein Paar Hoffräulein noch. Da des Himmels Vorhang ſinkt, Oeffnet ſich der Erde Bruſt, Leiſe, leiſe Kräutlein trinkt, Und entſchlummert unbewußt; Und ſein furchtſam Wächterlein, Würmchen mit dem grünen Schein, Zündet an dem Glühholz ſein Leuchtchen klein. Der Gärtner, über die Blumen gebeugt, Spürt an der Sohle den Thau, Gleich vom nächſten Halme er ſtreicht Lächelnd die Tropfen lau; Geht noch einmal entlang den Wall, Prüft jede Knoſpe genau und gut: „Schlaft denn“, ſpricht er, „ihr Kindlein all, Schlafet! ich laß euch der Mutter Hut; Liebe Erde! mir ſind die Wimpern ſchwer, Hab' die letzte Nacht durchwacht, Breit wohl deinen Thaumantel um ſie her, Nimm wohl mir die Kleinen in Acht.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/100
Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/100>, abgerufen am 19.04.2024.