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Dohm, Hedwig: Erziehung zum Stimmrecht der Frau. Berlin, 1910 (= Schriften des Preußischen Landesvereins für Frauenstimmrecht, Bd. 6).

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Und drittens, kann es kluge und treffliche Frauen geben, die
ihre Natur zum Zölibat bestimmte. Sexuell wertlos, können sie
als Mensch von höchstem Wert sein, vielleicht fruchtbarer für die
Allgemeinheit als eine Frau, die zwölf Kinder zur Welt bringt.
Gott segne auch diese jungfräulichen Frauen!

Jede kultivierte Frau hat Recht, die ihrer Seele den Willen tut.

Eine politische Frau! Dem Manne graust's. Wehe! Die
Frauen wollen Männer werden. Eingeschworen auf diesen Satz
ist jeder Antifeminist. So erbt ein Unsinn sich von einem Nicht-
denker zum andern fort.

Man verwechselt immer Männer und Menschen und verlangt
von der Frau nichts geringeres als Selbstentmenschung.

O gewiß, ja, ganze, volle Menschen wollen wir sein, und
haben wollen wir alles, was des Menschen ist: Brot und Bildung,
Arbeit und Freude. Alle sonstigen Mannesattribute - von seiner
eminenten Logik bis zu seiner Glatze herunter - lassen wir gern
unangetastet.

Der Wille Gottes wird gegen das Frauenstimmrecht mobil
gemacht. Jch meine, dieser allzu menschliche Gott läßt mit sich
reden, Hält er es nicht stets mit den Erfolgreichen? Spricht
nicht der siegreiche Herrscher: Gott hat mir den Sieg verliehen,
mir den Feind zermalmt?

Und wenn die nächste Schlacht der Feind gewinnt, so war es
wiederum Gott, der es also fügte. Auch der Zentrumsmann, der
aus dem Wahlkampf als Sieger hervorgeht, schiebt dieses -
Freidenkern so unwillkommene Resultat - dem lieben Gott in
die Schuhe. Ein Gott fürwahr, der nicht immer seiner eigenen
Meinung ist, sie sich vielmehr von einer diesseitigen Kamarilla
ins Jenseits hinauf insinuieren läßt.

Erobert das Stimmrecht, meine Schwestern, und ihr werdet
diesen Gott an eurer Seite finden. Es scheint, daß im Himmel
wie auf Erden der Erfolg entscheidet.

Vorwärts! Aufwärts! meine flügelstarken Schwestern! Keine
Höhe sei euch zu hoch, keine Ferne zu fern. Die Luft ist befahrbar
geworden. Auch das nebelhafte, vermeintliche Luftschloß eurer
Emanzipation wird bewohnbar werden.

Vor euch - seht - das Land, das ihr mit der Seele suchtet,
seit Jahrtausenden, das Land, das euch geistiger, sexueller und
physischer Not entheben soll.

Diejenigen, die euch mannhaft die gefährlichen Flügel
stutzen wollen, kommen mir wie die Weltdamen vor, die böse
werden, wenn andere Frauen ihre Kleiderfacons nachahmen.
Sie meinen, daß ihre Kleider dadurch entwertet werden. So

Und drittens, kann es kluge und treffliche Frauen geben, die
ihre Natur zum Zölibat bestimmte. Sexuell wertlos, können sie
als Mensch von höchstem Wert sein, vielleicht fruchtbarer für die
Allgemeinheit als eine Frau, die zwölf Kinder zur Welt bringt.
Gott segne auch diese jungfräulichen Frauen!

Jede kultivierte Frau hat Recht, die ihrer Seele den Willen tut.

Eine politische Frau! Dem Manne graust's. Wehe! Die
Frauen wollen Männer werden. Eingeschworen auf diesen Satz
ist jeder Antifeminist. So erbt ein Unsinn sich von einem Nicht-
denker zum andern fort.

Man verwechselt immer Männer und Menschen und verlangt
von der Frau nichts geringeres als Selbstentmenschung.

O gewiß, ja, ganze, volle Menschen wollen wir sein, und
haben wollen wir alles, was des Menschen ist: Brot und Bildung,
Arbeit und Freude. Alle sonstigen Mannesattribute – von seiner
eminenten Logik bis zu seiner Glatze herunter – lassen wir gern
unangetastet.

Der Wille Gottes wird gegen das Frauenstimmrecht mobil
gemacht. Jch meine, dieser allzu menschliche Gott läßt mit sich
reden, Hält er es nicht stets mit den Erfolgreichen? Spricht
nicht der siegreiche Herrscher: Gott hat mir den Sieg verliehen,
mir den Feind zermalmt?

Und wenn die nächste Schlacht der Feind gewinnt, so war es
wiederum Gott, der es also fügte. Auch der Zentrumsmann, der
aus dem Wahlkampf als Sieger hervorgeht, schiebt dieses –
Freidenkern so unwillkommene Resultat – dem lieben Gott in
die Schuhe. Ein Gott fürwahr, der nicht immer seiner eigenen
Meinung ist, sie sich vielmehr von einer diesseitigen Kamarilla
ins Jenseits hinauf insinuieren läßt.

Erobert das Stimmrecht, meine Schwestern, und ihr werdet
diesen Gott an eurer Seite finden. Es scheint, daß im Himmel
wie auf Erden der Erfolg entscheidet.

Vorwärts! Aufwärts! meine flügelstarken Schwestern! Keine
Höhe sei euch zu hoch, keine Ferne zu fern. Die Luft ist befahrbar
geworden. Auch das nebelhafte, vermeintliche Luftschloß eurer
Emanzipation wird bewohnbar werden.

Vor euch – seht – das Land, das ihr mit der Seele suchtet,
seit Jahrtausenden, das Land, das euch geistiger, sexueller und
physischer Not entheben soll.

Diejenigen, die euch mannhaft die gefährlichen Flügel
stutzen wollen, kommen mir wie die Weltdamen vor, die böse
werden, wenn andere Frauen ihre Kleiderfacons nachahmen.
Sie meinen, daß ihre Kleider dadurch entwertet werden. So

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[21/0022] Und drittens, kann es kluge und treffliche Frauen geben, die ihre Natur zum Zölibat bestimmte. Sexuell wertlos, können sie als Mensch von höchstem Wert sein, vielleicht fruchtbarer für die Allgemeinheit als eine Frau, die zwölf Kinder zur Welt bringt. Gott segne auch diese jungfräulichen Frauen! Jede kultivierte Frau hat Recht, die ihrer Seele den Willen tut. Eine politische Frau! Dem Manne graust's. Wehe! Die Frauen wollen Männer werden. Eingeschworen auf diesen Satz ist jeder Antifeminist. So erbt ein Unsinn sich von einem Nicht- denker zum andern fort. Man verwechselt immer Männer und Menschen und verlangt von der Frau nichts geringeres als Selbstentmenschung. O gewiß, ja, ganze, volle Menschen wollen wir sein, und haben wollen wir alles, was des Menschen ist: Brot und Bildung, Arbeit und Freude. Alle sonstigen Mannesattribute – von seiner eminenten Logik bis zu seiner Glatze herunter – lassen wir gern unangetastet. Der Wille Gottes wird gegen das Frauenstimmrecht mobil gemacht. Jch meine, dieser allzu menschliche Gott läßt mit sich reden, Hält er es nicht stets mit den Erfolgreichen? Spricht nicht der siegreiche Herrscher: Gott hat mir den Sieg verliehen, mir den Feind zermalmt? Und wenn die nächste Schlacht der Feind gewinnt, so war es wiederum Gott, der es also fügte. Auch der Zentrumsmann, der aus dem Wahlkampf als Sieger hervorgeht, schiebt dieses – Freidenkern so unwillkommene Resultat – dem lieben Gott in die Schuhe. Ein Gott fürwahr, der nicht immer seiner eigenen Meinung ist, sie sich vielmehr von einer diesseitigen Kamarilla ins Jenseits hinauf insinuieren läßt. Erobert das Stimmrecht, meine Schwestern, und ihr werdet diesen Gott an eurer Seite finden. Es scheint, daß im Himmel wie auf Erden der Erfolg entscheidet. Vorwärts! Aufwärts! meine flügelstarken Schwestern! Keine Höhe sei euch zu hoch, keine Ferne zu fern. Die Luft ist befahrbar geworden. Auch das nebelhafte, vermeintliche Luftschloß eurer Emanzipation wird bewohnbar werden. Vor euch – seht – das Land, das ihr mit der Seele suchtet, seit Jahrtausenden, das Land, das euch geistiger, sexueller und physischer Not entheben soll. Diejenigen, die euch mannhaft die gefährlichen Flügel stutzen wollen, kommen mir wie die Weltdamen vor, die böse werden, wenn andere Frauen ihre Kleiderfacons nachahmen. Sie meinen, daß ihre Kleider dadurch entwertet werden. So

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-09-14T13:15:52Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-09-14T13:15:52Z)

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Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja; /p>




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Zitationshilfe: Dohm, Hedwig: Erziehung zum Stimmrecht der Frau. Berlin, 1910 (= Schriften des Preußischen Landesvereins für Frauenstimmrecht, Bd. 6), S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dohm_erziehung_1910/22>, abgerufen am 29.03.2024.