Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dohm, Hedwig: Erziehung zum Stimmrecht der Frau. Berlin, 1910 (= Schriften des Preußischen Landesvereins für Frauenstimmrecht, Bd. 6).

Bild:
<< vorherige Seite

Ja man spricht dem Weibe auch heute noch schlankweg das
Menschentum ab. Schrieb nicht erst kürzlich Sombart, - ein
vielgenannter und gerühmter Nationalökonom, - "Alles, was
wir an Erfahrungen über die notwendigsten Voraussetzungen
einer sich physiologisch normal entwickelnden Rasse wissen, ist,
daß in dem Rahmen einer solchen Entwicklung für das Menschen-
tum der Frau kein Platz ist ... Das Beweismaterial für die
Richtigkeit dieser Auffassung entnehmen wir dem Schicksal aller
bisherigen Kulturnationen, die gerade daran zugrunde gegangen
sind, weil ihre Frauen Menschen wurden." ...

Und schrieb nicht vor wenigen Wochen erst jener geistesbe-
gabte, temperamentvolle Sanatoriumsarzt, daß die Frau nur "eine
vorübergehende Erscheinung" sei und nur um ihrer Frucht willen
wertvoll.

Da seht ihr's, liebe Frauen! Nicht muß es heißen: Es
war! Nein: Es ist!

Und warum ist es? ist es noch immer? Sehr einfach. Die
Gesetze sind gegen die Frau, weil ohne sie.

Wer die Macht hat, hat die Neigung sie schrankenlos aus-
zuüben. Nicht an dem Recht des andern, sondern an der tapferen
Gegenwehr des Rechtlosen findet der despotische Willen des Macht-
inhabers eine Grenze.

Wahrlich, die Juden hatten Recht, wenn sie in einem Ab-
schnitt ihrer Gebete Jehova dankten, daß er sie nicht zu Weibern
schuf.

Las ich doch in dem Buche eines Gelehrten, daß die Frauen
deshalb besser, resignierter stürben als die Männer, weil sie mit
dem Leben nicht viel Freuden aufzugeben hätten.

Früher wurde die Geringschätzung der Frau offen
an den Tag gelegt.

O, unsere Herren und Gebieter sind höflicher geworden.

Jetzt sind wir nicht mehr minderwertig, nur anderswertig
als der Mann. Aus dem Mund selbst orthodoxer Antifeministen
wird uns diese tröstliche Versicherung.

Seltsam - seltsam, die Auslegung dieser Anderswertigkeit!

Zwar Tribüne, Kanzel, Dozententum, alle höheren Staats-
stellungen sind euch Frauen verschlossen. Zwar schauderten auf dem
Lehrerkongreß des vorigen Jahres die Herren Lehrer vor der
Möglichkeit, einer Frau Direktorin untergeben zu sein; dieselben
Herren, die vor den dümmsten Mannspersonen, wenn es zufällig
ihre Vorgesetzten sind, sich bücken, sich bücken müssen.

Zwar in der Schulverwaltung weigert man euch noch immer

Ja man spricht dem Weibe auch heute noch schlankweg das
Menschentum ab. Schrieb nicht erst kürzlich Sombart, – ein
vielgenannter und gerühmter Nationalökonom, – „Alles, was
wir an Erfahrungen über die notwendigsten Voraussetzungen
einer sich physiologisch normal entwickelnden Rasse wissen, ist,
daß in dem Rahmen einer solchen Entwicklung für das Menschen-
tum der Frau kein Platz ist … Das Beweismaterial für die
Richtigkeit dieser Auffassung entnehmen wir dem Schicksal aller
bisherigen Kulturnationen, die gerade daran zugrunde gegangen
sind, weil ihre Frauen Menschen wurden.“ …

Und schrieb nicht vor wenigen Wochen erst jener geistesbe-
gabte, temperamentvolle Sanatoriumsarzt, daß die Frau nur „eine
vorübergehende Erscheinung“ sei und nur um ihrer Frucht willen
wertvoll.

Da seht ihr's, liebe Frauen! Nicht muß es heißen: Es
war! Nein: Es ist!

Und warum ist es? ist es noch immer? Sehr einfach. Die
Gesetze sind gegen die Frau, weil ohne sie.

Wer die Macht hat, hat die Neigung sie schrankenlos aus-
zuüben. Nicht an dem Recht des andern, sondern an der tapferen
Gegenwehr des Rechtlosen findet der despotische Willen des Macht-
inhabers eine Grenze.

Wahrlich, die Juden hatten Recht, wenn sie in einem Ab-
schnitt ihrer Gebete Jehova dankten, daß er sie nicht zu Weibern
schuf.

Las ich doch in dem Buche eines Gelehrten, daß die Frauen
deshalb besser, resignierter stürben als die Männer, weil sie mit
dem Leben nicht viel Freuden aufzugeben hätten.

Früher wurde die Geringschätzung der Frau offen
an den Tag gelegt.

O, unsere Herren und Gebieter sind höflicher geworden.

Jetzt sind wir nicht mehr minderwertig, nur anderswertig
als der Mann. Aus dem Mund selbst orthodoxer Antifeministen
wird uns diese tröstliche Versicherung.

Seltsam – seltsam, die Auslegung dieser Anderswertigkeit!

Zwar Tribüne, Kanzel, Dozententum, alle höheren Staats-
stellungen sind euch Frauen verschlossen. Zwar schauderten auf dem
Lehrerkongreß des vorigen Jahres die Herren Lehrer vor der
Möglichkeit, einer Frau Direktorin untergeben zu sein; dieselben
Herren, die vor den dümmsten Mannspersonen, wenn es zufällig
ihre Vorgesetzten sind, sich bücken, sich bücken müssen.

Zwar in der Schulverwaltung weigert man euch noch immer

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0019" n="18"/>
        <p>Ja man spricht dem Weibe auch heute noch schlankweg das<lb/>
Menschentum ab. Schrieb nicht erst kürzlich Sombart, &#x2013; ein<lb/>
vielgenannter und gerühmter Nationalökonom, &#x2013; &#x201E;Alles, was<lb/>
wir an Erfahrungen über die notwendigsten Voraussetzungen<lb/>
einer sich physiologisch normal entwickelnden Rasse wissen, ist,<lb/>
daß in dem Rahmen einer solchen Entwicklung für das Menschen-<lb/>
tum der Frau kein Platz ist &#x2026; Das Beweismaterial für die<lb/>
Richtigkeit dieser Auffassung entnehmen wir dem Schicksal aller<lb/>
bisherigen Kulturnationen, die gerade daran zugrunde gegangen<lb/>
sind, weil ihre Frauen Menschen wurden.&#x201C; &#x2026;</p><lb/>
        <p>Und schrieb nicht vor wenigen Wochen erst jener geistesbe-<lb/>
gabte, temperamentvolle Sanatoriumsarzt, daß die Frau nur &#x201E;eine<lb/>
vorübergehende Erscheinung&#x201C; sei und nur um ihrer Frucht willen<lb/>
wertvoll.</p><lb/>
        <p>Da seht ihr's, liebe Frauen! Nicht muß es heißen: Es<lb/><hi rendition="#g">war</hi>! Nein: Es <hi rendition="#g">ist</hi>!</p><lb/>
        <p>Und warum ist es? ist es noch immer? Sehr einfach. Die<lb/>
Gesetze sind <hi rendition="#g">gegen</hi> die Frau, weil <hi rendition="#g">ohne</hi> sie.</p><lb/>
        <p>Wer die Macht hat, hat die Neigung sie schrankenlos aus-<lb/>
zuüben. Nicht an dem Recht des andern, sondern an der tapferen<lb/>
Gegenwehr des Rechtlosen findet der despotische Willen des Macht-<lb/>
inhabers eine Grenze.</p><lb/>
        <p>Wahrlich, die Juden hatten Recht, wenn sie in einem Ab-<lb/>
schnitt ihrer Gebete Jehova dankten, daß er sie nicht zu Weibern<lb/>
schuf.</p><lb/>
        <p>Las ich doch in dem Buche eines Gelehrten, daß die Frauen<lb/>
deshalb besser, resignierter stürben als die Männer, weil sie mit<lb/>
dem Leben nicht viel Freuden aufzugeben hätten.</p><lb/>
        <p>Früher wurde die Geringschätzung der Frau offen<lb/>
an den Tag gelegt.</p><lb/>
        <p>O, unsere Herren und Gebieter sind höflicher geworden.</p><lb/>
        <p>Jetzt sind wir nicht mehr minderwertig, nur anderswertig<lb/>
als der Mann. Aus dem Mund selbst orthodoxer Antifeministen<lb/>
wird uns diese tröstliche Versicherung.</p><lb/>
        <p>Seltsam &#x2013; seltsam, die Auslegung dieser Anderswertigkeit!</p><lb/>
        <p>Zwar Tribüne, Kanzel, Dozententum, alle höheren Staats-<lb/>
stellungen sind euch Frauen verschlossen. Zwar schauderten auf dem<lb/>
Lehrerkongreß des vorigen Jahres die Herren Lehrer vor der<lb/>
Möglichkeit, einer Frau Direktorin untergeben zu sein; dieselben<lb/>
Herren, die vor den dümmsten Mannspersonen, wenn es zufällig<lb/>
ihre Vorgesetzten sind, sich bücken, sich bücken müssen.</p><lb/>
        <p>Zwar in der Schulverwaltung weigert man euch noch immer<lb/>
&#x2003;
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[18/0019] Ja man spricht dem Weibe auch heute noch schlankweg das Menschentum ab. Schrieb nicht erst kürzlich Sombart, – ein vielgenannter und gerühmter Nationalökonom, – „Alles, was wir an Erfahrungen über die notwendigsten Voraussetzungen einer sich physiologisch normal entwickelnden Rasse wissen, ist, daß in dem Rahmen einer solchen Entwicklung für das Menschen- tum der Frau kein Platz ist … Das Beweismaterial für die Richtigkeit dieser Auffassung entnehmen wir dem Schicksal aller bisherigen Kulturnationen, die gerade daran zugrunde gegangen sind, weil ihre Frauen Menschen wurden.“ … Und schrieb nicht vor wenigen Wochen erst jener geistesbe- gabte, temperamentvolle Sanatoriumsarzt, daß die Frau nur „eine vorübergehende Erscheinung“ sei und nur um ihrer Frucht willen wertvoll. Da seht ihr's, liebe Frauen! Nicht muß es heißen: Es war! Nein: Es ist! Und warum ist es? ist es noch immer? Sehr einfach. Die Gesetze sind gegen die Frau, weil ohne sie. Wer die Macht hat, hat die Neigung sie schrankenlos aus- zuüben. Nicht an dem Recht des andern, sondern an der tapferen Gegenwehr des Rechtlosen findet der despotische Willen des Macht- inhabers eine Grenze. Wahrlich, die Juden hatten Recht, wenn sie in einem Ab- schnitt ihrer Gebete Jehova dankten, daß er sie nicht zu Weibern schuf. Las ich doch in dem Buche eines Gelehrten, daß die Frauen deshalb besser, resignierter stürben als die Männer, weil sie mit dem Leben nicht viel Freuden aufzugeben hätten. Früher wurde die Geringschätzung der Frau offen an den Tag gelegt. O, unsere Herren und Gebieter sind höflicher geworden. Jetzt sind wir nicht mehr minderwertig, nur anderswertig als der Mann. Aus dem Mund selbst orthodoxer Antifeministen wird uns diese tröstliche Versicherung. Seltsam – seltsam, die Auslegung dieser Anderswertigkeit! Zwar Tribüne, Kanzel, Dozententum, alle höheren Staats- stellungen sind euch Frauen verschlossen. Zwar schauderten auf dem Lehrerkongreß des vorigen Jahres die Herren Lehrer vor der Möglichkeit, einer Frau Direktorin untergeben zu sein; dieselben Herren, die vor den dümmsten Mannspersonen, wenn es zufällig ihre Vorgesetzten sind, sich bücken, sich bücken müssen. Zwar in der Schulverwaltung weigert man euch noch immer  

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-09-14T13:15:52Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-09-14T13:15:52Z)

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja; /p>




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dohm_erziehung_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dohm_erziehung_1910/19
Zitationshilfe: Dohm, Hedwig: Erziehung zum Stimmrecht der Frau. Berlin, 1910 (= Schriften des Preußischen Landesvereins für Frauenstimmrecht, Bd. 6), S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dohm_erziehung_1910/19>, abgerufen am 29.03.2024.