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Diefenbach, Johann: Reformation oder Revolution. Mainz, 1897.

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von Wittenberg bis Rom reichte und das Ohr des Papstes
so gewaltig kitzelte, daß ihm vor Schrecken die Tiara vom
Haupte fiel. Diese Titelbilder sind so angelegt, daß links
die Vorbilder im A. T. und rechts deren Erfüllung im N. T.
dargestellt sind, die entsprechenden Bibeltexte sind darunter an-
gegeben und zwar unter jenem mit der Riesenfeder, dem
Mönche und dem Papste, II Thess. 2., und auf dem andern
gegenüberstehenden II Petr. 2, 4. Der Text redet bei Pau-
lus im Thessalonicher-Brief "vom Menschen der Sünde, vom
Sohne des Verderbens, der sich überhebt über alles, was
Gott heißt oder göttlich verehrt wird, so daß er sich in den
Tempel Gottes setzt und für Gott ausgiebt; den der Herr
Jesus töten wird mit dem Hauch seines Mundes und zu
nichte machen wird durch den Glanz seiner Ankunft." Der
Apostel spricht hier vom Antichrist.

Der Text dagegen bei II Petr. 2, 4 lautet: "Gott
hat die gefallenen Engel nicht geschont, sondern in den
Abgrund der Hölle gestürzt und der Pein übergeben." Mit
besonderem Nachdrucke wurde der Papst in Luthers Mund
zum Antichrist gemacht, indem er das "Papsttum selbst vom
Teufel gestiftet" sein ließ. Um diese Thesis zu stützen, berief
er sich auf die Nähe des jüngsten Tages und hat mit dieser
Weissagung ebensowenig Glück, wie mit jener von den Wir-
kungen und Folgen seines Todes. Doch, darf man hier
fragen, war es kein schändlicher Mißbrauch, die heilige
Schrift dafür zu verwenden, um solchen Jrrtum und Aber-
glauben unter dem Volke zu kolportieren? Nein, "der Zweck
heiligte die Mittel" schon, ehe noch Jesuiten existierten, denen
man diesen Grundsatz fälschlich imputiert hat.

Den Ausdruck "Reformation" und "Reformator" hat
Luther nicht erst selbst erfunden, um denselben sich beizulegen,

von Wittenberg bis Rom reichte und das Ohr des Papſtes
ſo gewaltig kitzelte, daß ihm vor Schrecken die Tiara vom
Haupte fiel. Dieſe Titelbilder ſind ſo angelegt, daß links
die Vorbilder im A. T. und rechts deren Erfüllung im N. T.
dargeſtellt ſind, die entſprechenden Bibeltexte ſind darunter an-
gegeben und zwar unter jenem mit der Rieſenfeder, dem
Mönche und dem Papſte, II Theſſ. 2., und auf dem andern
gegenüberſtehenden II Petr. 2, 4. Der Text redet bei Pau-
lus im Theſſalonicher-Brief „vom Menſchen der Sünde, vom
Sohne des Verderbens, der ſich überhebt über alles, was
Gott heißt oder göttlich verehrt wird, ſo daß er ſich in den
Tempel Gottes ſetzt und für Gott ausgiebt; den der Herr
Jeſus töten wird mit dem Hauch ſeines Mundes und zu
nichte machen wird durch den Glanz ſeiner Ankunft.‟ Der
Apoſtel ſpricht hier vom Antichriſt.

Der Text dagegen bei II Petr. 2, 4 lautet: „Gott
hat die gefallenen Engel nicht geſchont, ſondern in den
Abgrund der Hölle geſtürzt und der Pein übergeben.‟ Mit
beſonderem Nachdrucke wurde der Papſt in Luthers Mund
zum Antichriſt gemacht, indem er das „Papſttum ſelbſt vom
Teufel geſtiftet‟ ſein ließ. Um dieſe Theſis zu ſtützen, berief
er ſich auf die Nähe des jüngſten Tages und hat mit dieſer
Weisſagung ebenſowenig Glück, wie mit jener von den Wir-
kungen und Folgen ſeines Todes. Doch, darf man hier
fragen, war es kein ſchändlicher Mißbrauch, die heilige
Schrift dafür zu verwenden, um ſolchen Jrrtum und Aber-
glauben unter dem Volke zu kolportieren? Nein, „der Zweck
heiligte die Mittel‟ ſchon, ehe noch Jeſuiten exiſtierten, denen
man dieſen Grundſatz fälſchlich imputiert hat.

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Luther nicht erſt ſelbſt erfunden, um denſelben ſich beizulegen,

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[30/0042] von Wittenberg bis Rom reichte und das Ohr des Papſtes ſo gewaltig kitzelte, daß ihm vor Schrecken die Tiara vom Haupte fiel. Dieſe Titelbilder ſind ſo angelegt, daß links die Vorbilder im A. T. und rechts deren Erfüllung im N. T. dargeſtellt ſind, die entſprechenden Bibeltexte ſind darunter an- gegeben und zwar unter jenem mit der Rieſenfeder, dem Mönche und dem Papſte, II Theſſ. 2., und auf dem andern gegenüberſtehenden II Petr. 2, 4. Der Text redet bei Pau- lus im Theſſalonicher-Brief „vom Menſchen der Sünde, vom Sohne des Verderbens, der ſich überhebt über alles, was Gott heißt oder göttlich verehrt wird, ſo daß er ſich in den Tempel Gottes ſetzt und für Gott ausgiebt; den der Herr Jeſus töten wird mit dem Hauch ſeines Mundes und zu nichte machen wird durch den Glanz ſeiner Ankunft.‟ Der Apoſtel ſpricht hier vom Antichriſt. Der Text dagegen bei II Petr. 2, 4 lautet: „Gott hat die gefallenen Engel nicht geſchont, ſondern in den Abgrund der Hölle geſtürzt und der Pein übergeben.‟ Mit beſonderem Nachdrucke wurde der Papſt in Luthers Mund zum Antichriſt gemacht, indem er das „Papſttum ſelbſt vom Teufel geſtiftet‟ ſein ließ. Um dieſe Theſis zu ſtützen, berief er ſich auf die Nähe des jüngſten Tages und hat mit dieſer Weisſagung ebenſowenig Glück, wie mit jener von den Wir- kungen und Folgen ſeines Todes. Doch, darf man hier fragen, war es kein ſchändlicher Mißbrauch, die heilige Schrift dafür zu verwenden, um ſolchen Jrrtum und Aber- glauben unter dem Volke zu kolportieren? Nein, „der Zweck heiligte die Mittel‟ ſchon, ehe noch Jeſuiten exiſtierten, denen man dieſen Grundſatz fälſchlich imputiert hat. Den Ausdruck „Reformation‟ und „Reformator‟ hat Luther nicht erſt ſelbſt erfunden, um denſelben ſich beizulegen,

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Zitationshilfe: Diefenbach, Johann: Reformation oder Revolution. Mainz, 1897, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/diefenbach_reformation_1897/42>, abgerufen am 20.04.2024.