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Diefenbach, Johann: Reformation oder Revolution. Mainz, 1897.

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ist; Christus, der es als das erste und größte Gebot bezeichnet
hat, den Nächsten zu lieben, auch dann, wenn er Gegner und
Feind ist, wird hier angerufen und gebeten, Christen mit
Haß zu erfüllen gegen Mitchristen: nein, das ist unevange-
lisch, unchristlich und gotteslästerlich, um nicht mehr zu sagen.
So hat sich Christus von den Seinigen nicht verabschiedet,
sondern mit den Worten: "Ein neues Gebot hab ich euch
gegeben, daß ihr einander liebet", und das Wort hinzugefügt:
"Daran will ich euch als meine Jünger erkennen, wenn ihr
einander liebet." Mit jener Aufforderung zum Hasse hat
Luther jedes Merkmals, jeden Anspruches auf den Titel eines
Reformators sich begeben; er hat vielmehr eine giftige Drachen-
saat gesät, die bis heute verderbenbringend fortwuchert.

Jst es nun vielleicht zu viel gesagt, wenn Papst Leo XIII.
in diesem Sinne, wie es bereits Karl V. gethan, die Lehre
Luthers mit einem Gifte vergleicht? Hat doch dasselbe auch
Luther von der Lehre der katholischen Kirche gesagt! Jn einem
Schreiben an Spalatin vom 31. Juli 1520 behauptet er:
"Wenn nicht jene sakrilegische Jurisdiktion (der Bischöfe) zu
Boden liegt, wer kann dann das päpstliche Gift fern-
halten?" Ebenso haben die Päpste, wie Karl V., Luthers
Lehre auch als eine "Pest" bezeichnet; darüber zetern eben-
falls seine Anhänger und halten dies für eine Beschimpfung.

Allein, was wollen die Gegner einwenden, wenn Luther
selbst Geschmack an diesem Ausdruck gefunden, ihn für sich
gewählt und in einem echten Hexameter verewigt hat?

"Vivens eram pestis, moriens ero mors tua, Papa"
d. h. "Lebend war ich dir Pest; mein Tod, Papst, bringt dir
das Ende."

Man hat diesen Ausspruch |als eine Weissagung
Lutheri ansehen wollen, und deshalb kein Bedenken getragen,

iſt; Chriſtus, der es als das erſte und größte Gebot bezeichnet
hat, den Nächſten zu lieben, auch dann, wenn er Gegner und
Feind iſt, wird hier angerufen und gebeten, Chriſten mit
Haß zu erfüllen gegen Mitchriſten: nein, das iſt unevange-
liſch, unchriſtlich und gottesläſterlich, um nicht mehr zu ſagen.
So hat ſich Chriſtus von den Seinigen nicht verabſchiedet,
ſondern mit den Worten: „Ein neues Gebot hab ich euch
gegeben, daß ihr einander liebet‟, und das Wort hinzugefügt:
„Daran will ich euch als meine Jünger erkennen, wenn ihr
einander liebet.‟ Mit jener Aufforderung zum Haſſe hat
Luther jedes Merkmals, jeden Anſpruches auf den Titel eines
Reformators ſich begeben; er hat vielmehr eine giftige Drachen-
ſaat geſät, die bis heute verderbenbringend fortwuchert.

Jſt es nun vielleicht zu viel geſagt, wenn Papſt Leo XIII.
in dieſem Sinne, wie es bereits Karl V. gethan, die Lehre
Luthers mit einem Gifte vergleicht? Hat doch dasſelbe auch
Luther von der Lehre der katholiſchen Kirche geſagt! Jn einem
Schreiben an Spalatin vom 31. Juli 1520 behauptet er:
„Wenn nicht jene ſakrilegiſche Jurisdiktion (der Biſchöfe) zu
Boden liegt, wer kann dann das päpſtliche Gift fern-
halten?‟ Ebenſo haben die Päpſte, wie Karl V., Luthers
Lehre auch als eine „Peſt‟ bezeichnet; darüber zetern eben-
falls ſeine Anhänger und halten dies für eine Beſchimpfung.

Allein, was wollen die Gegner einwenden, wenn Luther
ſelbſt Geſchmack an dieſem Ausdruck gefunden, ihn für ſich
gewählt und in einem echten Hexameter verewigt hat?

„Vivens eram pestis, moriens ero mors tua, Papa‟
d. h. „Lebend war ich dir Peſt; mein Tod, Papſt, bringt dir
das Ende.‟

Man hat dieſen Ausſpruch |als eine Weisſagung
Lutheri anſehen wollen, und deshalb kein Bedenken getragen,

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[28/0040] iſt; Chriſtus, der es als das erſte und größte Gebot bezeichnet hat, den Nächſten zu lieben, auch dann, wenn er Gegner und Feind iſt, wird hier angerufen und gebeten, Chriſten mit Haß zu erfüllen gegen Mitchriſten: nein, das iſt unevange- liſch, unchriſtlich und gottesläſterlich, um nicht mehr zu ſagen. So hat ſich Chriſtus von den Seinigen nicht verabſchiedet, ſondern mit den Worten: „Ein neues Gebot hab ich euch gegeben, daß ihr einander liebet‟, und das Wort hinzugefügt: „Daran will ich euch als meine Jünger erkennen, wenn ihr einander liebet.‟ Mit jener Aufforderung zum Haſſe hat Luther jedes Merkmals, jeden Anſpruches auf den Titel eines Reformators ſich begeben; er hat vielmehr eine giftige Drachen- ſaat geſät, die bis heute verderbenbringend fortwuchert. Jſt es nun vielleicht zu viel geſagt, wenn Papſt Leo XIII. in dieſem Sinne, wie es bereits Karl V. gethan, die Lehre Luthers mit einem Gifte vergleicht? Hat doch dasſelbe auch Luther von der Lehre der katholiſchen Kirche geſagt! Jn einem Schreiben an Spalatin vom 31. Juli 1520 behauptet er: „Wenn nicht jene ſakrilegiſche Jurisdiktion (der Biſchöfe) zu Boden liegt, wer kann dann das päpſtliche Gift fern- halten?‟ Ebenſo haben die Päpſte, wie Karl V., Luthers Lehre auch als eine „Peſt‟ bezeichnet; darüber zetern eben- falls ſeine Anhänger und halten dies für eine Beſchimpfung. Allein, was wollen die Gegner einwenden, wenn Luther ſelbſt Geſchmack an dieſem Ausdruck gefunden, ihn für ſich gewählt und in einem echten Hexameter verewigt hat? „Vivens eram pestis, moriens ero mors tua, Papa‟ d. h. „Lebend war ich dir Peſt; mein Tod, Papſt, bringt dir das Ende.‟ Man hat dieſen Ausſpruch |als eine Weisſagung Lutheri anſehen wollen, und deshalb kein Bedenken getragen,

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Zitationshilfe: Diefenbach, Johann: Reformation oder Revolution. Mainz, 1897, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/diefenbach_reformation_1897/40>, abgerufen am 16.04.2024.