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Diefenbach, Johann: Reformation oder Revolution. Mainz, 1897.

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zu Naumburg die kirchliche Jurisdiktion der weltlichen
Fürsten anerkannt, und auf dem Reichstag zu Augsburg
1555 den Landesherren die Freiheit des Gewissens allein
als Monopol zugesprochen wurde, mit dem Rechte, die Unter-
thanen zur Annahme ihrer Religion zwingen zu dürfen, so
daß z. B. die Pfalz par ordre du Mufti in kurzer Zeit jene
fünfmal wechseln mußte. Als Aufrührer protestierten sie
1529 gegen den Reichstagsabschied von Speier, schlossen 1531
den Schmalkaldischen Bund im Widerspruch gegen die Reichs-
verfassung, versammelten sich 1538 zu Zerbst und zu Braun-
schweig, um eine Gesandtschaft an den König von Frankreich
zu senden und ein Bündniß mit ihm wider den Kaiser abzu-
schließen, griffen 1546 zu den Waffen und verbündeten sich
durch Moriz von Sachsen 1551 mit dem Könige Heinrich
von Frankreich, der erste Landesverrat, wodurch dem deutschen
Reiche die Bistümer Metz, Toul und Verdun entrissen wur-
den. Mit gleichen landesverräterischen Praktiken gingen vor
die protestantischen Stände in Böhmen und Bayern, in Nieder-
und Ober-Österreich, in Steiermark, welche mit den aufstän-
dischen Ungarn unter Bethlen Gabor und selbst mit den Tür-
ken in Verbindung traten gegen ihren Landesherrn. Niemals
ist der angeblich jesuitische Grundsatz: "Der Zweck heiligt die
Mittel" so unverfroren und ungescheut zur Anwendung ge-
kommen als in dem ersten Jahrhundert der Reformation von
seiten protestantischer Reichsstände1). Niemals hat Deutsch-
land eine so große Zahl "vaterlandsloser Gesellen" verzeichnen

1) Die Reichsstadt Frankfurt wollte kaisertreu| erscheinen |und unter-
zeichnete weder die Speyerer Protestation und die Augsburger Konfes-
sion, noch nahm sie teil am Schmalkaldner Bund. Cf. Dr. E. Trom-
mershausen, Beitrag zur Geschichte des landesherrlichen Kirchenregi-
ments. Frankfurt 1897. S. 24 und 25.

zu Naumburg die kirchliche Jurisdiktion der weltlichen
Fürſten anerkannt, und auf dem Reichstag zu Augsburg
1555 den Landesherren die Freiheit des Gewiſſens allein
als Monopol zugeſprochen wurde, mit dem Rechte, die Unter-
thanen zur Annahme ihrer Religion zwingen zu dürfen, ſo
daß z. B. die Pfalz par ordre du Mufti in kurzer Zeit jene
fünfmal wechſeln mußte. Als Aufrührer proteſtierten ſie
1529 gegen den Reichstagsabſchied von Speier, ſchloſſen 1531
den Schmalkaldiſchen Bund im Widerſpruch gegen die Reichs-
verfaſſung, verſammelten ſich 1538 zu Zerbſt und zu Braun-
ſchweig, um eine Geſandtſchaft an den König von Frankreich
zu ſenden und ein Bündniß mit ihm wider den Kaiſer abzu-
ſchließen, griffen 1546 zu den Waffen und verbündeten ſich
durch Moriz von Sachſen 1551 mit dem Könige Heinrich
von Frankreich, der erſte Landesverrat, wodurch dem deutſchen
Reiche die Bistümer Metz, Toul und Verdun entriſſen wur-
den. Mit gleichen landesverräteriſchen Praktiken gingen vor
die proteſtantiſchen Stände in Böhmen und Bayern, in Nieder-
und Ober-Öſterreich, in Steiermark, welche mit den aufſtän-
diſchen Ungarn unter Bethlen Gabor und ſelbſt mit den Tür-
ken in Verbindung traten gegen ihren Landesherrn. Niemals
iſt der angeblich jeſuitiſche Grundſatz: „Der Zweck heiligt die
Mittel‟ ſo unverfroren und ungeſcheut zur Anwendung ge-
kommen als in dem erſten Jahrhundert der Reformation von
ſeiten proteſtantiſcher Reichsſtände1). Niemals hat Deutſch-
land eine ſo große Zahl „vaterlandsloſer Geſellen‟ verzeichnen

1) Die Reichsſtadt Frankfurt wollte kaiſertreu| erſcheinen |und unter-
zeichnete weder die Speyerer Proteſtation und die Augsburger Konfeſ-
ſion, noch nahm ſie teil am Schmalkaldner Bund. Cf. Dr. E. Trom-
mershauſen, Beitrag zur Geſchichte des landesherrlichen Kirchenregi-
ments. Frankfurt 1897. S. 24 und 25.
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[21/0033] zu Naumburg die kirchliche Jurisdiktion der weltlichen Fürſten anerkannt, und auf dem Reichstag zu Augsburg 1555 den Landesherren die Freiheit des Gewiſſens allein als Monopol zugeſprochen wurde, mit dem Rechte, die Unter- thanen zur Annahme ihrer Religion zwingen zu dürfen, ſo daß z. B. die Pfalz par ordre du Mufti in kurzer Zeit jene fünfmal wechſeln mußte. Als Aufrührer proteſtierten ſie 1529 gegen den Reichstagsabſchied von Speier, ſchloſſen 1531 den Schmalkaldiſchen Bund im Widerſpruch gegen die Reichs- verfaſſung, verſammelten ſich 1538 zu Zerbſt und zu Braun- ſchweig, um eine Geſandtſchaft an den König von Frankreich zu ſenden und ein Bündniß mit ihm wider den Kaiſer abzu- ſchließen, griffen 1546 zu den Waffen und verbündeten ſich durch Moriz von Sachſen 1551 mit dem Könige Heinrich von Frankreich, der erſte Landesverrat, wodurch dem deutſchen Reiche die Bistümer Metz, Toul und Verdun entriſſen wur- den. Mit gleichen landesverräteriſchen Praktiken gingen vor die proteſtantiſchen Stände in Böhmen und Bayern, in Nieder- und Ober-Öſterreich, in Steiermark, welche mit den aufſtän- diſchen Ungarn unter Bethlen Gabor und ſelbſt mit den Tür- ken in Verbindung traten gegen ihren Landesherrn. Niemals iſt der angeblich jeſuitiſche Grundſatz: „Der Zweck heiligt die Mittel‟ ſo unverfroren und ungeſcheut zur Anwendung ge- kommen als in dem erſten Jahrhundert der Reformation von ſeiten proteſtantiſcher Reichsſtände 1). Niemals hat Deutſch- land eine ſo große Zahl „vaterlandsloſer Geſellen‟ verzeichnen 1) Die Reichsſtadt Frankfurt wollte kaiſertreu| erſcheinen |und unter- zeichnete weder die Speyerer Proteſtation und die Augsburger Konfeſ- ſion, noch nahm ſie teil am Schmalkaldner Bund. Cf. Dr. E. Trom- mershauſen, Beitrag zur Geſchichte des landesherrlichen Kirchenregi- ments. Frankfurt 1897. S. 24 und 25.

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Zitationshilfe: Diefenbach, Johann: Reformation oder Revolution. Mainz, 1897, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/diefenbach_reformation_1897/33>, abgerufen am 16.04.2024.