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Diefenbach, Johann: Reformation oder Revolution. Mainz, 1897.

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werden, so lange wir hier sind .... Es genügt, daß wir
das Lamm anerkennen, welches die Sünden der Welt trägt.
Von diesem wird uns keine Sünde losreißen, wenn wir auch
tausendmal und aber tausendmal an einem Tag Hurerei treiben
oder Mord begehen. Hältst Du denn so gering den Er-
lösungspreis, welcher bezahlt worden ist für unsere Sünden
in einem so vorzüglichen Lamme (in tanto et tali agno)1)?"

Wie klingt das so unglaublich befremdend in den Ohren
eines Christen! Der heil. Paulus erklärt den Christen: "Das
ist der Wille Gottes eure Heiligung, daß ihr euch enthaltet
der Unzucht2)." Und Luther achtet das nicht, da er doch an-
geblich ein Reformator sein will!

Diesen öffentlich bekannten Grundsätzen entsprechen auch
die Handlungen und Unternehmungen unseres Reformators.
Luther fand Gesinnungsgenossen, welche die Welt verbessern
wollten auf dem Wege des Umsturzes. Schon gleich bei
seinem ersten Auftreten schloßen sich ihm an der bekannte
Ullrich von Hutten und Franz von Sickingen.
Ersterer war von dem Geiste beseelt wie die spätern Jako-
biner und verkündete damals schon das Losungswort: "Es
lebe die Freiheit," gleich den fortgeschrittensten Anarchisten
und Revolutionären unseres Jahrhunderts. Sickingen stand
an der Spitze der rheinischen und fränkischen Ritterschaft,
deren Programm auf eine Umwandlung der bestehenden Reichs-
verfassung hinauslief. Sie wollten das Joch der fast bis
zur Souveränität emporgestiegenen Landesherrn, der Fürsten
und Reichsstände, abschütteln und waren geneigt, um diesen
Preis das geschwächte Ansehen der gesunkenen kaiserlichen
Macht zu erhöhen. Mit diesen Umstürzlern trat Luther in

1) Luther an Melanchthon 1521, bei de Wette, Bd. 2. p. 37.
2) I. Thess. III. 4.

werden, ſo lange wir hier ſind .... Es genügt, daß wir
das Lamm anerkennen, welches die Sünden der Welt trägt.
Von dieſem wird uns keine Sünde losreißen, wenn wir auch
tauſendmal und aber tauſendmal an einem Tag Hurerei treiben
oder Mord begehen. Hältſt Du denn ſo gering den Er-
löſungspreis, welcher bezahlt worden iſt für unſere Sünden
in einem ſo vorzüglichen Lamme (in tanto et tali agno)1)?‟

Wie klingt das ſo unglaublich befremdend in den Ohren
eines Chriſten! Der heil. Paulus erklärt den Chriſten: „Das
iſt der Wille Gottes eure Heiligung, daß ihr euch enthaltet
der Unzucht2).‟ Und Luther achtet das nicht, da er doch an-
geblich ein Reformator ſein will!

Dieſen öffentlich bekannten Grundſätzen entſprechen auch
die Handlungen und Unternehmungen unſeres Reformators.
Luther fand Geſinnungsgenoſſen, welche die Welt verbeſſern
wollten auf dem Wege des Umſturzes. Schon gleich bei
ſeinem erſten Auftreten ſchloßen ſich ihm an der bekannte
Ullrich von Hutten und Franz von Sickingen.
Erſterer war von dem Geiſte beſeelt wie die ſpätern Jako-
biner und verkündete damals ſchon das Loſungswort: „Es
lebe die Freiheit,‟ gleich den fortgeſchrittenſten Anarchiſten
und Revolutionären unſeres Jahrhunderts. Sickingen ſtand
an der Spitze der rheiniſchen und fränkiſchen Ritterſchaft,
deren Programm auf eine Umwandlung der beſtehenden Reichs-
verfaſſung hinauslief. Sie wollten das Joch der faſt bis
zur Souveränität emporgeſtiegenen Landesherrn, der Fürſten
und Reichsſtände, abſchütteln und waren geneigt, um dieſen
Preis das geſchwächte Anſehen der geſunkenen kaiſerlichen
Macht zu erhöhen. Mit dieſen Umſtürzlern trat Luther in

1) Luther an Melanchthon 1521, bei de Wette, Bd. 2. p. 37.
2) I. Theſſ. III. 4.
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[12/0024] werden, ſo lange wir hier ſind .... Es genügt, daß wir das Lamm anerkennen, welches die Sünden der Welt trägt. Von dieſem wird uns keine Sünde losreißen, wenn wir auch tauſendmal und aber tauſendmal an einem Tag Hurerei treiben oder Mord begehen. Hältſt Du denn ſo gering den Er- löſungspreis, welcher bezahlt worden iſt für unſere Sünden in einem ſo vorzüglichen Lamme (in tanto et tali agno) 1)?‟ Wie klingt das ſo unglaublich befremdend in den Ohren eines Chriſten! Der heil. Paulus erklärt den Chriſten: „Das iſt der Wille Gottes eure Heiligung, daß ihr euch enthaltet der Unzucht 2).‟ Und Luther achtet das nicht, da er doch an- geblich ein Reformator ſein will! Dieſen öffentlich bekannten Grundſätzen entſprechen auch die Handlungen und Unternehmungen unſeres Reformators. Luther fand Geſinnungsgenoſſen, welche die Welt verbeſſern wollten auf dem Wege des Umſturzes. Schon gleich bei ſeinem erſten Auftreten ſchloßen ſich ihm an der bekannte Ullrich von Hutten und Franz von Sickingen. Erſterer war von dem Geiſte beſeelt wie die ſpätern Jako- biner und verkündete damals ſchon das Loſungswort: „Es lebe die Freiheit,‟ gleich den fortgeſchrittenſten Anarchiſten und Revolutionären unſeres Jahrhunderts. Sickingen ſtand an der Spitze der rheiniſchen und fränkiſchen Ritterſchaft, deren Programm auf eine Umwandlung der beſtehenden Reichs- verfaſſung hinauslief. Sie wollten das Joch der faſt bis zur Souveränität emporgeſtiegenen Landesherrn, der Fürſten und Reichsſtände, abſchütteln und waren geneigt, um dieſen Preis das geſchwächte Anſehen der geſunkenen kaiſerlichen Macht zu erhöhen. Mit dieſen Umſtürzlern trat Luther in 1) Luther an Melanchthon 1521, bei de Wette, Bd. 2. p. 37. 2) I. Theſſ. III. 4.

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Zitationshilfe: Diefenbach, Johann: Reformation oder Revolution. Mainz, 1897, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/diefenbach_reformation_1897/24>, abgerufen am 24.04.2024.