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Diefenbach, Johann: Reformation oder Revolution. Mainz, 1897.

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den bald hören, mit welchem Erfolg dieser Ablaß vom Volke
gebraucht wurde. Zum Belege für das Gesagte berufen wir
uns auf folgende Stelle aus seiner Kirchenpostille1):

"Wir sollen so hoch gesetzt und gefeiert sein durch Christum
und seine Taufe, daß unser Gewissen von keinem Gesetz wisse,
daß uns nicht anders zu Mute sei als sei nie kein Gesetz auf
Erden gekommen, weder zehn noch ein Gebot, weder Gottes noch
Papstes oder Kaisers, sondern allezeit in Freiheit stehen, daß
wir sagen können: ich weiß von keinem Gesetz und will auch
von keinem wissen. Denn in dem Stand und Wesen, wo-
durch wir Christen werden, da hören unsere und aller Menschen
Werke auf, also auch aller Gesetze."

Dieses Thema wird vom Reformator in ausführlicher
Weise erörtert in seiner demagogischen Flugschrift "von der
Freiheit eines Christenmenschen". Darin heißt es z. B.:
"Wir sehen also, daß an dem Glauben ein Christenmensch
genug hat; er bedarf keines Werkes, daß er fromm sei; be-
darf er denn keines Werkes mehr, so ist er gewiß entbunden
von allen Geboten und Gesetzen. Jst er entbunden, so ist
er gewißlich frei. Das ist die christliche Freiheit2)."

Zu welchen Consequenzen diese Theorie führen mußte,
ergiebt sich aus einem Schreiben Luthers an Melanchthon 1521,
worin es heißt: "Sei Du ein Sünder und sündige tapfer,
aber glaube tapferer und freue Dich in Christo, welcher
Sieger ist über Sünde, Tod und Welt. Gesündigt muß

aß; Luther gab ihn gratis! "Denn" schreibt der schwedische Bischof von
Upsala, "Viele unter der evangelischen Freiheit gaben sich
Mühe, die günstige Gelegenheit, ungestraft sündigen zu
können, recht gut zu benutzen
." Döllinger, II. 680.
1) 2. Predigt am 3. Sonntag nach Trinit. p. 30.
2) Luthers Werke, Erlanger Ausg. Bd. 27 p. 181.

den bald hören, mit welchem Erfolg dieſer Ablaß vom Volke
gebraucht wurde. Zum Belege für das Geſagte berufen wir
uns auf folgende Stelle aus ſeiner Kirchenpoſtille1):

„Wir ſollen ſo hoch geſetzt und gefeiert ſein durch Chriſtum
und ſeine Taufe, daß unſer Gewiſſen von keinem Geſetz wiſſe,
daß uns nicht anders zu Mute ſei als ſei nie kein Geſetz auf
Erden gekommen, weder zehn noch ein Gebot, weder Gottes noch
Papſtes oder Kaiſers, ſondern allezeit in Freiheit ſtehen, daß
wir ſagen können: ich weiß von keinem Geſetz und will auch
von keinem wiſſen. Denn in dem Stand und Weſen, wo-
durch wir Chriſten werden, da hören unſere und aller Menſchen
Werke auf, alſo auch aller Geſetze.‟

Dieſes Thema wird vom Reformator in ausführlicher
Weiſe erörtert in ſeiner demagogiſchen Flugſchrift „von der
Freiheit eines Chriſtenmenſchen‟. Darin heißt es z. B.:
„Wir ſehen alſo, daß an dem Glauben ein Chriſtenmenſch
genug hat; er bedarf keines Werkes, daß er fromm ſei; be-
darf er denn keines Werkes mehr, ſo iſt er gewiß entbunden
von allen Geboten und Geſetzen. Jſt er entbunden, ſo iſt
er gewißlich frei. Das iſt die chriſtliche Freiheit2).‟

Zu welchen Conſequenzen dieſe Theorie führen mußte,
ergiebt ſich aus einem Schreiben Luthers an Melanchthon 1521,
worin es heißt: „Sei Du ein Sünder und ſündige tapfer,
aber glaube tapferer und freue Dich in Chriſto, welcher
Sieger iſt über Sünde, Tod und Welt. Geſündigt muß

aß; Luther gab ihn gratis! „Denn‟ ſchreibt der ſchwediſche Biſchof von
Upſala, „Viele unter der evangeliſchen Freiheit gaben ſich
Mühe, die günſtige Gelegenheit, ungeſtraft ſündigen zu
können, recht gut zu benutzen
.‟ Döllinger, II. 680.
1) 2. Predigt am 3. Sonntag nach Trinit. p. 30.
2) Luthers Werke, Erlanger Ausg. Bd. 27 p. 181.
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[11/0023] den bald hören, mit welchem Erfolg dieſer Ablaß vom Volke gebraucht wurde. Zum Belege für das Geſagte berufen wir uns auf folgende Stelle aus ſeiner Kirchenpoſtille 1): „Wir ſollen ſo hoch geſetzt und gefeiert ſein durch Chriſtum und ſeine Taufe, daß unſer Gewiſſen von keinem Geſetz wiſſe, daß uns nicht anders zu Mute ſei als ſei nie kein Geſetz auf Erden gekommen, weder zehn noch ein Gebot, weder Gottes noch Papſtes oder Kaiſers, ſondern allezeit in Freiheit ſtehen, daß wir ſagen können: ich weiß von keinem Geſetz und will auch von keinem wiſſen. Denn in dem Stand und Weſen, wo- durch wir Chriſten werden, da hören unſere und aller Menſchen Werke auf, alſo auch aller Geſetze.‟ Dieſes Thema wird vom Reformator in ausführlicher Weiſe erörtert in ſeiner demagogiſchen Flugſchrift „von der Freiheit eines Chriſtenmenſchen‟. Darin heißt es z. B.: „Wir ſehen alſo, daß an dem Glauben ein Chriſtenmenſch genug hat; er bedarf keines Werkes, daß er fromm ſei; be- darf er denn keines Werkes mehr, ſo iſt er gewiß entbunden von allen Geboten und Geſetzen. Jſt er entbunden, ſo iſt er gewißlich frei. Das iſt die chriſtliche Freiheit 2).‟ Zu welchen Conſequenzen dieſe Theorie führen mußte, ergiebt ſich aus einem Schreiben Luthers an Melanchthon 1521, worin es heißt: „Sei Du ein Sünder und ſündige tapfer, aber glaube tapferer und freue Dich in Chriſto, welcher Sieger iſt über Sünde, Tod und Welt. Geſündigt muß 2) 1) 2. Predigt am 3. Sonntag nach Trinit. p. 30. 2) Luthers Werke, Erlanger Ausg. Bd. 27 p. 181. 2) aß; Luther gab ihn gratis! „Denn‟ ſchreibt der ſchwediſche Biſchof von Upſala, „Viele unter der evangeliſchen Freiheit gaben ſich Mühe, die günſtige Gelegenheit, ungeſtraft ſündigen zu können, recht gut zu benutzen.‟ Döllinger, II. 680.

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Zitationshilfe: Diefenbach, Johann: Reformation oder Revolution. Mainz, 1897, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/diefenbach_reformation_1897/23>, abgerufen am 18.04.2024.