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Diefenbach, Johann: Reformation oder Revolution. Mainz, 1897.

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als Deinem aus Gottes Vorsehung gesetzten Oberhaupte zu
thun schuldig bist1).".

Aus diesem Schreiben ersieht man, mit welch scharfem
Blicke Karl der kirchlichen Bewegung in Deutschland folgte
und daß er deren Tragweite wohl erkannte. Er hätte heutzutage
kaum den Mahomet über Luther gestellt, wenn er die Ent-
wickelung der Reformation bis in unser Jahrhundert gekannt
hätte. Es ergibt sich aber auch daraus, daß die Reichs-
fürsten selbst dem Volke den Geist der Auflehnung durch ihr
Beispiel einflößten.

Nach diesen offiziellen Zeugnissen wenden wir uns
zu dem von Privatpersonen. Erasmus, der gefeiertste Gelehrte
seines Jahrhunderts, war anfangs, wie viele andere, der Re-
form Luthers geneigt, solange die revolutionären Tendenzen
noch nicht hervortraten. Als aber Luther seit dem Reichstage
zu Worms mit Ullrich von Hutten und Franz von Sickingen
in Verbindung getreten war, deren Anschläge gegen die be-
stehende politische und staatliche Ordnung nicht unbekannt waren,
trat Erasmus gegen diese Bestrebungen in die Schranken.
So schrieb er z. B. 1521 an Melanchthon: "Jch bin Luthern
gut, soweit es erlaubt ist; wer aber immer Luthern gut ist,
der möchte, daß er manches gemäßigter und vorsichtiger ge-
schrieben hätte. Aber jetzt ist es zu spät dazu, denn ich sehe,
es kommt zum Aufstande2)."

Zu Köln gab er dem Kurfürsten Friedrich von Sachsen
die Erklärung: "Luther hat zwei Verbrechen begangen: er
hat dem Papste nach der Krone gegriffen und den Mönchen
nach den Bäuchen." An Luther selbst schrieb Erasmus 1524:
"Bisher habe ich der Sache des Evangeliums bessere Dienste

1) H. Förstemann 205--6.
2) Vgl. Döllinger, Reformation. I. p. 5.

als Deinem aus Gottes Vorſehung geſetzten Oberhaupte zu
thun ſchuldig biſt1).‟.

Aus dieſem Schreiben erſieht man, mit welch ſcharfem
Blicke Karl der kirchlichen Bewegung in Deutſchland folgte
und daß er deren Tragweite wohl erkannte. Er hätte heutzutage
kaum den Mahomet über Luther geſtellt, wenn er die Ent-
wickelung der Reformation bis in unſer Jahrhundert gekannt
hätte. Es ergibt ſich aber auch daraus, daß die Reichs-
fürſten ſelbſt dem Volke den Geiſt der Auflehnung durch ihr
Beiſpiel einflößten.

Nach dieſen offiziellen Zeugniſſen wenden wir uns
zu dem von Privatperſonen. Erasmus, der gefeiertſte Gelehrte
ſeines Jahrhunderts, war anfangs, wie viele andere, der Re-
form Luthers geneigt, ſolange die revolutionären Tendenzen
noch nicht hervortraten. Als aber Luther ſeit dem Reichstage
zu Worms mit Ullrich von Hutten und Franz von Sickingen
in Verbindung getreten war, deren Anſchläge gegen die be-
ſtehende politiſche und ſtaatliche Ordnung nicht unbekannt waren,
trat Erasmus gegen dieſe Beſtrebungen in die Schranken.
So ſchrieb er z. B. 1521 an Melanchthon: „Jch bin Luthern
gut, ſoweit es erlaubt iſt; wer aber immer Luthern gut iſt,
der möchte, daß er manches gemäßigter und vorſichtiger ge-
ſchrieben hätte. Aber jetzt iſt es zu ſpät dazu, denn ich ſehe,
es kommt zum Aufſtande2).‟

Zu Köln gab er dem Kurfürſten Friedrich von Sachſen
die Erklärung: „Luther hat zwei Verbrechen begangen: er
hat dem Papſte nach der Krone gegriffen und den Mönchen
nach den Bäuchen.‟ An Luther ſelbſt ſchrieb Erasmus 1524:
„Bisher habe ich der Sache des Evangeliums beſſere Dienſte

1) H. Förſtemann 205—6.
2) Vgl. Döllinger, Reformation. I. p. 5.
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[7/0019] als Deinem aus Gottes Vorſehung geſetzten Oberhaupte zu thun ſchuldig biſt 1).‟. Aus dieſem Schreiben erſieht man, mit welch ſcharfem Blicke Karl der kirchlichen Bewegung in Deutſchland folgte und daß er deren Tragweite wohl erkannte. Er hätte heutzutage kaum den Mahomet über Luther geſtellt, wenn er die Ent- wickelung der Reformation bis in unſer Jahrhundert gekannt hätte. Es ergibt ſich aber auch daraus, daß die Reichs- fürſten ſelbſt dem Volke den Geiſt der Auflehnung durch ihr Beiſpiel einflößten. Nach dieſen offiziellen Zeugniſſen wenden wir uns zu dem von Privatperſonen. Erasmus, der gefeiertſte Gelehrte ſeines Jahrhunderts, war anfangs, wie viele andere, der Re- form Luthers geneigt, ſolange die revolutionären Tendenzen noch nicht hervortraten. Als aber Luther ſeit dem Reichstage zu Worms mit Ullrich von Hutten und Franz von Sickingen in Verbindung getreten war, deren Anſchläge gegen die be- ſtehende politiſche und ſtaatliche Ordnung nicht unbekannt waren, trat Erasmus gegen dieſe Beſtrebungen in die Schranken. So ſchrieb er z. B. 1521 an Melanchthon: „Jch bin Luthern gut, ſoweit es erlaubt iſt; wer aber immer Luthern gut iſt, der möchte, daß er manches gemäßigter und vorſichtiger ge- ſchrieben hätte. Aber jetzt iſt es zu ſpät dazu, denn ich ſehe, es kommt zum Aufſtande 2).‟ Zu Köln gab er dem Kurfürſten Friedrich von Sachſen die Erklärung: „Luther hat zwei Verbrechen begangen: er hat dem Papſte nach der Krone gegriffen und den Mönchen nach den Bäuchen.‟ An Luther ſelbſt ſchrieb Erasmus 1524: „Bisher habe ich der Sache des Evangeliums beſſere Dienſte 1) H. Förſtemann 205—6. 2) Vgl. Döllinger, Reformation. I. p. 5.

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Zitationshilfe: Diefenbach, Johann: Reformation oder Revolution. Mainz, 1897, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/diefenbach_reformation_1897/19>, abgerufen am 25.04.2024.