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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.

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Die Kunst des Mittelalters
nehm. Und vornehm noch einmal im 18. Jahrhundert, aber
nicht mehr volkstümlich.

Ein bedeutsamer Zug in der künstlerischen Kultur des Jahr-
hunderts der Staufen ist endlich das Eindringen künstlerischer
Absichten in den Wohnbau. Voran gingen die Klöster mit ihren
Refektorien, Kapitelsälen und Kreuzgängen. Doch konnte es
sich hier nach der Natur der Sache nur um Innenarchitekturen
handeln. Heitere und glänzende Repräsentation nach außen
kennzeichnet den vornehmen Profanbau. In der Burg waren der
Entfaltung dieser Tendenz bestimmte Grenzen gesetzt, doch wird
man nicht übersehen dürfen, daß auch die unmittelbar dem Wehr-
zweck dienenden Teile in der schönen und mächtigen Behandlung
der Quadertechnik und der ausdrucksvollen Führung der Sil-
houetten mit Bewußtsein auf den ästhetischen Eindruck ab-
gestimmt wurden. In den Städten greift der Steinbau um sich.
Das Patrizierhaus ist nicht mehr unter allen Umständen Stadt-
burg, ein neuer Typus mit offenen Fensterreihen und hohen
Giebeln, der Anfang zum Bürgerhaus des späten Mittelalters,
bahnt sich den Weg. Ja es nehmen sogar in Stadtbefestigungen
hier und da die Tore einen Charakter mehr des festlichen Emp-
fanges als der Abwehr an.



Das mittelalterliche Kultursystem war in die Phase sommer-
licher Reife getreten, als ein neuer Stil, der gotische, geboren
wurde. Neu ist er freilich nur bedingungsweise zu nennen. Er
tritt nicht in Opposition zu den Zielen der bisherigen Entwicklung,
es ist vielmehr das Hauptproblem derselben, die Gewölbebasilika,
das er mit vollkommeneren Mitteln zu lösen unternimmt. Der
Vielheit nationaler und landschaftlicher Varianten, in die der
romanische Stil immer mehr sich auseinandergelegt hatte, macht
er ein Ende; er siegt als künstlerischer Ausdruck des eben damals
kräftig vordringenden Einheitsstrebens im Geistesleben der abend-
ländischen Völker. Obgleich in seinem Ursprung landschaftlich
scharf begrenzt, ist er nach seiner Tendenz kosmopolitisch.

Die Kunst des Mittelalters
nehm. Und vornehm noch einmal im 18. Jahrhundert, aber
nicht mehr volkstümlich.

Ein bedeutsamer Zug in der künstlerischen Kultur des Jahr-
hunderts der Staufen ist endlich das Eindringen künstlerischer
Absichten in den Wohnbau. Voran gingen die Klöster mit ihren
Refektorien, Kapitelsälen und Kreuzgängen. Doch konnte es
sich hier nach der Natur der Sache nur um Innenarchitekturen
handeln. Heitere und glänzende Repräsentation nach außen
kennzeichnet den vornehmen Profanbau. In der Burg waren der
Entfaltung dieser Tendenz bestimmte Grenzen gesetzt, doch wird
man nicht übersehen dürfen, daß auch die unmittelbar dem Wehr-
zweck dienenden Teile in der schönen und mächtigen Behandlung
der Quadertechnik und der ausdrucksvollen Führung der Sil-
houetten mit Bewußtsein auf den ästhetischen Eindruck ab-
gestimmt wurden. In den Städten greift der Steinbau um sich.
Das Patrizierhaus ist nicht mehr unter allen Umständen Stadt-
burg, ein neuer Typus mit offenen Fensterreihen und hohen
Giebeln, der Anfang zum Bürgerhaus des späten Mittelalters,
bahnt sich den Weg. Ja es nehmen sogar in Stadtbefestigungen
hier und da die Tore einen Charakter mehr des festlichen Emp-
fanges als der Abwehr an.



Das mittelalterliche Kultursystem war in die Phase sommer-
licher Reife getreten, als ein neuer Stil, der gotische, geboren
wurde. Neu ist er freilich nur bedingungsweise zu nennen. Er
tritt nicht in Opposition zu den Zielen der bisherigen Entwicklung,
es ist vielmehr das Hauptproblem derselben, die Gewölbebasilika,
das er mit vollkommeneren Mitteln zu lösen unternimmt. Der
Vielheit nationaler und landschaftlicher Varianten, in die der
romanische Stil immer mehr sich auseinandergelegt hatte, macht
er ein Ende; er siegt als künstlerischer Ausdruck des eben damals
kräftig vordringenden Einheitsstrebens im Geistesleben der abend-
ländischen Völker. Obgleich in seinem Ursprung landschaftlich
scharf begrenzt, ist er nach seiner Tendenz kosmopolitisch.

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[22/0036] Die Kunst des Mittelalters nehm. Und vornehm noch einmal im 18. Jahrhundert, aber nicht mehr volkstümlich. Ein bedeutsamer Zug in der künstlerischen Kultur des Jahr- hunderts der Staufen ist endlich das Eindringen künstlerischer Absichten in den Wohnbau. Voran gingen die Klöster mit ihren Refektorien, Kapitelsälen und Kreuzgängen. Doch konnte es sich hier nach der Natur der Sache nur um Innenarchitekturen handeln. Heitere und glänzende Repräsentation nach außen kennzeichnet den vornehmen Profanbau. In der Burg waren der Entfaltung dieser Tendenz bestimmte Grenzen gesetzt, doch wird man nicht übersehen dürfen, daß auch die unmittelbar dem Wehr- zweck dienenden Teile in der schönen und mächtigen Behandlung der Quadertechnik und der ausdrucksvollen Führung der Sil- houetten mit Bewußtsein auf den ästhetischen Eindruck ab- gestimmt wurden. In den Städten greift der Steinbau um sich. Das Patrizierhaus ist nicht mehr unter allen Umständen Stadt- burg, ein neuer Typus mit offenen Fensterreihen und hohen Giebeln, der Anfang zum Bürgerhaus des späten Mittelalters, bahnt sich den Weg. Ja es nehmen sogar in Stadtbefestigungen hier und da die Tore einen Charakter mehr des festlichen Emp- fanges als der Abwehr an. Das mittelalterliche Kultursystem war in die Phase sommer- licher Reife getreten, als ein neuer Stil, der gotische, geboren wurde. Neu ist er freilich nur bedingungsweise zu nennen. Er tritt nicht in Opposition zu den Zielen der bisherigen Entwicklung, es ist vielmehr das Hauptproblem derselben, die Gewölbebasilika, das er mit vollkommeneren Mitteln zu lösen unternimmt. Der Vielheit nationaler und landschaftlicher Varianten, in die der romanische Stil immer mehr sich auseinandergelegt hatte, macht er ein Ende; er siegt als künstlerischer Ausdruck des eben damals kräftig vordringenden Einheitsstrebens im Geistesleben der abend- ländischen Völker. Obgleich in seinem Ursprung landschaftlich scharf begrenzt, ist er nach seiner Tendenz kosmopolitisch.

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Zitationshilfe: Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/36>, abgerufen am 29.03.2024.