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Dannhauer, Johann Conrad: Catechismus-Milch. Bd. 6. Straßburg, 1657.

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Predigt.
Sohns/ und Sendung des Heiligen Geistes; hat also der Mensch des
Heiligen Geistes höchst von nöthen.

Also verstehen wir nun in thesei, wie wahr/ was wir in der
Außlegung über den dritten Articul bekennen: Jch glaub/ daß
ich nicht aus eigner Vernunfft noch Krafft an Jesum Chri-
stum meinen HErren glauben oder zu ihm kommen kan etc.

wie wahr/ was in der Augspurgischen Confession im andern Articul
stehet: Es wird bey uns gelehret/ daß nach Adams Fall alle
Menschen/ so natürlich geboren werden/ in Sünden empfan-
gen und geboren werden/ das ist/ daß sie alle von Mutterleibe
an voller böser Lüste und Neigungen seynd/ und keine wahre
Gottesfurcht/ keinen wahren Glauben an Gott/ von Natur
haben können/ daß auch dieselbige Seuche und Erb-Sünde
warhafftiglich Sünde sey/ und verdamme alle die unter ewi-
gen Gottes-Zorn/ so nicht durch die Tauffe und Heiligen
Geist wiederumb neu geboren werden.

So wahr es aber ist/ so wenig wills der Mensch verstehen/ der
Mensch ist von Natur ein Heuchler und Phariseer/ in seinem eigenen
Elend blind. Es ist leider der Mensch gleich jenem wahnsinnigen beym
Athenaeo, der sich an den See-Port gestellet/ und gesagt: Alle Schiffe
sind mein; reich im Sinn/ er habe satt von Natur/ dencket nicht einmal
über sich? Oder wie jene Harpaste, des Senecae Magt/ welche alsobald inSeneca ep.
50.

einen Augenblick nicht mehr gesehen/ und gemeynt nicht sie/ sondern das Hauß
sey finster. Was wir an derselben belachen/ das klebet uns allen an; niemand
meynet/ daß er der Geitzhalß sey/ davon man predigt/ niemand meynet/ daß
er in der Predigt getroffen werde/ daß es ihn angehe/ sihet seinen Nächsten
drumm an/ und gehet ihn doch am meisten an; Es gehet dem Menschen/ wie
des Ulyssis Gesellen; der Mensch stecket im Schlam biß über die Ohren/
und ist ihm noch wol dabey/ er wüntschet nicht einmal die Gabe des Heili-
gen Geistes; Vnd das geschicht auch wol bey den Wiedergebornen/ daß sie
ihr Elend nicht allerdings erkennen und verstehen; Sprichstu: Jch bin wie-
dergeboren/ heilig gemacht/ gerecht etc. so hab ich über solche Dürfftigkeit nicht
zu klagen. Aber/ O der grossen Vnvollkommenheit/ darüber St. Paulus
klagt Rom. 7. Die Funcken/ bleiben stets in der Aschen liegen/ die reitzen-
de Lust stecket noch in dir/ die neue Kräffte seynd zwar da/ aber gar
schwach/ lam; und wann wir die Warheit bekennen müssen/ so ist die

Fröm-
Sechster Theil. D

Predigt.
Sohns/ und Sendung des Heiligen Geiſtes; hat alſo der Menſch des
Heiligen Geiſtes hoͤchſt von noͤthen.

Alſo verſtehen wir nun in θέσει, wie wahr/ was wir in der
Außlegung uͤber den dritten Articul bekennen: Jch glaub/ daß
ich nicht aus eigner Vernunfft noch Krafft an Jeſum Chri-
ſtum meinen HErren glauben oder zu ihm kommen kan ꝛc.

wie wahr/ was in der Augſpurgiſchen Confeſſion im andern Articul
ſtehet: Es wird bey uns gelehret/ daß nach Adams Fall alle
Menſchen/ ſo natuͤrlich geboren werden/ in Suͤnden empfan-
gen und geboren werden/ das iſt/ daß ſie alle von Mutterleibe
an voller boͤſer Lüſte und Neigungen ſeynd/ und keine wahre
Gottesfurcht/ keinen wahren Glauben an Gott/ von Natur
haben koͤnnen/ daß auch dieſelbige Seuche und Erb-Suͤnde
warhafftiglich Suͤnde ſey/ und verdamme alle die unter ewi-
gen Gottes-Zorn/ ſo nicht durch die Tauffe und Heiligen
Geiſt wiederumb neu geboren werden.

So wahr es aber iſt/ ſo wenig wills der Menſch verſtehen/ der
Menſch iſt von Natur ein Heuchler und Phariſeer/ in ſeinem eigenen
Elend blind. Es iſt leider der Menſch gleich jenem wahnſinnigen beym
Athenæo, der ſich an den See-Port geſtellet/ und geſagt: Alle Schiffe
ſind mein; reich im Sinn/ er habe ſatt von Natur/ dencket nicht einmal
uͤber ſich? Oder wie jene Harpaſte, des Senecæ Magt/ welche alſobald inSeneca ep.
50.

einẽ Augenblick nicht mehr geſehẽ/ und gemeynt nicht ſie/ ſondern das Hauß
ſey finſter. Was wir an derſelbẽ belachen/ das klebet uns allen an; niemand
meynet/ daß er der Geitzhalß ſey/ davon man predigt/ niemand meynet/ daß
er in der Predigt getroffen werde/ daß es ihn angehe/ ſihet ſeinen Naͤchſten
drum̃ an/ und gehet ihn doch am meiſten an; Es gehet dem Menſchen/ wie
des Ulyſſis Geſellen; der Menſch ſtecket im Schlam biß uͤber die Ohren/
und iſt ihm noch wol dabey/ er wuͤntſchet nicht einmal die Gabe des Heili-
gen Geiſtes; Vnd das geſchicht auch wol bey den Wiedergebornen/ daß ſie
ihr Elend nicht allerdings erkeñen und verſtehen; Sprichſtu: Jch bin wie-
dergeborẽ/ heilig gemacht/ gerecht ꝛc. ſo hab ich uͤber ſolche Duͤrfftigkeit nicht
zu klagen. Aber/ O der groſſen Vnvollkommenheit/ daruͤber St. Paulus
klagt Rom. 7. Die Funcken/ bleiben ſtets in der Aſchen liegen/ die reitzen-
de Luſt ſtecket noch in dir/ die neue Kraͤffte ſeynd zwar da/ aber gar
ſchwach/ lam; und wann wir die Warheit bekennen muͤſſen/ ſo iſt die

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Sechſter Theil. D
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[25/0057] Predigt. Sohns/ und Sendung des Heiligen Geiſtes; hat alſo der Menſch des Heiligen Geiſtes hoͤchſt von noͤthen. Alſo verſtehen wir nun in θέσει, wie wahr/ was wir in der Außlegung uͤber den dritten Articul bekennen: Jch glaub/ daß ich nicht aus eigner Vernunfft noch Krafft an Jeſum Chri- ſtum meinen HErren glauben oder zu ihm kommen kan ꝛc. wie wahr/ was in der Augſpurgiſchen Confeſſion im andern Articul ſtehet: Es wird bey uns gelehret/ daß nach Adams Fall alle Menſchen/ ſo natuͤrlich geboren werden/ in Suͤnden empfan- gen und geboren werden/ das iſt/ daß ſie alle von Mutterleibe an voller boͤſer Lüſte und Neigungen ſeynd/ und keine wahre Gottesfurcht/ keinen wahren Glauben an Gott/ von Natur haben koͤnnen/ daß auch dieſelbige Seuche und Erb-Suͤnde warhafftiglich Suͤnde ſey/ und verdamme alle die unter ewi- gen Gottes-Zorn/ ſo nicht durch die Tauffe und Heiligen Geiſt wiederumb neu geboren werden. So wahr es aber iſt/ ſo wenig wills der Menſch verſtehen/ der Menſch iſt von Natur ein Heuchler und Phariſeer/ in ſeinem eigenen Elend blind. Es iſt leider der Menſch gleich jenem wahnſinnigen beym Athenæo, der ſich an den See-Port geſtellet/ und geſagt: Alle Schiffe ſind mein; reich im Sinn/ er habe ſatt von Natur/ dencket nicht einmal uͤber ſich? Oder wie jene Harpaſte, des Senecæ Magt/ welche alſobald in einẽ Augenblick nicht mehr geſehẽ/ und gemeynt nicht ſie/ ſondern das Hauß ſey finſter. Was wir an derſelbẽ belachen/ das klebet uns allen an; niemand meynet/ daß er der Geitzhalß ſey/ davon man predigt/ niemand meynet/ daß er in der Predigt getroffen werde/ daß es ihn angehe/ ſihet ſeinen Naͤchſten drum̃ an/ und gehet ihn doch am meiſten an; Es gehet dem Menſchen/ wie des Ulyſſis Geſellen; der Menſch ſtecket im Schlam biß uͤber die Ohren/ und iſt ihm noch wol dabey/ er wuͤntſchet nicht einmal die Gabe des Heili- gen Geiſtes; Vnd das geſchicht auch wol bey den Wiedergebornen/ daß ſie ihr Elend nicht allerdings erkeñen und verſtehen; Sprichſtu: Jch bin wie- dergeborẽ/ heilig gemacht/ gerecht ꝛc. ſo hab ich uͤber ſolche Duͤrfftigkeit nicht zu klagen. Aber/ O der groſſen Vnvollkommenheit/ daruͤber St. Paulus klagt Rom. 7. Die Funcken/ bleiben ſtets in der Aſchen liegen/ die reitzen- de Luſt ſtecket noch in dir/ die neue Kraͤffte ſeynd zwar da/ aber gar ſchwach/ lam; und wann wir die Warheit bekennen muͤſſen/ ſo iſt die Froͤm- Seneca ep. 50. Sechſter Theil. D

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Zitationshilfe: Dannhauer, Johann Conrad: Catechismus-Milch. Bd. 6. Straßburg, 1657, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dannhauer_catechismus06_1657/57>, abgerufen am 29.03.2024.