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Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.

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Erstes Capitel.
Verfassung versprechen, vielmehr eine um so schlechtere,
je mehr jede ganz ungemischt sie selber seyn will. Dane-
ben zeigt indeß jede dieser Verfassungen ihre eigenthüm-
lichen Vorzüge. Die erste sucht das Wohl des Ganzen in
der Theilnahme Aller an der Regierung; die zweite setzt
die Einheit des Willens Allem voran, ohne die kein Staat
stark und sicher seyn kann, und keine Verfassungsform hat
als Zwischenzustand öfter den Staat gefördert, als die ge-
steigerte monarchische Gewalt, vorausgesetzt, daß sie, wie
im größesten Theile von Europa, über Unterthanen, nicht
über Knechte geführt wird; die dritte tritt in die Mitte
zwischen beiden, indem sie eine herrschende Körperschaft
im Volk aufstellt, welche mehr Einheit verspricht, als die
Herrschaft des ganzen Volks, und minder Willkühr, als
die unumschränkte Hand eines dazu zweifelhaft für die
Herrschaft ausgestatteten Einzelnen.

24. Es scheint daher eine Verbindung einer und der
andern Form, auch etwa von allen dreien, zur guten
Verfassung führen zu können. Diese ist nun auf mancherlei
Weise möglich; nur steht gleich von Anfang her fest, daß,
sobald die monarchische Gewalt mitaufgenommen ist, diese
auch in der ersten Linie der Macht zu stehen kommt, denn
sie kann nach keiner Seite hin sich dienend verhalten.

25. Dunkel aber bleibt bei dem Allen die Art des
Zusammenwirkens mehrerer Gewalten, wofür Maas und
Zahl auch wohl nicht anders, als aus den lebendigen Be-
schaffenheitsverhältnissen zu gewinnen seyn wird. Denn
was von den einzelnen Menschen gilt, daß keiner dem an-
dern gleicht, und wieder jeder sich selber ungleich ist, das
tritt noch gebieterischer in dem kräftigen Bau der selbst-

Erſtes Capitel.
Verfaſſung verſprechen, vielmehr eine um ſo ſchlechtere,
je mehr jede ganz ungemiſcht ſie ſelber ſeyn will. Dane-
ben zeigt indeß jede dieſer Verfaſſungen ihre eigenthuͤm-
lichen Vorzuͤge. Die erſte ſucht das Wohl des Ganzen in
der Theilnahme Aller an der Regierung; die zweite ſetzt
die Einheit des Willens Allem voran, ohne die kein Staat
ſtark und ſicher ſeyn kann, und keine Verfaſſungsform hat
als Zwiſchenzuſtand oͤfter den Staat gefoͤrdert, als die ge-
ſteigerte monarchiſche Gewalt, vorausgeſetzt, daß ſie, wie
im groͤßeſten Theile von Europa, uͤber Unterthanen, nicht
uͤber Knechte gefuͤhrt wird; die dritte tritt in die Mitte
zwiſchen beiden, indem ſie eine herrſchende Koͤrperſchaft
im Volk aufſtellt, welche mehr Einheit verſpricht, als die
Herrſchaft des ganzen Volks, und minder Willkuͤhr, als
die unumſchraͤnkte Hand eines dazu zweifelhaft fuͤr die
Herrſchaft ausgeſtatteten Einzelnen.

24. Es ſcheint daher eine Verbindung einer und der
andern Form, auch etwa von allen dreien, zur guten
Verfaſſung fuͤhren zu koͤnnen. Dieſe iſt nun auf mancherlei
Weiſe moͤglich; nur ſteht gleich von Anfang her feſt, daß,
ſobald die monarchiſche Gewalt mitaufgenommen iſt, dieſe
auch in der erſten Linie der Macht zu ſtehen kommt, denn
ſie kann nach keiner Seite hin ſich dienend verhalten.

25. Dunkel aber bleibt bei dem Allen die Art des
Zuſammenwirkens mehrerer Gewalten, wofuͤr Maas und
Zahl auch wohl nicht anders, als aus den lebendigen Be-
ſchaffenheitsverhaͤltniſſen zu gewinnen ſeyn wird. Denn
was von den einzelnen Menſchen gilt, daß keiner dem an-
dern gleicht, und wieder jeder ſich ſelber ungleich iſt, das
tritt noch gebieteriſcher in dem kraͤftigen Bau der ſelbſt-

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[18/0030] Erſtes Capitel. Verfaſſung verſprechen, vielmehr eine um ſo ſchlechtere, je mehr jede ganz ungemiſcht ſie ſelber ſeyn will. Dane- ben zeigt indeß jede dieſer Verfaſſungen ihre eigenthuͤm- lichen Vorzuͤge. Die erſte ſucht das Wohl des Ganzen in der Theilnahme Aller an der Regierung; die zweite ſetzt die Einheit des Willens Allem voran, ohne die kein Staat ſtark und ſicher ſeyn kann, und keine Verfaſſungsform hat als Zwiſchenzuſtand oͤfter den Staat gefoͤrdert, als die ge- ſteigerte monarchiſche Gewalt, vorausgeſetzt, daß ſie, wie im groͤßeſten Theile von Europa, uͤber Unterthanen, nicht uͤber Knechte gefuͤhrt wird; die dritte tritt in die Mitte zwiſchen beiden, indem ſie eine herrſchende Koͤrperſchaft im Volk aufſtellt, welche mehr Einheit verſpricht, als die Herrſchaft des ganzen Volks, und minder Willkuͤhr, als die unumſchraͤnkte Hand eines dazu zweifelhaft fuͤr die Herrſchaft ausgeſtatteten Einzelnen. 24. Es ſcheint daher eine Verbindung einer und der andern Form, auch etwa von allen dreien, zur guten Verfaſſung fuͤhren zu koͤnnen. Dieſe iſt nun auf mancherlei Weiſe moͤglich; nur ſteht gleich von Anfang her feſt, daß, ſobald die monarchiſche Gewalt mitaufgenommen iſt, dieſe auch in der erſten Linie der Macht zu ſtehen kommt, denn ſie kann nach keiner Seite hin ſich dienend verhalten. 25. Dunkel aber bleibt bei dem Allen die Art des Zuſammenwirkens mehrerer Gewalten, wofuͤr Maas und Zahl auch wohl nicht anders, als aus den lebendigen Be- ſchaffenheitsverhaͤltniſſen zu gewinnen ſeyn wird. Denn was von den einzelnen Menſchen gilt, daß keiner dem an- dern gleicht, und wieder jeder ſich ſelber ungleich iſt, das tritt noch gebieteriſcher in dem kraͤftigen Bau der ſelbſt-

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Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/30>, abgerufen am 29.03.2024.