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Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.

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Demokratie. Monarchie. Aristokratie.
zu hoch sich stellend, menschliche Zwecke in eine göttliche
Vorschrift hüllend, mischt sie nothwendig Täuschung ein,
und bewacht eben darum eifersüchtig die Gränze der von
ihr verliehenen Bildung; denn jenseits dieser Gränze ist
ihr Untergang. Die aristokratischen Gewalten von ge-
mischter Beschaffenheit, Kriegsadel mit Priesterthümern be-
kleidet, oder auch Geschlechtsadel mit einer Priesterschaft
zur Seite, oder auch Grund- und Amts- und Geld-Adel,
bilden, sobald sie sich zu einer alleinherrschenden Körper-
schaft abschließen, die planmäßigste der Regierungen, aber
auch in der Meinung der Menschen die selbstsüchtigste.
Denn wenn Alle Einem dienen, so scheint das um des
Gemeinwesens Willen zu geschehen, wenn aber eine Kör-
perschaft herrscht, um der Körperschaft Willen. Für die
Dauer ihrer Herrschaft mit Recht besorgt, wird sich diese
Aristokratie immer oligarchischer verdichten, aus immer
engerem Kreise spähend; denn kaum ist die ausgeschlossene
Menge so sehr zu fürchten, sie die bald der Milde, bald
dem Zwange dient, als monarchische Talente im Kreise
der Mitherrscher es sind. Denn stets der Monarchie sich
nähernd, will die Aristokratie sie nie erreichen. Der Eid:
"und ich will gegen das Volk übelwollend seyn und ihm
so viel Böses sinnen als ich kann" (Aristot. Pol. V, 9.),
ward zwar nur in einigen Oligarchieen des Alterthums
geschworen; aber Heimlichkeit, Mistrauen und ein uner-
bittliches Hüten der einmahl fertig gewordenen Form bilden
überall den Grund-Charakter der abgeschlossenen Aristokratie.

Sparta; Venedig; Polens unvorsichtige Aristokratie; Bern, ein
seltenes Muster gerechterer Mäßigung, doch die Regel bestätigend.

Henzi's Verschwörung, 1749.

23. Dergestalt ergiebt sich, daß Demokratie, Monarchie
und Aristokratie, jede für sich allein genommen, keine gute

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Demokratie. Monarchie. Ariſtokratie.
zu hoch ſich ſtellend, menſchliche Zwecke in eine goͤttliche
Vorſchrift huͤllend, miſcht ſie nothwendig Taͤuſchung ein,
und bewacht eben darum eiferſuͤchtig die Graͤnze der von
ihr verliehenen Bildung; denn jenſeits dieſer Graͤnze iſt
ihr Untergang. Die ariſtokratiſchen Gewalten von ge-
miſchter Beſchaffenheit, Kriegsadel mit Prieſterthuͤmern be-
kleidet, oder auch Geſchlechtsadel mit einer Prieſterſchaft
zur Seite, oder auch Grund- und Amts- und Geld-Adel,
bilden, ſobald ſie ſich zu einer alleinherrſchenden Koͤrper-
ſchaft abſchließen, die planmaͤßigſte der Regierungen, aber
auch in der Meinung der Menſchen die ſelbſtſuͤchtigſte.
Denn wenn Alle Einem dienen, ſo ſcheint das um des
Gemeinweſens Willen zu geſchehen, wenn aber eine Koͤr-
perſchaft herrſcht, um der Koͤrperſchaft Willen. Fuͤr die
Dauer ihrer Herrſchaft mit Recht beſorgt, wird ſich dieſe
Ariſtokratie immer oligarchiſcher verdichten, aus immer
engerem Kreiſe ſpaͤhend; denn kaum iſt die ausgeſchloſſene
Menge ſo ſehr zu fuͤrchten, ſie die bald der Milde, bald
dem Zwange dient, als monarchiſche Talente im Kreiſe
der Mitherrſcher es ſind. Denn ſtets der Monarchie ſich
naͤhernd, will die Ariſtokratie ſie nie erreichen. Der Eid:
„und ich will gegen das Volk uͤbelwollend ſeyn und ihm
ſo viel Boͤſes ſinnen als ich kann“ (Ariſtot. Pol. V, 9.),
ward zwar nur in einigen Oligarchieen des Alterthums
geſchworen; aber Heimlichkeit, Mistrauen und ein uner-
bittliches Huͤten der einmahl fertig gewordenen Form bilden
uͤberall den Grund-Charakter der abgeſchloſſenen Ariſtokratie.

Sparta; Venedig; Polens unvorſichtige Ariſtokratie; Bern, ein
ſeltenes Muſter gerechterer Maͤßigung, doch die Regel beſtaͤtigend.

Henzi’s Verſchwoͤrung, 1749.

23. Dergeſtalt ergiebt ſich, daß Demokratie, Monarchie
und Ariſtokratie, jede fuͤr ſich allein genommen, keine gute

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[17/0029] Demokratie. Monarchie. Ariſtokratie. zu hoch ſich ſtellend, menſchliche Zwecke in eine goͤttliche Vorſchrift huͤllend, miſcht ſie nothwendig Taͤuſchung ein, und bewacht eben darum eiferſuͤchtig die Graͤnze der von ihr verliehenen Bildung; denn jenſeits dieſer Graͤnze iſt ihr Untergang. Die ariſtokratiſchen Gewalten von ge- miſchter Beſchaffenheit, Kriegsadel mit Prieſterthuͤmern be- kleidet, oder auch Geſchlechtsadel mit einer Prieſterſchaft zur Seite, oder auch Grund- und Amts- und Geld-Adel, bilden, ſobald ſie ſich zu einer alleinherrſchenden Koͤrper- ſchaft abſchließen, die planmaͤßigſte der Regierungen, aber auch in der Meinung der Menſchen die ſelbſtſuͤchtigſte. Denn wenn Alle Einem dienen, ſo ſcheint das um des Gemeinweſens Willen zu geſchehen, wenn aber eine Koͤr- perſchaft herrſcht, um der Koͤrperſchaft Willen. Fuͤr die Dauer ihrer Herrſchaft mit Recht beſorgt, wird ſich dieſe Ariſtokratie immer oligarchiſcher verdichten, aus immer engerem Kreiſe ſpaͤhend; denn kaum iſt die ausgeſchloſſene Menge ſo ſehr zu fuͤrchten, ſie die bald der Milde, bald dem Zwange dient, als monarchiſche Talente im Kreiſe der Mitherrſcher es ſind. Denn ſtets der Monarchie ſich naͤhernd, will die Ariſtokratie ſie nie erreichen. Der Eid: „und ich will gegen das Volk uͤbelwollend ſeyn und ihm ſo viel Boͤſes ſinnen als ich kann“ (Ariſtot. Pol. V, 9.), ward zwar nur in einigen Oligarchieen des Alterthums geſchworen; aber Heimlichkeit, Mistrauen und ein uner- bittliches Huͤten der einmahl fertig gewordenen Form bilden uͤberall den Grund-Charakter der abgeſchloſſenen Ariſtokratie. Sparta; Venedig; Polens unvorſichtige Ariſtokratie; Bern, ein ſeltenes Muſter gerechterer Maͤßigung, doch die Regel beſtaͤtigend. Henzi’s Verſchwoͤrung, 1749. 23. Dergeſtalt ergiebt ſich, daß Demokratie, Monarchie und Ariſtokratie, jede fuͤr ſich allein genommen, keine gute 2

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Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/29>, abgerufen am 29.03.2024.