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Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845.

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Eine Maßregel dieser Art ging besonders die Geistlichkeit
an; und da war es nun wiederum keine kleine Aufgabe
sich zwischen den Stufen des Altars und den Büchern der
Philosophen durchzuwinden, welche durchaus von keinen
solchen Privilegien mehr und am wenigsten zu Gunsten
des Klerus wissen wollten, und deren Lehren in jedermanns
Munde waren. Lag es aber nicht ohnehin in der Natur der
Sache daß man im Volk sich nach der Wurzel der Misbräuche
erkundigte, an welche die Art gelegt werden sollte? In ei-
ner noch hoffnungslosen Zeit, als man neuerlich die Par-
lamente aufhob, erschienen hunderte von Flugschriften; in
vielen derselben wurden Reichsstände verlangt und die
Verfasser behaupteten, das Volk habe ein Recht darauf.
Eine dieser Schriften forderte die Franzosen auf die Steuern
zu verweigern, bis die Nation wieder im Besitze ihrer
Rechte sey.

Wenn von dieser grausamen Verkettung der Verhält-
nisse auch nur einige wenige Kettenglieder dem Auge des
jungen Königspaares vorschwebten, so begreift sich leicht,
wie ihm in jener ernsten Stunde zu Muthe seyn mußte,
als ein plötzliches Gewoge im Schlosse, das Gedonner
vieler nahenden Schritte beiden die Verkündigung gab,
nun sey der alte König todt. Sie warfen sich nieder auf die
Kniee und beteten laut: "Mein Gott, leite und behüte
uns! wir sind noch zu jung zu herrschen!"



Eine Maßregel dieſer Art ging beſonders die Geiſtlichkeit
an; und da war es nun wiederum keine kleine Aufgabe
ſich zwiſchen den Stufen des Altars und den Büchern der
Philoſophen durchzuwinden, welche durchaus von keinen
ſolchen Privilegien mehr und am wenigſten zu Gunſten
des Klerus wiſſen wollten, und deren Lehren in jedermanns
Munde waren. Lag es aber nicht ohnehin in der Natur der
Sache daß man im Volk ſich nach der Wurzel der Misbräuche
erkundigte, an welche die Art gelegt werden ſollte? In ei-
ner noch hoffnungsloſen Zeit, als man neuerlich die Par-
lamente aufhob, erſchienen hunderte von Flugſchriften; in
vielen derſelben wurden Reichsſtände verlangt und die
Verfaſſer behaupteten, das Volk habe ein Recht darauf.
Eine dieſer Schriften forderte die Franzoſen auf die Steuern
zu verweigern, bis die Nation wieder im Beſitze ihrer
Rechte ſey.

Wenn von dieſer grauſamen Verkettung der Verhält-
niſſe auch nur einige wenige Kettenglieder dem Auge des
jungen Königspaares vorſchwebten, ſo begreift ſich leicht,
wie ihm in jener ernſten Stunde zu Muthe ſeyn mußte,
als ein plötzliches Gewoge im Schloſſe, das Gedonner
vieler nahenden Schritte beiden die Verkündigung gab,
nun ſey der alte König todt. Sie warfen ſich nieder auf die
Kniee und beteten laut: „Mein Gott, leite und behüte
uns! wir ſind noch zu jung zu herrſchen!“



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[24/0034] Eine Maßregel dieſer Art ging beſonders die Geiſtlichkeit an; und da war es nun wiederum keine kleine Aufgabe ſich zwiſchen den Stufen des Altars und den Büchern der Philoſophen durchzuwinden, welche durchaus von keinen ſolchen Privilegien mehr und am wenigſten zu Gunſten des Klerus wiſſen wollten, und deren Lehren in jedermanns Munde waren. Lag es aber nicht ohnehin in der Natur der Sache daß man im Volk ſich nach der Wurzel der Misbräuche erkundigte, an welche die Art gelegt werden ſollte? In ei- ner noch hoffnungsloſen Zeit, als man neuerlich die Par- lamente aufhob, erſchienen hunderte von Flugſchriften; in vielen derſelben wurden Reichsſtände verlangt und die Verfaſſer behaupteten, das Volk habe ein Recht darauf. Eine dieſer Schriften forderte die Franzoſen auf die Steuern zu verweigern, bis die Nation wieder im Beſitze ihrer Rechte ſey. Wenn von dieſer grauſamen Verkettung der Verhält- niſſe auch nur einige wenige Kettenglieder dem Auge des jungen Königspaares vorſchwebten, ſo begreift ſich leicht, wie ihm in jener ernſten Stunde zu Muthe ſeyn mußte, als ein plötzliches Gewoge im Schloſſe, das Gedonner vieler nahenden Schritte beiden die Verkündigung gab, nun ſey der alte König todt. Sie warfen ſich nieder auf die Kniee und beteten laut: „Mein Gott, leite und behüte uns! wir ſind noch zu jung zu herrſchen!“

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Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/34>, abgerufen am 28.03.2024.