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Curtius, Georg: Zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885.

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in wenigen Fällen. Den Spiritus asper von emai gegenüber
von sanskr. ans (sitzen) hat man, wie ich glaube, richtig aus
einem Anklang an das bedeutungsverwandte ezeto erklärt
(Grdz.5 690). Auch emeis verdankt seinen Spiritus wohl seinem
jedermann vorschwebenden natürlichen Gegensatz umeis, wo
der Spiritus regelrechter Vertreter eines j ist. Für dieselbe
Anschauung, wonach wir die Bedeutungskraft eines sprach-
lichen Elements keineswegs für etwas gleichgültiges halten,
spricht es, dass die bedeutungsvollsten Silben der Flexion,
z. B. die eigentlichen Casusendungen, die Moduszeichen wenig
Stoff für die Voraussetzung von Analogiebildungen bieten.
Wann würde z. B. jemals etwa der Genitiv durch den Dativ
oder Accusativ influenzirt? Häufiger findet dergleichen zwi-
schen Nominativ und Accusativ statt, wie z. B. bei der Be-
tonung des Accusativs peitho, während wir *peitho erwarten.
Diese Betonung ist eigentlich nur für den Nominativ berech-
tigt, geht aber auch auf den Accusativ über, entsprechend
einer ziemlich weit reichenden Neigung, nur minimal verschie-
dene Formen zu völlig gleichen zu machen. Zwischen Nomi-
nativ und Accusativ, Casus, welche, obwohl einander ent-
gegengesetzt, doch, wie emeis und umeis, ein gegensätzliches
Paar bilden oder nach der Bezeichnung der griechischen Gram-
matiker antistoikhoi, sind, kommen ähnliche Anklänge vor, wie
denn beide Casus im Plural der sogenannten 3. Declination in
vereinzelten griechischen Mundarten die gemeinsame Endung
-es haben (vgl. G. Meyer § 363). Einen ähnlichen Uebergang
der Nominativform in die des Accusativs nehmen wir bei zahl-
reichen Stämmen auf -i, -u und -es wahr, und zwar, was be-
sonders werthvoll ist, lässt sich dieser Uebergang aus den
Thatsachen der Sprachgeschichte deutlich als ein allmäh-
lich
entstandener nachweisen. Homer kennt von den i-Stäm-
men für die Pluralaccusative nur regelmässige Formen, z. B.
polins (B 648, cod. A, ebenso Bekker und Nauck) und polias,
vgl. posias Z 240. Von Stämmen auf -u seien pelekeas,

in wenigen Fällen. Den Spiritus asper von ἧμαι gegenüber
von sanskr. ās (sitzen) hat man, wie ich glaube, richtig aus
einem Anklang an das bedeutungsverwandte ἕζετω erklärt
(Grdz.⁵ 690). Auch ἡμεῖς verdankt seinen Spiritus wohl seinem
jedermann vorschwebenden natürlichen Gegensatz ὑμεῖς, wo
der Spiritus regelrechter Vertreter eines ϳ ist. Für dieselbe
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lichen Elements keineswegs für etwas gleichgültiges halten,
spricht es, dass die bedeutungsvollsten Silben der Flexion,
z. B. die eigentlichen Casusendungen, die Moduszeichen wenig
Stoff für die Voraussetzung von Analogiebildungen bieten.
Wann würde z. B. jemals etwa der Genitiv durch den Dativ
oder Accusativ influenzirt? Häufiger findet dergleichen zwi-
schen Nominativ und Accusativ statt, wie z. B. bei der Be-
tonung des Accusativs πειθώ, während wir *πειθῶ erwarten.
Diese Betonung ist eigentlich nur für den Nominativ berech-
tigt, geht aber auch auf den Accusativ über, entsprechend
einer ziemlich weit reichenden Neigung, nur minimal verschie-
dene Formen zu völlig gleichen zu machen. Zwischen Nomi-
nativ und Accusativ, Casus, welche, obwohl einander ent-
gegengesetzt, doch, wie ἡμεῖς und ὑμεῖς, ein gegensätzliches
Paar bilden oder nach der Bezeichnung der griechischen Gram-
matiker ἀντίστοιχοι, sind, kommen ähnliche Anklänge vor, wie
denn beide Casus im Plural der sogenannten 3. Declination in
vereinzelten griechischen Mundarten die gemeinsame Endung
-ες haben (vgl. G. Meyer § 363). Einen ähnlichen Uebergang
der Nominativform in die des Accusativs nehmen wir bei zahl-
reichen Stämmen auf -ι, -υ und -ες wahr, und zwar, was be-
sonders werthvoll ist, lässt sich dieser Uebergang aus den
Thatsachen der Sprachgeschichte deutlich als ein allmäh-
lich
entstandener nachweisen. Homer kennt von den ι-Stäm-
men für die Pluralaccusative nur regelmässige Formen, z. B.
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[73/0081] in wenigen Fällen. Den Spiritus asper von ἧμαι gegenüber von sanskr. ās (sitzen) hat man, wie ich glaube, richtig aus einem Anklang an das bedeutungsverwandte ἕζετω erklärt (Grdz.⁵ 690). Auch ἡμεῖς verdankt seinen Spiritus wohl seinem jedermann vorschwebenden natürlichen Gegensatz ὑμεῖς, wo der Spiritus regelrechter Vertreter eines ϳ ist. Für dieselbe Anschauung, wonach wir die Bedeutungskraft eines sprach- lichen Elements keineswegs für etwas gleichgültiges halten, spricht es, dass die bedeutungsvollsten Silben der Flexion, z. B. die eigentlichen Casusendungen, die Moduszeichen wenig Stoff für die Voraussetzung von Analogiebildungen bieten. Wann würde z. B. jemals etwa der Genitiv durch den Dativ oder Accusativ influenzirt? Häufiger findet dergleichen zwi- schen Nominativ und Accusativ statt, wie z. B. bei der Be- tonung des Accusativs πειθώ, während wir *πειθῶ erwarten. Diese Betonung ist eigentlich nur für den Nominativ berech- tigt, geht aber auch auf den Accusativ über, entsprechend einer ziemlich weit reichenden Neigung, nur minimal verschie- dene Formen zu völlig gleichen zu machen. Zwischen Nomi- nativ und Accusativ, Casus, welche, obwohl einander ent- gegengesetzt, doch, wie ἡμεῖς und ὑμεῖς, ein gegensätzliches Paar bilden oder nach der Bezeichnung der griechischen Gram- matiker ἀντίστοιχοι, sind, kommen ähnliche Anklänge vor, wie denn beide Casus im Plural der sogenannten 3. Declination in vereinzelten griechischen Mundarten die gemeinsame Endung -ες haben (vgl. G. Meyer § 363). Einen ähnlichen Uebergang der Nominativform in die des Accusativs nehmen wir bei zahl- reichen Stämmen auf -ι, -υ und -ες wahr, und zwar, was be- sonders werthvoll ist, lässt sich dieser Uebergang aus den Thatsachen der Sprachgeschichte deutlich als ein allmäh- lich entstandener nachweisen. Homer kennt von den ι-Stäm- men für die Pluralaccusative nur regelmässige Formen, z. B. πόλῑς (B 648, cod. A, ebenso Bekker und Nauck) und πόλιας, vgl. πόσιας Ζ 240. Von Stämmen auf -υ seien πελέκεας,

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Zitationshilfe: Curtius, Georg: Zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_sprachforschung_1885/81>, abgerufen am 18.04.2024.