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Curtius, Georg: Zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885.

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wand, nämlich die bekannte Thatsache, dass im Perfect ein
t oder d niemals zu th werde. Denn erstens gibt es ausser
den W. pet und lit, die gar kein Perfect bilden, schwerlich
eine Wurzel auf t und daher auch keine Perfectform, die
ionisch in der 3. Pl. auf -tatai oder attisch in der 1. S. Act.
auf -ta ausgeht. Es fehlt hier also an jeder Gelegenheit zu
aspiriren. Die Stämme auf d aber sind nur zum sehr geringen
Theil Primitiva. Von diesen werden kekeda, ododa, kekoda,
peporda ebenso wie kekraga, hom. kekopos, pepega ohne Aspi-
ration gebildet. Fast durchweg sind diese Stämme abgeleitete
(Pr. azo, izo), wozu sich, etwa mit Ausnahme der homerischen
Formen akekhed-atai, erered-atai, Perfecta erst in sehr später
Zeit hinzufanden. Bei diesen stellte sich dann nach der Ana-
logie der vocalischen Stämme das Perfect auf -ka ein, worüber
ich auf Verb. II2 232 verweise. Sodann ist bei dieser Frage
nicht ausser Auge zu lassen, dass die dentale Aspirata, rein
lautlich betrachtet, nicht ganz auf einer Linie mit den an-
dern Aspiraten steht. Schon der Umstand, dass für th im
ältesten Alphabet die Schreibung TH gar nicht, statt dessen
aber vereinzelt ThE nachweisbar ist *), zeigt, dass die den-
tale Aspirata der Tenuis ferner stand als kh einem k und ph
einem p. Ich bezweifle nicht, dass das explosive Element
des th von Anfang an an einer andern Articulationsstelle, das
heisst mehr interdental, hervorgebracht wurde als t. Damit
hängt die Thatsache zusammen, dass die hysterogene Aspi-
ration von t ungleich seltner ist als die von k und p. Man
wird mir, glaube ich, zugeben, dass, so betrachtet, das Fehlen
von th als Vertreter eines t oder d im Perfect gar nichts auf-
fallendes hat.

Wie aber lautet denn die neue Erklärung?


*) ThEARUMAKEOS auf einer sehr alten linksläufigen Inschrift aus
Thera (Mitth. des archäol. Instit. II S. 73 = Roehl Inscr. Ant. Nr. 444), von
mir besprochen Stud. X, 223. Dazu ein zweites Beispiel Roehl 449.

wand, nämlich die bekannte Thatsache, dass im Perfect ein
τ oder δ niemals zu θ werde. Denn erstens gibt es ausser
den W. πετ und λιτ, die gar kein Perfect bilden, schwerlich
eine Wurzel auf τ und daher auch keine Perfectform, die
ionisch in der 3. Pl. auf -ταται oder attisch in der 1. S. Act.
auf -τα ausgeht. Es fehlt hier also an jeder Gelegenheit zu
aspiriren. Die Stämme auf δ aber sind nur zum sehr geringen
Theil Primitiva. Von diesen werden κέκηδα, ὄδωδα, κέκοδα,
πέπορδα ebenso wie κέκραγα, hom. κεκοπώς, πέπηγα ohne Aspi-
ration gebildet. Fast durchweg sind diese Stämme abgeleitete
(Pr. αζω, ιζω), wozu sich, etwa mit Ausnahme der homerischen
Formen ἀκηχέδ-αται, ἐρηρέδ-αται, Perfecta erst in sehr später
Zeit hinzufanden. Bei diesen stellte sich dann nach der Ana-
logie der vocalischen Stämme das Perfect auf -κα ein, worüber
ich auf Verb. II2 232 verweise. Sodann ist bei dieser Frage
nicht ausser Auge zu lassen, dass die dentale Aspirata, rein
lautlich betrachtet, nicht ganz auf einer Linie mit den an-
dern Aspiraten steht. Schon der Umstand, dass für θ im
ältesten Alphabet die Schreibung TH gar nicht, statt dessen
aber vereinzelt ΘΗ nachweisbar ist *), zeigt, dass die den-
tale Aspirata der Tenuis ferner stand als χ einem κ und φ
einem π. Ich bezweifle nicht, dass das explosive Element
des θ von Anfang an an einer andern Articulationsstelle, das
heisst mehr interdental, hervorgebracht wurde als τ. Damit
hängt die Thatsache zusammen, dass die hysterogene Aspi-
ration von τ ungleich seltner ist als die von κ und π. Man
wird mir, glaube ich, zugeben, dass, so betrachtet, das Fehlen
von θ als Vertreter eines τ oder δ im Perfect gar nichts auf-
fallendes hat.

Wie aber lautet denn die neue Erklärung?


*) ΘΗΑΡΥΜΑΚΗΟΣ auf einer sehr alten linksläufigen Inschrift aus
Thera (Mitth. des archäol. Instit. II S. 73 = Roehl Inscr. Ant. Nr. 444), von
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Zitationshilfe: Curtius, Georg: Zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_sprachforschung_1885/69>, abgerufen am 23.04.2024.