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Curtius, Georg: Zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885.

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rere, und "indem diese nun auch ihrerseits Gefallen an der
neuen Sprechweise hervorrufen, verbreitet sich dieselbe weit-
hin und kann zunächst innerhalb des Dialekts, dann aber
auch innerhalb der Sprache, welcher dieser Dialekt angehört,
die allein und überall ausschliesslich herrschende werden. Sie
kann es werden, sie muss es nicht, denn es besteht die
Möglichkeit, dass sie nicht allgemein, sondern nur partiell Ge-
fallen und Nachahmung findet, indem ihrer Verbreitung an
einem oder mehreren Punkten des Sprachgebietes, in dem sie
nachgeahmt wird, ein nachhaltiger Widerstand entgegen tritt,
weil dort die ältere Sprechweise mehr gefällt u. s. w. Ent-
stehen hierdurch sehr einschneidende Gegensätze, so tritt eine
Spaltung jenes Sprachgebietes in Dialekte ein, die sich an
ihren Gränzen später häufig ausgleichen; ist das nicht der
Fall, so tritt im Laufe der Zeit eine Ausgleichung der ver-
schiedenen Spreehweisen in der Art ein, dass in bestimmten
Wörtern oder Formen die eine, in andern eine andre Sprech-
weise zur Anwendung kommt". Es wird dies durch Beispiele
aus verschiedenen Sprachen erläutert. Wenn wir in dem
obigen Urtheil die Stimme empirischer Sprachforscher ver-
nehmen, so tritt uns in dem jetzt anzuführenden Ausspruch
die eines Philosophen entgegen. Die kleine Schrift von
L. Tobler "über die Anwendung des Begriffes von Gesetzen
auf die Sprache" in der Vierteljahrsschrift für wissenschaftl.
Philosophie Bd. III Hft. 1 griff recht tief in diese Fragen ein.
Tobler zeigt unwiderleglich, dass das, was man mit Laut-
gesetzen bezeichnet hat, etwas von den Naturgesetzen, wie sie
in der Physik oder Chemie beobachtet sind, wesentlich ver-
schiedenes ist. "Die sogenannten Lautgesetze, heisst es S. 46
der erwähnten Schrift, bilden eine heilsame Schranke gegen

zu Cicero's Zeit durchdringende Aspiration des c zu ch in einem kleinen
Kreise lateinischer Wörter: pulcros, sepulcrum, die Cicero Orator 48,160
bezeugt und Roscher Stud. II144 bespricht.

rere, und „indem diese nun auch ihrerseits Gefallen an der
neuen Sprechweise hervorrufen, verbreitet sich dieselbe weit-
hin und kann zunächst innerhalb des Dialekts, dann aber
auch innerhalb der Sprache, welcher dieser Dialekt angehört,
die allein und überall ausschliesslich herrschende werden. Sie
kann es werden, sie muss es nicht, denn es besteht die
Möglichkeit, dass sie nicht allgemein, sondern nur partiell Ge-
fallen und Nachahmung findet, indem ihrer Verbreitung an
einem oder mehreren Punkten des Sprachgebietes, in dem sie
nachgeahmt wird, ein nachhaltiger Widerstand entgegen tritt,
weil dort die ältere Sprechweise mehr gefällt u. s. w. Ent-
stehen hierdurch sehr einschneidende Gegensätze, so tritt eine
Spaltung jenes Sprachgebietes in Dialekte ein, die sich an
ihren Gränzen später häufig ausgleichen; ist das nicht der
Fall, so tritt im Laufe der Zeit eine Ausgleichung der ver-
schiedenen Spreehweisen in der Art ein, dass in bestimmten
Wörtern oder Formen die eine, in andern eine andre Sprech-
weise zur Anwendung kommt“. Es wird dies durch Beispiele
aus verschiedenen Sprachen erläutert. Wenn wir in dem
obigen Urtheil die Stimme empirischer Sprachforscher ver-
nehmen, so tritt uns in dem jetzt anzuführenden Ausspruch
die eines Philosophen entgegen. Die kleine Schrift von
L. Tobler „über die Anwendung des Begriffes von Gesetzen
auf die Sprache“ in der Vierteljahrsschrift für wissenschaftl.
Philosophie Bd. III Hft. 1 griff recht tief in diese Fragen ein.
Tobler zeigt unwiderleglich, dass das, was man mit Laut-
gesetzen bezeichnet hat, etwas von den Naturgesetzen, wie sie
in der Physik oder Chemie beobachtet sind, wesentlich ver-
schiedenes ist. „Die sogenannten Lautgesetze, heisst es S. 46
der erwähnten Schrift, bilden eine heilsame Schranke gegen

zu Cicero's Zeit durchdringende Aspiration des c zu ch in einem kleinen
Kreise lateinischer Wörter: pulcros, sepulcrum, die Cicero Orator 48,160
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[10/0018] rere, und „indem diese nun auch ihrerseits Gefallen an der neuen Sprechweise hervorrufen, verbreitet sich dieselbe weit- hin und kann zunächst innerhalb des Dialekts, dann aber auch innerhalb der Sprache, welcher dieser Dialekt angehört, die allein und überall ausschliesslich herrschende werden. Sie kann es werden, sie muss es nicht, denn es besteht die Möglichkeit, dass sie nicht allgemein, sondern nur partiell Ge- fallen und Nachahmung findet, indem ihrer Verbreitung an einem oder mehreren Punkten des Sprachgebietes, in dem sie nachgeahmt wird, ein nachhaltiger Widerstand entgegen tritt, weil dort die ältere Sprechweise mehr gefällt u. s. w. Ent- stehen hierdurch sehr einschneidende Gegensätze, so tritt eine Spaltung jenes Sprachgebietes in Dialekte ein, die sich an ihren Gränzen später häufig ausgleichen; ist das nicht der Fall, so tritt im Laufe der Zeit eine Ausgleichung der ver- schiedenen Spreehweisen in der Art ein, dass in bestimmten Wörtern oder Formen die eine, in andern eine andre Sprech- weise zur Anwendung kommt“. Es wird dies durch Beispiele aus verschiedenen Sprachen erläutert. Wenn wir in dem obigen Urtheil die Stimme empirischer Sprachforscher ver- nehmen, so tritt uns in dem jetzt anzuführenden Ausspruch die eines Philosophen entgegen. Die kleine Schrift von L. Tobler „über die Anwendung des Begriffes von Gesetzen auf die Sprache“ in der Vierteljahrsschrift für wissenschaftl. Philosophie Bd. III Hft. 1 griff recht tief in diese Fragen ein. Tobler zeigt unwiderleglich, dass das, was man mit Laut- gesetzen bezeichnet hat, etwas von den Naturgesetzen, wie sie in der Physik oder Chemie beobachtet sind, wesentlich ver- schiedenes ist. „Die sogenannten Lautgesetze, heisst es S. 46 der erwähnten Schrift, bilden eine heilsame Schranke gegen *) *) zu Cicero's Zeit durchdringende Aspiration des c zu ch in einem kleinen Kreise lateinischer Wörter: pulcros, sepulcrum, die Cicero Orator 48,160 bezeugt und Roscher Stud. II144 bespricht.

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Zitationshilfe: Curtius, Georg: Zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_sprachforschung_1885/18>, abgerufen am 20.04.2024.