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Curtius, Georg: Zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885.

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Casusendungen auf begrifflicher Seite. Nur selten ist das Band
der Bedeutung hier klar nachzuweisen. Aber immerhin rech-
net man dabei mit gegebenen, nicht mit rein imaginären
Grossen, und es verdient unter allen Umständen Beachtung,
dass dieselben Laute, unter den Vocalen a und i, unter den
Consonanten t, s, m, n, am häufigsten an diesen verschiedenen
Stellen vorkommen. Von ähnlicher Art ist auch die Vermu-
thung, a als Zeichen der Vergangenheit sei ein partikelartig
vorgeschlagenes Pronomen, das in die Ferne weise. Wenig-
stens im Sanskrit ist dieser Gebrauch des Pronominalstammes
einigermassen nachweisbar, vergl. Verb. I2 133 ff., wo ich mit
der Erklärung Scherer's so ziemlich zusammentreffe. Der Ge-
danke, Suffixe verschiedenster Art auf Partikeln zurückzu-
führen, ist allmählich beliebter geworden *) Aber der wirk-
liche Nachweis von dem Dasein der vermutheten Partikeln
ist oft wenig gelungen. Es mag sein, dass das k litauischer
Imperativformen, z. B. bu-k (sei), auf einer Partikel beruhe.
Aber schwerer ist diese Partikel als einst wirklich für sich
existirend zu erweisen. Und noch weniger ist dies wahrschein-
lich gemacht von Thurneysen, Ztschr. XXVII, 172, in seiner
Abhandlung über den indogermanischen Imperativ, z. B. für
eine Form wie sanskr. as-tu (er sei), für den griechischen Im-
perativ des sigmatischen Aorists, z. B. deixon, wo Thurneysen
eine Partikel am vermuthet, dieselbe, die auch in sanskr.
ah-am (ich) stecke. Wer irgendwie gewohnt ist, die Bedeu-
tung im Sprachleben für einen nicht ganz ausser Acht zu
lassenden Factor anzusehen, der fragt doch, was hat die Im-
perativendung mit der in ah-am wahrscheinlich anzunehmenden
Casusendung zu schaffen? Und wenn nun vollends die nur

*) Der neueste Beleg für die Verfolgung dieses Weges ist der von
Leskien "Die Partikel -am in der Declination", Berichte üb. d. Verhand-
lungen der k. sächs. Ges. d. Wissenschaften. Philolog.-hist. Cl. 1884 I. II.
L. 1884.

Casusendungen auf begrifflicher Seite. Nur selten ist das Band
der Bedeutung hier klar nachzuweisen. Aber immerhin rech-
net man dabei mit gegebenen, nicht mit rein imaginären
Grossen, und es verdient unter allen Umständen Beachtung,
dass dieselben Laute, unter den Vocalen a und i, unter den
Consonanten t, s, m, n, am häufigsten an diesen verschiedenen
Stellen vorkommen. Von ähnlicher Art ist auch die Vermu-
thung, a als Zeichen der Vergangenheit sei ein partikelartig
vorgeschlagenes Pronomen, das in die Ferne weise. Wenig-
stens im Sanskrit ist dieser Gebrauch des Pronominalstammes
einigermassen nachweisbar, vergl. Verb. I2 133 ff., wo ich mit
der Erklärung Scherer's so ziemlich zusammentreffe. Der Ge-
danke, Suffixe verschiedenster Art auf Partikeln zurückzu-
führen, ist allmählich beliebter geworden *) Aber der wirk-
liche Nachweis von dem Dasein der vermutheten Partikeln
ist oft wenig gelungen. Es mag sein, dass das k litauischer
Imperativformen, z. B. bu-k (sei), auf einer Partikel beruhe.
Aber schwerer ist diese Partikel als einst wirklich für sich
existirend zu erweisen. Und noch weniger ist dies wahrschein-
lich gemacht von Thurneysen, Ztschr. XXVII, 172, in seiner
Abhandlung über den indogermanischen Imperativ, z. B. für
eine Form wie sanskr. as-tu (er sei), für den griechischen Im-
perativ des sigmatischen Aorists, z. B. δεῖξον, wo Thurneysen
eine Partikel am vermuthet, dieselbe, die auch in sanskr.
ah-am (ich) stecke. Wer irgendwie gewohnt ist, die Bedeu-
tung im Sprachleben für einen nicht ganz ausser Acht zu
lassenden Factor anzusehen, der fragt doch, was hat die Im-
perativendung mit der in ah-am wahrscheinlich anzunehmenden
Casusendung zu schaffen? Und wenn nun vollends die nur

*) Der neueste Beleg für die Verfolgung dieses Weges ist der von
Leskien „Die Partikel -am in der Declination“, Berichte üb. d. Verhand-
lungen der k. sächs. Ges. d. Wissenschaften. Philolog.-hist. Cl. 1884 I. II.
L. 1884.
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[151/0159] Casusendungen auf begrifflicher Seite. Nur selten ist das Band der Bedeutung hier klar nachzuweisen. Aber immerhin rech- net man dabei mit gegebenen, nicht mit rein imaginären Grossen, und es verdient unter allen Umständen Beachtung, dass dieselben Laute, unter den Vocalen a und i, unter den Consonanten t, s, m, n, am häufigsten an diesen verschiedenen Stellen vorkommen. Von ähnlicher Art ist auch die Vermu- thung, a als Zeichen der Vergangenheit sei ein partikelartig vorgeschlagenes Pronomen, das in die Ferne weise. Wenig- stens im Sanskrit ist dieser Gebrauch des Pronominalstammes einigermassen nachweisbar, vergl. Verb. I2 133 ff., wo ich mit der Erklärung Scherer's so ziemlich zusammentreffe. Der Ge- danke, Suffixe verschiedenster Art auf Partikeln zurückzu- führen, ist allmählich beliebter geworden *) Aber der wirk- liche Nachweis von dem Dasein der vermutheten Partikeln ist oft wenig gelungen. Es mag sein, dass das k litauischer Imperativformen, z. B. bu-k (sei), auf einer Partikel beruhe. Aber schwerer ist diese Partikel als einst wirklich für sich existirend zu erweisen. Und noch weniger ist dies wahrschein- lich gemacht von Thurneysen, Ztschr. XXVII, 172, in seiner Abhandlung über den indogermanischen Imperativ, z. B. für eine Form wie sanskr. as-tu (er sei), für den griechischen Im- perativ des sigmatischen Aorists, z. B. δεῖξον, wo Thurneysen eine Partikel am vermuthet, dieselbe, die auch in sanskr. ah-am (ich) stecke. Wer irgendwie gewohnt ist, die Bedeu- tung im Sprachleben für einen nicht ganz ausser Acht zu lassenden Factor anzusehen, der fragt doch, was hat die Im- perativendung mit der in ah-am wahrscheinlich anzunehmenden Casusendung zu schaffen? Und wenn nun vollends die nur *) Der neueste Beleg für die Verfolgung dieses Weges ist der von Leskien „Die Partikel -am in der Declination“, Berichte üb. d. Verhand- lungen der k. sächs. Ges. d. Wissenschaften. Philolog.-hist. Cl. 1884 I. II. L. 1884.

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Zitationshilfe: Curtius, Georg: Zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_sprachforschung_1885/159>, abgerufen am 18.04.2024.