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Curtius, Georg: Zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885.

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auch semasiologische Zweifel an dieser Erklärung unterdrücken,
so bleibt doch ein auch von Thurneysen nicht ganz über-
sehenes, für mich aber unüberwindliches Bedenken, dies, dass
bharatant, phereto, ferto nicht blos die 2. Pers. Sing. bezeich-
net, sondern auch, nach Whitney § 570 etwa ein Dutzend Mal,
die 3. Pers. Sing. und ausserdem ein einziges Mal die 1. Sing.
und mehrmals die 2. Plur. Unmöglich können doch diese For-
men in dieser Anwendung aus der 2. Sing. gebildet sein, und
bhara- hier für etwas anderes als in der 2. Sing., nämlich für
den mit dem thematischen Vocal behafteten Stamm zu halten,
ist wenig glaublich.

Da sich den neuen Erklärungen so viele Schwierigkeiten
entgegenstellen, so lohnt es sich wohl, zu fragen, ob denn die
ältere Ansicht, wonach das Suffix -tant mit den übrigen Per-
sonalsuffixen zusammengehört, so ganz und gar verwerflich sei.
Die Gegner dieser älteren Ansicht bringen es gar nicht in
Rechnung, dass die Silbe ta, welche doch ohne Zweifel in tant
stecken kann, auch anderswo sowohl die zweite, wie die dritte
Person bezeichnet. Wir finden sie einerseits in der 2. Person
Plur. -ta, griech. -te, lat. -tis, in der 2. Pers. Dual. -tam,
griech. -ton, andrerseits in der 3. Dual. -tam, griech.-ton,
-tanm, griech. -ten und in dem -tai der 3. Sing. Med., dem
entsprechenden -ta der Secundärformen und den dazu gehö-
rigen Pluralen auf -ntai und -nta. Die Imperativendung -tant
theilt also die personale Indifferenz jenes -ta in den verschie-
denen erwähnten Anwendungen. Wer, wie ich, daran festhält,
dass die Silbe ta für die 2. Person dem Pronominalstamme
tva entstammt, in der 3. Person aber den ungeschwächten Pro-
nominalstamm ta der 3. Sing. darstellt, der kann sich über
die gleiche Doppelverwendung im Imperativ nicht wundern,
wobei freilich die weitere Erklärung der Form -tant eine Frage
für sich bleibt, auf welche eine definitive und durchaus be-
friedigende Antwort gegeben zu haben ich mir nicht anmasse.
Ein unbedingtes Hinderniss wäre nur die Anwendung des Suf-

auch semasiologische Zweifel an dieser Erklärung unterdrücken,
so bleibt doch ein auch von Thurneysen nicht ganz über-
sehenes, für mich aber unüberwindliches Bedenken, dies, dass
bharatāt, φερέτω, ferto nicht blos die 2. Pers. Sing. bezeich-
net, sondern auch, nach Whitney § 570 etwa ein Dutzend Mal,
die 3. Pers. Sing. und ausserdem ein einziges Mal die 1. Sing.
und mehrmals die 2. Plur. Unmöglich können doch diese For-
men in dieser Anwendung aus der 2. Sing. gebildet sein, und
bhara- hier für etwas anderes als in der 2. Sing., nämlich für
den mit dem thematischen Vocal behafteten Stamm zu halten,
ist wenig glaublich.

Da sich den neuen Erklärungen so viele Schwierigkeiten
entgegenstellen, so lohnt es sich wohl, zu fragen, ob denn die
ältere Ansicht, wonach das Suffix -tāt mit den übrigen Per-
sonalsuffixen zusammengehört, so ganz und gar verwerflich sei.
Die Gegner dieser älteren Ansicht bringen es gar nicht in
Rechnung, dass die Silbe ta, welche doch ohne Zweifel in tāt
stecken kann, auch anderswo sowohl die zweite, wie die dritte
Person bezeichnet. Wir finden sie einerseits in der 2. Person
Plur. -ta, griech. -τε, lat. -tis, in der 2. Pers. Dual. -tam,
griech. -τον, andrerseits in der 3. Dual. -tam, griech.-τον,
-tām, griech. -την und in dem -ται der 3. Sing. Med., dem
entsprechenden -ta der Secundärformen und den dazu gehö-
rigen Pluralen auf -ntai und -nta. Die Imperativendung -tāt
theilt also die personale Indifferenz jenes -ta in den verschie-
denen erwähnten Anwendungen. Wer, wie ich, daran festhält,
dass die Silbe ta für die 2. Person dem Pronominalstamme
tva entstammt, in der 3. Person aber den ungeschwächten Pro-
nominalstamm ta der 3. Sing. darstellt, der kann sich über
die gleiche Doppelverwendung im Imperativ nicht wundern,
wobei freilich die weitere Erklärung der Form -tāt eine Frage
für sich bleibt, auf welche eine definitive und durchaus be-
friedigende Antwort gegeben zu haben ich mir nicht anmasse.
Ein unbedingtes Hinderniss wäre nur die Anwendung des Suf-

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[144/0152] auch semasiologische Zweifel an dieser Erklärung unterdrücken, so bleibt doch ein auch von Thurneysen nicht ganz über- sehenes, für mich aber unüberwindliches Bedenken, dies, dass bharatāt, φερέτω, ferto nicht blos die 2. Pers. Sing. bezeich- net, sondern auch, nach Whitney § 570 etwa ein Dutzend Mal, die 3. Pers. Sing. und ausserdem ein einziges Mal die 1. Sing. und mehrmals die 2. Plur. Unmöglich können doch diese For- men in dieser Anwendung aus der 2. Sing. gebildet sein, und bhara- hier für etwas anderes als in der 2. Sing., nämlich für den mit dem thematischen Vocal behafteten Stamm zu halten, ist wenig glaublich. Da sich den neuen Erklärungen so viele Schwierigkeiten entgegenstellen, so lohnt es sich wohl, zu fragen, ob denn die ältere Ansicht, wonach das Suffix -tāt mit den übrigen Per- sonalsuffixen zusammengehört, so ganz und gar verwerflich sei. Die Gegner dieser älteren Ansicht bringen es gar nicht in Rechnung, dass die Silbe ta, welche doch ohne Zweifel in tāt stecken kann, auch anderswo sowohl die zweite, wie die dritte Person bezeichnet. Wir finden sie einerseits in der 2. Person Plur. -ta, griech. -τε, lat. -tis, in der 2. Pers. Dual. -tam, griech. -τον, andrerseits in der 3. Dual. -tam, griech.-τον, -tām, griech. -την und in dem -ται der 3. Sing. Med., dem entsprechenden -ta der Secundärformen und den dazu gehö- rigen Pluralen auf -ntai und -nta. Die Imperativendung -tāt theilt also die personale Indifferenz jenes -ta in den verschie- denen erwähnten Anwendungen. Wer, wie ich, daran festhält, dass die Silbe ta für die 2. Person dem Pronominalstamme tva entstammt, in der 3. Person aber den ungeschwächten Pro- nominalstamm ta der 3. Sing. darstellt, der kann sich über die gleiche Doppelverwendung im Imperativ nicht wundern, wobei freilich die weitere Erklärung der Form -tāt eine Frage für sich bleibt, auf welche eine definitive und durchaus be- friedigende Antwort gegeben zu haben ich mir nicht anmasse. Ein unbedingtes Hinderniss wäre nur die Anwendung des Suf-

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Zitationshilfe: Curtius, Georg: Zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_sprachforschung_1885/152>, abgerufen am 24.04.2024.